Kinder- und Jugendbuchlektorate

Sag mir, wo die Männer sind...

25. September 2023
von Ralf Schweikart

Eine Frage, die in den vielen Diversitätsdebatten nur selten gestellt wird: Warum gibt es eigentlich in den Kinder- und Jugendbuchverlagen so wenige Männer? Vor allem dort, wo die Programme entstehen? 
 

Es ist keine Überraschung: Die Welt der Kinder- und ­Jugendbuchverlage ist weiblich. Viel weiblicher als die Verlagswelt insgesamt. Das gilt (mittlerweile) auch für die Führungsetagen: Bei Carlsen, Ravensburger, Oetinger, Thienemann-Esslinger und Arena, also in fünf der sieben umsatzstärks­ten Kinder- und Jugendbuchverlage, sitzen durchweg Frauen an den Schalthebeln. Auch viele andere der namhaften Verlage wie Beltz & Gelberg, arsEdition, Kosmos, DK, Tessloff und Gers­tenberg werden von Frauen geleitet. 

Natürlich gibt es auch noch die Verleger, zum Beispiel bei Loewe, Coppenrath, Magellan, W1 und Peter Hammer. Aber geht man einen Schritt weiter in den Maschinenraum der Kinderbuchverlage, in die Lektorate, sieht das schon anders aus. Dort wird die Suche nach Männern zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mit dem Ergebnis: Es gibt in den größeren Verlagen mit erzählenden Programmen in der Berufsgruppe der Lektor:innen keinen einzigen, wenn man’s genau nimmt. Die letzten ihrer Art sind auf der Karriereleiter längst aufgestiegen und mindestens als Programmleiter beschäftigt. Der Nachwuchs fehlt.
 

Genderspezifische Fragen

Darum ist in den Personalmeldungen der Verlage vor allem eines zu sehen: eine Riege gut ausgebildeter junger Frauen. Und kein Mann. Das ist nicht zuletzt deshalb verwunderlich, weil in den Lektoraten genderspezifische Fragen immer wichtiger werden. Zum Beispiel, ob der Titel einer Autorin auch von einer Frau übersetzt werden sollte (oder sogar muss). Ob das gleichermaßen gilt, wenn es sich um einen männlichen Protagonisten handelt. Und werden Stoffe und Buchinhalte von Frauen am Ende gar anders beurteilt als von Männern? Das würde in letzter Konsequenz ja zu Verschiebungen in den Programmen führen.

Unterschiede scheint es durchaus zu geben: »Wenn es um tendenziell gruselige Illustrationen im Bilderbuch geht, sind Lektorinnen meiner Erfahrung nach eher zurückhaltend«, meint Michael Stehle, Verlagsleiter von Urachhaus, der dort im Jahr 2000 als Lektor begonnen hat. »Aber grundsätzlich ­gehen ja im Verlag Menschen mit Sprache um, nicht Männer oder Frauen.« Trotzdem beantwortet das nicht die Frage, warum die Menschen mit dem Y-Chromosom eher einen Bogen ums Kinderbuchlektorat machen. 

Vielleicht ist die Geschlechterfrage aber auch nur ein Sturm im Wasserglas. Für Christian Walther, Programmleiter Gulliver bei Beltz & Gelberg, ist es jedenfalls kein relevantes Thema: »Ich kam und komme mit meiner Position im Lektorat über die Jahre sehr gut klar und möchte gar nicht, dass das in irgendeiner Form geschlechtsspezifisch interpretiert wird oder zum Anlass genommen wird, Rückschlüsse auf Leistung, Programmarbeit oder Verlagsstrukturen zu ziehen.« Auch Sebas­tian Twardokus, nach dem Volontariat nun Lektor Licensing & Kinderbuch bei DK in München, sieht für sich kein Konfliktpotenzial. »Ich habe weder einen Vorteil noch einen Nachteil wahrgenommen, dass ich der einzige Kollege bin. Inhaltlich steht eher der Bezug zum Thema im Vordergrund. Und im ­Bereich Licensing liegt dann schon mal ein Barbie-Buch auf meinem Schreibtisch.«

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