Interview mit Preisbindungstreuhänder Christian Russ

"Für uns kommt dieser Prozess zur Unzeit"

10. September 2025
Sabine Cronau

In Preisbindungsfragen ist die Branche derzeit sehr diszipliniert, auch beim Reizthema Konditionen. Doch dafür gibt es andere Baustellen. Preisbindungstreuhänder Christian Russ über den aktuellen Arbeitsbericht - und einen heiklen Fall aus Österreich, der den Europäischen Gerichtshof beschäftigt.

Porträt Christian Russ

Christian Russ

Wir können nach unseren Zahlen davon ausgehen, dass bei mehr als 99 Prozent der Verkäufe neuer Bücher der gebundene Ladenpreis eingehalten wird.

Christian Russ, Preisbindungstreuhänder der Verlage

Wie diszipliniert ist die Branche aktuell in Sachen Preisbindung? Gefühlt ist der aktuelle Arbeitsbericht der Preisbindungstreuhänder, den Sie gerade vorgelegt haben, weniger umfangreich und weniger mahnend als in den Vorjahren. Ein gutes Zeichen?

Tatsächlich befindet sich die Buchpreisbindung nach unserem Eindruck derzeit in eher ruhigem Fahrwasser. Selbstverständlich gehen wir gegen alle Verstöße vor, die uns gemeldet werden, aber deren Anzahl ist seit Jahren auf eher niedrigem Niveau. Wir können nach unseren Zahlen davon ausgehen, dass bei mehr als 99 Prozent der Verkäufe neuer Bücher der gebundene Ladenpreis eingehalten wird.

Das spricht sehr für die Disziplin der Branche. Aber ceterum censeo: Das Problem des Verkaufs angeblicher Mängelexemplare ist noch immer nicht gelöst. Als Buchfreund schmerzt es mich sehr, wenn neue Bücher erst absichtlich beschädigt werden, nur um sie dann als "Mängelexemplare" billiger verkaufen zu können.

Ich habe den Eindruck, dass es momentan andere Themen gibt, die die Branche mehr beschäftigen als die Konditionenfrage. Allerdings wissen wir nicht, was unterhalb des Radars geschieht.

Christian Russ

Auch der Streit um die Konditionen scheint sich entspannt zu haben – wenn man den Zahlen des Betriebsvergleichs und den Beobachtungen in Ihrem aktuellen Arbeitsbericht folgt. Haben Sie eine Erklärung dafür - und woran machen Sie die Verbesserung fest?

Offenbar ist es dem Börsenverein gelungen, am "runden Tisch" eine Beruhigung dieser damals sehr hitzig geführten Diskussion hinzubekommen (mehr dazu hier). Das Ergebnis war ja ein Konsens, wonach auch sehr marktstarke Händler ihre Marktmacht nicht unbegrenzt einsetzen dürfen.

Als Preisbindungstreuhänder sind wir zudem die "Ombudsstelle" des Börsenvereins für Beschwerden im Zusammenhang mit überhöhten Konditionen. Die Zahl der uns gemeldeten Fälle war zuletzt aber gering. Ich habe den Eindruck, dass es momentan andere Themen gibt, die die Branche mehr beschäftigen. Allerdings sehen wir natürlich auch nur die uns gemeldeten Fälle überhöhter Rabattforderungen und wissen nicht, was unterhalb des Radars geschieht.

Der EuGH wird zur komplexen Frage der Geltung des Herkunftslandprinzips im grenzüberschreitenden Buchhandel entscheiden.

Christian Russ

Aktuell beschäftigt Sie besonders ein Gerichtsverfahren, das aus Österreich vor den Europäischen Gerichtshof getragen wurde. Worum geht es dabei genau?

Wenn deutsche Buchhändler über Amazon Bücher nach Österreich verkaufen, dann tun sie dies zu dem für Deutschland gebundenen Ladenpreis. Der ist aufgrund der Mehrwertsteuerdifferenz niedriger als in Österreich, darum ist diese Praxis dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels in Wien ein Dorn im Auge.

Allerdings erlaubt das österreichische Gesetz Unterschreitungen des in Österreich gebundenen Mindestpreises bis zu 5 Prozent, die Mehrwertsteuerdifferenz beträgt jedoch nur 3 Prozent. Der deutsche Preis ist also eigentlich auch in Österreich zulässig, da er sich noch in der zulässigen Preisspanne bewegt.

Kommentar zur Buchpreisbindung in 8. Auflage

Cover des Preisbindungskommentars
  • Die Preisbindungstreuhänder der Verlage, Dieter Wallenfels und Christian Russ, haben einen Kommentar zum Preisbindungsgesetz herausgebracht, der jetzt in der 8., frisch überarbeiteten Auflage vorliegt. 
  • Die Neuauflage berücksichtigt beispielsweise das Gesetzesvorhaben zur Plattformhaftung (Stichwort "Ebay") und die neuere Rechtsprechung zu Ausschreibungen im Schulbuchgeschäft.
  • Wallenfels / Russ: "BuchPrG. Buchpreisbindungsgesetz. Kommentar". C.H.Beck, 8. Auflage, 236 S., 65 Euro

Warum kann die Branche den Fall damit nicht abhaken?

Weil das österreichische Gesetz vorsieht, dass Unterschreitungen des Mindestpreises bis 5 Prozent zwar legal sind, vom Händler aber nicht angekündigt werden dürfen, was beim Verkauf über Amazon natürlich geschieht. Ein vergleichbares Verbot gibt es in Deutschland nicht, da nach unserer Vorstellung der Kunde immer wissen soll, was er bezahlt.

Das Problem dabei ist, dass es für Marketplace-Händler bei Amazon bislang gar nicht die Möglichkeit gibt, auch die abweichenden österreichischen Ladenpreise anzuzeigen und anzuwenden. Amazon beruft sich auf das kürzlich vom EuGH betonte Herkunftslandprinzip, wonach ein Anbieter bei grenzüberschreitenden Verkäufen nur die in seinem eigenen Heimatland gültigen Bestimmungen zu beachten hat, bei der Preisbindung also die deutschen Preise angeben und fordern kann.

Nun wird der EuGH zur komplexen Frage der Geltung des Herkunftslandprinzips im grenzüberschreitenden Buchhandel entscheiden, und zwar ausgerechnet anlässlich der aus unserer Sicht ohnehin problematischen Frage des Verbots einer Preisangabe. Denn der EuGH urteilt regelmäßig sehr verbraucherfreundlich und Preistransparenz ist durchaus ein wichtiges Thema für Verbraucher.

Wir können nur hoffen, dass bei dem Verfahren vor dem EuGH das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird.

Christian Russ

Hätten Sie sich gewünscht, dass darüber nicht vor dem EuGH verhandelt wird?

In der Tat, für uns kommt dieser Prozess zur Unzeit und er birgt ja auch Risiken. Der Börsenverein hatte nach mehr als 20jährigem Bemühen den Gesetzgeber ja endlich soweit, das wirklich drängende Problem der drittfinanzierten Gutscheine (Stichwort: Ebay-Adventsrabatte) gesetzlich in unserem Sinne zu regeln.

Der Entwurf des Wirtschaftsministeriums war ja bereits veröffentlicht. Aufgrund des österreichischen EuGH-Verfahrens hat das Ministerium das Gesetzesverfahren jetzt aber ausgesetzt und wartet nun ab, was der EuGH zur grenzüberschreitenden Preisbindung sagen wird.

Ob das dann mit der Gesetzesänderung nochmal etwas wird, steht in den Sternen. Auch könnte sich der EuGH ja auch ganz grundsätzlich mit der Frage beschäftigen, ob das Herkunftslandprinzip nicht nur für die Preisankündigungen, sondern im Auslandsgeschäft mit Büchern auch für die Preise selbst anzuwenden ist. Da müssen wir hoffen, dass das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird.   

Fremdsprachige Bücher sollten der Preisbindung auch dann unterliegen, wenn Deutschland ein relevanter Zielmarkt ist.

Christian Russ

Durch den New-Adult-Boom werden immer mehr englischsprachige Bücher verkauft – die nur dann preisgebunden sind, wenn sie "überwiegend" für den Verkauf in Deutschland bestimmt sind. Das ist in der Regel nicht der Fall. Muss sich das ändern?

Bei Inkrafttreten des Buchpreisbindungsgesetzes im Jahr 2002 spielten fremdsprachige Bücher keine große Rolle, sie waren traditionell nicht preisgebunden. Heute ergibt das angesichts der Verkaufszahlen von vor allem englischsprachiger Belletristik keinen rechten Sinn mehr. Nimmt man nun Bücher mit erheblicher Marktpräsenz von der Preisbindung aus, so entsteht in diesem Bereich automatisch ein unerwünschter Preiswettbewerb im Buchhandel.

Für den Händler ist aber letztlich nicht von Bedeutung, in welcher Sprache ein Buch verfasst ist. Der Preisbindung sollten fremdsprachige Bücher daher auch dann unterliegen, wenn Deutschland ein relevanter Zielmarkt ist, wenn also Deutschland in das Vertriebssystem des Buches eingebunden ist.