Buchmessedirektor Oliver Zille zieht Bilanz

Das "Mutterschiff Buchmesse“ ist unverzichtbar

31. Mai 2021
von Nils Kahlefendt

Bridge over troubled Water: Buchmesse-Direktor Oliver Zille über die Herausforderungen von “Leipzig liest extra”, die Blessuren der Pandemie und die Projektionen für die Leipziger Buchmesse 2022, die dann wieder auf dem Messegelände stattfinden soll.

Was waren - neben den Kapriolen des Wettergotts - die größten Herausforderungen von Leipzig liest extra? 
In einer Situation, da uns immer noch die Absage von 2020 in den Knochen steckt, mussten wir die volatilen pandemischen Bedingungen mit den strengen Anforderungen einer Veranstaltungsorganisation in Einklang bringen. Für dieses Jahr haben wir in Szenarien geplant, das letzte war ein „Leipzig liest“, das hier mit Autorinnen und Autoren produziert, aber durchweg gestreamt wird. Eine Öffnungsklausel sah auch Veranstaltungen mit Publikum vor – an Orten, die das können und wollen. Diese Karte wurde erst kurz vor Pfingsten gezogen - was für einen normalen Veranstaltungsbetrieb natürlich viel zu kurzfristig ist. 

Streamen lässt sich von nahezu jedem Ort… 
Es ging nicht um Lesungen im Netz auf Teufel komm’ raus. Natürlich war es eine Herausforderung, Autorinnen und Autoren nach Leipzig zu bringen und hier zu produzieren – und damit auch dem Titel der Veranstaltung „Leipzig liest“ gerecht zu werden. Das ist uns gelungen in Zusammenarbeit mit ARD, ZDF und dem „Blauen Sofa“, die relativ früh entschieden haben, ihre Studios in Leipzig aufzubauen. Am Ende waren round about 200 Autorinnen und Autoren hier, nicht nur deutschsprachige, sondern, je nach Pandemielage auch aus Österreich, Ungarn, Tschechien oder Portugal. Die technische Umsetzung des Ganzen, etwa beim Livestream des Preises der Leipziger Buchmesse, war alles andere als einfach. Wir haben das gut gemeistert.  

Haben Sie nicht unfreiwillig den Beweis geführt, dass Leipzig auch ohne Buchmesse lesen kann? 
Ich glaube, dass es allen Akteuren – von Autorinnen und Autoren über die Verlage bis zu Buchhandel, Medien und Publikum – klar ist, dass „Leipzig liest extra“ eine Brücke war, unter pandemischen Bedingungen das Menschenmögliche zu tun. Die letzten Tage haben stärker als jemals zuvor gezeigt, dass die Messe eine Verdichtung von Kommunikation herstellt, wie es ein Festival allein nicht schaffen kann. Um das Nötige für die Branche in der Zukunft zu tun – Sichtbarkeit so breit wie möglich herzustellen, fürs Buch so laut wie möglich zu trommeln – dazu braucht es das Mutterschiff Buchmesse ganz dringend! 

Leipzig wird als Kulturereignis wahrgenommen, ist aber auch Wirtschaftsereignis. Wie sehr schmerzt es, auch finanziell, die Messe pandemiebedingt zum zweiten Mal in Folge nicht an den Start gebracht zu haben? 
Das, was wir hier veranstaltet haben, ist eine kreditierte Leistung. Unsere Gesellschafter glauben an uns; was wir hier geleistet haben, ist eine Investition in die Zukunft, die nicht erst im nächsten Frühjahr, sondern gewissermaßen heute, am Tag eins nach „Leipzig liest extra“, beginnen soll. Dass die Folgen für Hotels, Gastronomie, Spediteure, Taxifahrer oder den Einzelhandel dramatisch sind, ist uns natürlich bewusst. 

Es ist inzwischen eine Binse, dass nach der Pandemie nichts wie zuvor sein wird. Wie werden Sie durchstarten, die Idee der Leipziger Buchmesse weiterentwickeln? 
Ich gehe fest davon aus, dass wir die Pandemie im März 2022 so weit im Griff haben, dass die Messe im Kern auf dem Messegelände und in der Stadt stattfindet - gleichzeitig werden wir die neu ausgetesteten digitalen Möglichkeiten intelligent nutzen. Vielleicht nicht in der Breite, wie wir das dieses Jahr gezwungener Maßen tun mussten. Aber wir werden mit gut inszenierten Veranstaltungen auch die digitalen Möglichkeiten, Reichweite zu generieren, nutzen. Dabei werden wir nicht nur auf uns selbst schauen, sondern den Blick weiten: Wie geht es unseren Kunden, welche Bedürfnisse haben sie jetzt, während der abflauenden Pandemie und danach? 

Welche Pflöcke sind jetzt schon eingeschlagen? 
Drei internationale Projekte stehen bereits fest: Unser Südosteuropa-Projekt Common Ground wird endlich auch mit allen zehn Ländern und einer großen Standbeteiligung stattfinden. Portugal hat seinen Gastlandauftritt nach 2022 verschoben; wir überlegen gemeinsam, wie wir die Aufmerksamkeit auch auf bereits jetzt erschienene Titel weiter hochhalten können. Der für 2023 geplante Österreich-Schwerpunkt wird bereits 2022 eingeläutet. Und: Im vergangenen Jahr wollten wir eigentlich 30 Jahre „Leipzig liest“ feiern. Wir sind wild entschlossen, dieses Jubiläum in 2022 zu begehen - auch wenn wir es dann halt mit einer rechnerisch etwas schrägeren Jahreszahl zu tun haben. Derzeit gehen wir von einer Mindestzahl von 120.000 Besuchern auf dem Messegelände aus - es dürfen, wenn’s die Lage erlaubt, gern auch mehr werden. 

Zum Schluss der fällige Schnelltest: Was machen Sie am 17. März 2022, 16 Uhr? 
(Nach kurzer Pause): Ich eröffne die Verleihung des 18. Preises der Leipziger Buchmesse in der Glashalle. Wenn alles gut geht und sie Zeit und Lust haben, werden da nicht nur die Nominierten für 2022 sitzen - sondern auch die Preisträger 2020 und 2021.