Für den Hörverlag haben Sie die Autobiografie der neuen US-Vizepräsidentin Kamala Harris gelesen. Business as usual? Oder gab es besondere Herausforderungen?
Tatsächlich war dieses Buch eine besondere Herausforderung. Obwohl – oder gerade weil es sehr zugänglich ist und streckenweise scheinbar „locker flockig wie im Plauderton“ geschrieben. Kamala Harris spricht gleich zu Beginn mit überwältigender Direktheit sehr offen und mit großer Empathie die Wahrheiten aus, denen sie sich verpflichtet fühlt. Ich war zu Tränen gerührt als ich den Anfang zum ersten Mal las. Gleichzeitig ist das Buch eine sehr klare Ansage. Es ging darum, diese gefühlvolle Anteilnahme stimmlich in Einklang zu bringen mit der unglaublichen Entschlossenheit, die Harris gleichzeitig in Bezug auf ihre politische Agenda zweifelsohne hat.
Bei belletristischen Titeln interpretiert der Sprecher / die Sprecherin den Text beim Lesen. Wie ist das beim Sachbuch? Welche Unterschiede sehen Sie zu belletristischen Lesungen?
Da ist Sachbuch nicht gleich Sachbuch, würde ich sagen. Dieses Buch enthält viele biografische Geschichten, sehr persönliche Erinnerungen mit bildreichen Schilderungen der jeweiligen Settings und der Gefühlslagen aller Beteiligten, inklusive Dialogen in direkter Rede, die ähnlich interpretiert sein wollen wie Passagen aus einem Roman. Hinzu kommt, dass Kamala Harris an manchen Stellen vermutlich ihre rhetorischen Fähigkeiten, Reden zu schreiben, hat einfließen lassen. Es scheint, als habe sie für das Buch manches, was sie sonst vor großem Publikum sagt, quasi verschriftlicht. Nun wird es für das Hörbuch wieder gesprochen – aber nicht vor dem Kongress oder auf der Bühne einer Wahlparty, sondern im Studio vorm Mikro. Das erfordert jeweils eine Anpassung in der Sprechhaltung.
Braucht man auch für Sachtexte einen Regisseur / eine Regisseurin im Tonstudio?
Das kommt darauf an, bei dieser Produktion war ich sehr dankbar für die tolle Regie. Oliver Brod und ich sind ein eingespieltes Team. Ich mag es, dass auch er sich an fraglichen Stellen erst zufrieden gibt, wenn es wirklich „auf den Punkt“ war. Und obwohl wir – trotz der Kürze der Zeit im Vorfeld – beide gut vorbereitet waren, ist uns gerade in der gemeinsamen Arbeit noch bewusster geworden, wie raffiniert der Text gebaut ist.
Lesen Sie jedes Buch bevor Sie ins Tonstudio gehen? Wie sieht Ihre Vorbereitung aus?
Ja, ich lese die Bücher vorher. Einmal still – zum Kennenlernen – und auch einmal laut. Denn der Text verwandelt sich, wenn man ihn spricht! Würde ich, etwa um Zeit zu sparen, direkt laut lesen, würde etwas fehlen. Das wäre so, als würde ich eine Landschaft direkt fotografieren, ohne mich vorher mal mit eigenen Augen umzuschauen. Mit geht es darum, den Text erstmal in mir aufzunehmen, dann kann ich ihn auch „persönlich“ sprechen. Beim Lautlesen wiederum kann man manche Stolperfalle vorab aus dem Weg räumen – manches entgeht einem nämlich beim leise Lesen, z. B. ergänzt man automatisch Rechtschreibfehler. Und so kann man auch manche Klippe kennenlernen, die es bei der Aufnahme zu umschiffen gilt. Ich mag es, den Weg zu kennen, den ich dann im Studio gehen will. Ein bisschen wie ein Ski-Fahrer, der vor dem Startschuss die Piste im Geiste abfährt
Was sagt man Ihrer Stimme nach? Über welches Kompliment freuen Sie sich besonders?
Dass ich „so eine schöne Stimme“ hätte, höre ich oft. Das scheint also Geschmackssache zu sein, worauf ich erst mal keinen Einfluss habe, deswegen fühlt sich das für mich zunächst nicht wie ein Kompliment an. Andererseits frage ich mich manchmal, was denn für die Leute „schön“ bedeutet. Für das Sprechen kommen ja neben der Stimme auch die Artikulation und die Atmung dazu, für die man quasi den ganzen Körper braucht, und inhaltlich: die Führung der Stimme, die Modulation, das Tempo, die Pausen, der Subtext, die Haltung – für all das greife ich auf Techniken zurück, die ich irgendwann mal auf der Schauspielschule gelernt und über die Jahre beständig weiter trainiert habe. Und dann ist es wie bei einer Balletttänzerin, die nur den Arm hebt und man denkt „Wow!“ weil es so federleicht aussieht, dabei hat die dafür so knochenhart trainiert.
Roman, Gedicht, Kinderbuch - welches Buch steht noch auf Ihrer Wunschliste? Über welche Anfrage würden Sie sich freuen?
Sehr konkret würde ich gern mal ein Buch von der wunderbaren in Berlin lebenden argentinischen Autorin Samanta Schweblin als Hörbuch einlesen. Ihre Texte durfte ich schon öfters live lesen und jedes Mal denke ich, das wäre doch auch ein tolles Hörbuch! Diese Anfrage liegt dem Lektor bei Suhrkamp auch bereits ganz offiziell vor! (lacht) Aber im Ernst, da bin ich ganz offen. Ich hab so viel Glück gehabt und schon so schöne Texte lesen dürfen, dafür bin ich sehr dankbar.