Schmidt: Verlage sind mehr als Unternehmen, die Bücher als Produkte verkaufen. Ein Verlag ist aber vor allem ein Ort des lebendigen Diskurses, der Auseinandersetzung, der Diskussion. In den letzten zwanzig Jahren haben sich nicht nur unsere verlegerischen Rahmenbedingungen verändert, sondern auch unsere Gesellschaft. Sie ist enger geworden, aggressiver, ausschließender. Ein Verlag kann mit seinen Autor:innen an der Gestaltung unserer Gesellschaft mitwirken, und gerade die Lyrik als Form, die die Auseinandersetzung mit Sprache, Sprachen und Sprachlichkeit in den Fokus rückt, hat hier mehr Möglichkeiten zur Veränderung, aber auch mehr Verantwortung für unsere Gesellschaft, als es mancherorts angenommen wird.
Severin: Unser Verlagsslogan "poetisiert euch" möchte genau das ansprechen: die aktive Mitgestaltung. Und die Felder dafür zeigen uns unsere Autor:innen auf: Das im Herbst erscheinende Langgedicht "Kreuzfällen" von Tobias Roth und Daniel Bayerstorfer, in dem es um die bayerische Tradition des Absägens von Gipfelkreuzen geht, kann als Fundamentalkritik an einem Weltbild gelesen werden kann, das sich die Natur Untertan macht. Ein ganz anderer Blick auf die Natur spielt in "Verborgene Landschaften" von Anke Bastrop eine Rolle. Hier stellt sich eher die Frage, wie Landschaften ihren Zauber erhalten, ohne mit problematischer Ideologie aufgeladen zu werden.
Frank: Max Czolleks Gedichte, die Themen wie Erinnerungskultur aufgreifen; Martin Piekar, der nach der Rolle von KI für unser Leben fragt; Anna Julian Mendliks Gedichte, die danach fragen, wie queeres Leben, queeres Lieben, queeres Begehren nicht weiter verdrängt werden können; Ricardo Domeneck, der sich mit unterschiedlichen Formen der Kolonialisierung auseinandersetzt – die Beispiele lassen sich immer weiter fortsetzen. Aber auch unsere Essay-Reihe über Lyrik, die "Edition Poeticon", die mit wichtigen Begriffen wie z. B. Scham, Grenze, Queer, Trauer, Sport usw. Diskurse in der Gesellschaft aufgreift und weiterträgt, wird von Menschen mit gigantischen Lyrikregalen genauso gelesen wie von Leser:innen, die sich erst mal für die Begriffe interessieren.