Umfrage unter Indie-Verlagen

Rückkehr eines Modells?

12. Juli 2023
von Nils Kahlefendt

Im Herbst wollen der Übersetzer und Verleger Frank Henseleit und der Vetriebs-Profi Carsten Pfeiffer in Köln mit dem "Kupido-Depot" eine Buchhandlung nur für Indie-Verlage eröffnen. Gute Idee? Wir haben uns unter Verlags-Kolleg:innen umgehört – darunter einige mit ganz spezieller Sortiments-Erfahrung. Umfrage: Nils Kahlefendt.

Roman Pliske

Roman Pliske: "Wenn die Leute unsere Bücher sehen, läuft es super!"

Ich finde es reizvoll, mit einem Teil des Programms sichtbar zu sein – zumal wir heftige Probleme haben, den stationären Buchhandel für unser eigenes Depot-Programm zu gewinnen. Das schaffen wir zwar in der Region recht gut, darüber hinaus gelingt es kaum. Verlags-Marken mit einem klar konturierten Programm wie Wagenbach, Die Andere Bibliothek oder Guggolz tun sich da vermutlich leichter. In der Breite sind Buchhändler ja meist gut aufgestellt – was die suchen und über ein Depot nachdenken lässt, ist das Spezielle.

Im Kölner "Kupido-Depot" würden wir diejenigen Programm-Teile platzieren, für die wir uns überregional Chancen ausrechnen: Unsere "Bibliothek der Entdeckungen" oder Reise- und Bildbände. Ich komme gerade von der Garten-Messe des LCB am Wannsee – wenn Leserinnen und Leser unsere Bücher erst einmal sehen, kommen wir wunderbar ins Gespräch. Auf diese Weise hat sich "Sonne und Stahl", ein autobiografischer Essay des Japaners Yukio Mishima, bei uns zu einem geheimen Bestseller entwickelt.

Die Konditionen der Kölner finde ich eigentlich sehr fair, mit der aufgerufenen "Einmalbeteiligung" habe ich kein Problem. Features wie der Nachbezug innerhalb von 14 Tagen, wenn Titel verkauft worden sind, generell die Aktualisierung und Pflege des Warenbestands, kuratierte Themen, Aktionstische, wechselnde Schaufenster, Möglichkeit der Frontalpräsentation – da hat jemand die Probleme von uns kleineren Indie-Verlagen verstanden.  

Roman Pliske, seit Oktober 2004 Geschäftsführer, seit 2005 geschäftsführender Gesellschafter des Mitteldeutschen Verlags (mdv) in Halle/Saale.

www.mitteldeutscherverlag.de 

Jutta Schiecke

Jutta Schiecke: "Zusatz-Standbein im stationären Sortiment"

Ich bin positiv überrascht von der Rückkehr eines Formats, das eigentlich auf breiter Front rückläufig ist. Im Fall von Voland & Quist gibt es jedenfalls gerade mal eine Handvoll Buchhandlungen, die sich – mit entsprechenden Abrechnungsmodellen – als Depot verstehen. Die Gründer, die hinter dem "Kupido-Depot" stehen, machen eine klare Rechnung auf. Ich denke, dass das damit zu tun hat, dass sie sowohl Erfahrungen mit dem Buchhandel haben – aber auch wissen, mit welchen Problemlagen sich Indie-Verlage herumschlagen müssen. Die Doppel-Finanzierung aus Crowdfunding und einem überschaubaren Anteil der beteiligten Verlage klingt durchdacht. Ich drücke jedenfalls die Daumen, dass es klappt.

Für uns ist es ein weiterer Testlauf, mit Büchern und thematischen Schwerpunkten, die wir selbst setzen wollen, in die Öffentlichkeit zu gehen. Bis hin zur Größe des Auftritts liegt die Feinjustierung beim Verlag. Natürlich würden wir in Berlin oder Dresden andere Akzente setzen als in Köln. Wir suchen jedoch immer nach zusätzlichen Standbeinen im stationären Buchhandel – weil es für uns kaum möglich ist, im großen Stil Werbekostenzuschuss-Vereinbarungen mit den großen Ketten abzuschließen, uns Platz im Regal, auf dem Stapel oder in Frontalpräsentation zu kaufen. Die Leuchttürme des klassischen Sortiments haben zum Glück nach wie vor ihre eigene Auswahl – allerdings aus 60.000 Novitäten pro Jahr! Ich kann also niemanden einen Vorwurf machen, wenn er nicht einen Regalmeter für Voland & Quist-Bücher freiräumt. Der immer wieder gehörte Satz: "Schönes Programm – aber ich bestelle erst beim Barsortiment, wenn ein Kunde vor mir steht!" Für uns bedeutet das einen schleichenden Verlust von Sichtbarkeit.

Ich sitze gerade an unserer Bücherliste für die Erstausstattung. Wir gehen das Kölner Engagement vorsichtig an. Aber wir wollen schon dabei sein, um zusammen mit den anderen Indies diese Chance zu nutzen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich eine Buchhandlung, die sich konsequent für die Belange der kleineren unabhängigen Verlage einsetzt, mit der Zeit auch einen Ruf erarbeitet – so dass Leute da gezielt hingehen, um sich inspirieren zu lassen.    

Jutta Schiecke, langjährige Vertriebsleiterin der Aufbau Verlagsgruppe, kümmert sich nach 17jähriger Branchen-Abstinenz seit Juni 2022 um den Vertrieb bei Voland & Quist.

www.voland-quist.de

Bodo von Hodenberg

Bodo von Hodenberg: "Zweifel weggeblasen"

Grundsätzlich finde ich es eine gute Idee, Bücher sichtbar zu machen. Außerdem kenne ich Carsten Pfeiffer schon lange und konnte schon aus diesem Grund schlecht 'nein' sagen. Ich gehe viel auf Märkte und mache dort sehr gute Umsätze; wenn die Bücher dort liegen, man sie anfassen, darin blättern kann, die Qualität sieht – dann werden sie auch gekauft. Ich bin in diesen Tagen als One-Man-Show in Buchhandlungen in Deutschland und Österreich unterwegs – und von den Reaktionen der letzten drei Wochen regelrecht berauscht. Und was das "Kupido-Depot" betrifft: Die relativ geringe Investition hat meine anfänglichen Zweifel weggeblasen.

Bodo von Hodenberg, früher Taschen-Vertriebsleiter, bis 2019 zuständig für Einkauf und Marketing beim Versender Fröhlich & Kaufmann, gründete 2021 die Favoritenpresse.

www.favoritenpresse.de

Peter Graf

Peter Graf: "Es muss innovative Formen im Handel geben"

Mein Fazit nach anderthalb Jahren Independent-Buchhandlung: Es ist ein netter Ort zum Arbeiten, immer wieder kommen Leute vorbei, die das dankbar annehmen – und ab und zu Bücher kaufen. Vom Ökonomischen keine große Sache, aber es geht sich aus. Ich habe drei Tage die Woche geöffnet, Donnerstag bis Samstag; es gibt keine Anbindung ans Barsortiment – was einerseits eine bewusste Entscheidung war, andererseits müsste ich dafür einen Mindestumsatz generieren, der in dieser kleinen Struktur nicht realistisch ist. Manchmal, an sonnigen Samstagen, in den Ferien, spüre ich eine gewisse Unflexibilität – der Laden wirft zu wenig ab, um eine Vertretung anzustellen. Letztlich freue ich mich aber immer noch, täglich die Tür hier aufzusperren. Das Lektorat, das ich gerade bearbeite, ist tatsächlich durch einen Laden-Kontakt entstanden! 

In Köln sind die Voraussetzungen andere: Die Fläche ist größer, es soll Gastronomie geben und Leute, die sich vor Ort kümmern. Mit der Pflege des Sortiments steht und fällt vieles. Jeder Ort, der Sichtbarkeit herstellt, hilft kleineren, unabhängigen Verlagen. Andererseits ist eine Stadt wie Berlin mit so viel tollen Buchhandlungen gesegnet, dass die Indies hier ziemlich präsent sind. Noch besser könnte das Depot-Konzept unter Umständen in Städten funktionieren, die eine kulturaffine und kaufkräftige Klientel, aber vielleicht nur noch eine Kette vor Ort haben. Die Provinz wird oft unterschätzt!

Es muss innovative Formen im Handel geben – und die Depot-Buchhandlung, obwohl nicht eben erst erfunden, ist sicher eine davon. Auf lange Sicht bin ich etwas skeptisch, ob sich so ein Konzept ökonomisch trägt. Vielleicht muss man über Vereins-Strukturen nachdenken – über Kulturförderung statt reiner marktwirtschaftlicher Lehre.

Peter Graf leitet den Verlag Das Kulturelle Gedächtnis und die Verlagsagentur Walde + Graf. Publizistisch begibt er sich vor allem auf die Suche nach vergessenen Texten, um sie heutigen Lesern neu zugänglich zu machen. Im November 2021 gründete er im Prenzlauer Berg "Viel Gluck mit die Bücher – Buchhandlung für unabhängiges Verlegen".

www.viel-gluck-mit-die-buecher.de

Ingo Držečnik

Ingo Držečnik: "Sieben verflixte Jahre"

Als ich 2007 im Nachbarhaus hier in der Gaudystraße – nahe an der Schönhauser, aber keine Lauflage – relativ günstig zwei zur Straße liegende Räume für den Verlag anmieten konnte und "Elfenbein Literaturhandlung" dranschrieb, dachte ich nicht im Traum daran, eine Buchhandlung zu eröffnen. Ich hatte die Büroräume das erste Mal aufgeschlossen, als ein Nachbar mit einem Zeitungs-Ausriss hereinschneite, um ein Buch zu bestellen. Ich wollte ihn nicht abwimmeln – das war der Anfang. Ich dachte: Vielleicht kommen auf diese Weise Leute wieder – und schauen, was ich sonst noch in den Regalen stehen habe. Eine Buchhandlung als Showroom – so ähnlich, wie es Gerrit Schoof und Volker Dittrich ab 2012 mit "Das besondere Buch" in der Göhrener Straße machten.

Endlich waren es rund 20 Verlage, mit den meisten Verlegerinnen und Verlegern war ich befreundet oder immerhin gut bekannt. Die Depots führte ich auf Kommissionsbasis, nach jeweils drei Monaten wurde abgerechnet. Geöffnet war allerdings nur nachmittags. Ich erinnere mich an einen Bestseller: Ein großformatiges Kinderbuch (!) von Kookbooks, das von jungen Familien im Kiez fleißig gekauft und von Daniela Seel, die in der Nachbarschaft wohnte, immer wieder nachgeliefert wurde. Am Ende waren es sieben verflixte Jahre – meine "Buchhandelsaktivitäten" haben, ehrlich gesagt, nicht mal die Miete eingespielt. Nach langer Verweildauer im Laden waren viele dieser wunderbaren Bücher schlicht unverkäuflich – ich habe das Gros zum Schluss selber gekauft, zu einem guten Preis. Mit diesen Erfahrungen im Rücken wünsche ich den Kölnern alles erdenklich Gute – werde mich am "Kupido-Depot" aber erst mal nicht beteiligen.

Ingo Držečnik gründete (damals noch zusammen mit Roman Pliske) 1996 den Elfenbein Verlag, der 2001 von Heidelberg nach Berlin übersiedelte. Von 2007 bis 2014 betrieb Držečnik eben dort die Elfenbein Literaturhandlung.