Jugendbuchverlage

"Kinder sind Eltern sehr wichtig, aber nicht der Gesellschaft"

22. Juni 2022
von Börsenblatt

Aufbruchstimmung und lebhafte Debatten bei der Jahreshauptversammlung der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen: Sichtlich engagierte Mitglieder berieten über die öffentliche Wahrnehmung von Kinderbüchern, Lobbyarbeit, Regionaltreffen, Nachwuchssicherung und den berühmten Bologna-Empfang.

Angeregte Diskussionen: Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen im Haus des Buches

Sichtbarkeit ist nicht nur ein Thema, das Bücher betrifft. Auch die avj stellte sich auf ihrer Jahreshauptversammlung am 22. Juni in Frankfurt am Main die Frage, wie sie von außen wahrgenommen wird: "Wo sollten wir zeigen, was wir Jugendbuchverlage tun und was wir können?", fragte Thienemann-Esslinger-Verlegerin Bärbel Dorweiler. "Wir bedienen eine extrem wichtige Schlüsselkompetenz, nämlich Kindern das Lesen zu vermitteln - aber wo bringen wir aktuell dieses Wissen, dieses Gewicht ein?", ergänzte Sigrid Klemt von Mixtvision. Die avj müsse eine stärkere Lobbyarbeit betreiben, so die klare Erkenntnis der Mitglieder, um etwa die Gesellschaft stärker zu sensibilisieren, wie Schulen mit Lesestoff ausgestattet werden - es vergeht keine Woche ohne Briefe von Lehrern, die bei den Verlagen um eine großzügige Bücherspende für Klassen- und Schulbibliothek bitten. Käme irgendjemand auf die Idee, Produzenten von Turnmatten, Waschbecken oder Tafelkreide um entsprechende Sachspenden zu bitten? Warum nur sollen die Verlage die Löcher im Schulbudget mit kostenlosen Büchern stopfen?

Zu häufig werde inzwischen gefordert, "dass wir vieles einfach umsonst tun sollen - aber wir müssen uns ja überhaupt erstmal das Geld erwirtschaften, und zwar mit unseren Büchern", erinnerte Arena-Verlegerin Alexandra Schönleben. Das komme in vielen gesellschaftlichen Debatten überhaupt nicht vor. Ein Grund für diese Schieflage machte Bärbel Dorweiler in der Wertschätzung des Nachwuchses aus: "Kinder sind den Eltern sehr wichtig, aber nicht der Gesellschaft." "Dabei arbeiten die Jugendbuchverlage ja für die Zukunft der Gesellschaft", brachte es Dagmar Becker-Göthel von ArsEdition auf den Punkt, "bloß sind Buchmenschen immer furchtbar leise. Woraus folgt: Wir müssen mehr proaktiv tun."  Maria Kafitz von Freies Geistesleben unterstützte den Vorstoß: "In den vergangenen zwei Jahren haben wir doch erfahren, wie wichtig wir und unsere Produkte für die Gesellschaft sind, was wir kulturell alles bewegen können. An diese Kompetenz müssen wir anknüpfen."

Regionale Treffen der Verlagsmitarbeiter:innen

Dabei geht es letztlich um mehr als um die Leistungen der Verlage, es geht um die Wahrnehmung des Kinder- und Jugendbuchs insgesamt - welche wirtschaftliche Bedeutung es hat, wie man die wachsende Zahl von Nichtlesern erreichen und ob das mit den Mitteln der Leseförderung gelingen kann. All das sind Themen, die nicht jeder Verlag einzeln beackern braucht; sie betreffen alle und können folglich bei der avj gebündelt werden. Die öffentliche Wahrnehmung war denn auch eines der sechs Themen, die die Mitglieder in einer Befragung als Thema benannte, um die sich die Arbeitsgemeinschaft kümmern sollte. Genauere Kenntnis der Zielgruppe durch Marktforschung, Kooperationsmöglichkeiten und Austausch zwischen den Verlagen, Erkenntnisse zur Zukunft des Kinderbuchs (auch technischer Natur) gewinnen sowie Seminare und Fortbildungen gehörten laut Befragung ebenfalls zu den Themen, die die avj angehen sollte. Es sind offenbar vor allem die praxisorientierten Fragen, die die Arbeitsgemeinschaft laut Mitgliederwunsch bündeln und besprechen sollte. "Wir können nicht jede Dienstleistung anbieten, sondern müssen überlegen, wo wir als Gruppe auftreten und eine Konzentration zu mehr Effektivität führt", mahnte Coppenrath-Verleger Lambert Scheer, worauf sich in der Diskussion abzeichnete, dass das Jugendbuchspezifische stärker herausgearbeitet werden sollte: "Müssen wir nicht vielmehr die Themen aufgreifen, in denen sich Jugendbuchverlage und ihre Arbeitsweise deutlich von Verlagen anderer Genres unterscheiden?", zog Dorweiler die Linie.

Untrennbar damit verbunden stand allerdings noch eine große Frage im Raum: Wer ist denn das "wir", das die Aufgaben angehen soll? Dass der Vorstand das alles nicht allein stemmen kann, war in der Runde rasch klar - wobei die Anwesenden in einer sehr lebhaften Diskussion bereit waren, sich zu engagieren. Das "wir" ist jeder einzelne avj-Verlag. Um dieses Wir zu stärken, brachte der Vorstand Regionaltreffen ins Spiel: "Wir wollen mehr Austausch, Mitglieder können sich zum Beispiel unterjährig an Orten treffen, die sich von der Mitgliederstruktur her eignen, etwa München, Hamburg, Frankfurt am Main, Stuttgart", schlug Vorstandsmitglied Kristy Koth (Edition bi:libiri) vor. Und zwar ganz real. Der lebhafte Austausch, die angeregten Wortwechsel, das Gedanken-Ping-Pong im Haus des Buches haben gezeigt, wie wichtig das Live-Format ist - online wäre das schwerlich zu bewerkstelligen gewesen.

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