Neuer Independent-Verlag aus Berlin

Trabanten Verlag: Neuer Stern am Indie-Himmel

3. Dezember 2021
von Charline Vorherr

Bekannt geworden ist der Trabanten-Verlag um Fabian Leonhard mit dem Instagram-Projekt #lockdownlyrik. Innerhalb eines Jahres hat sich der Berliner Independent-Verlag professionalisiert. Im Programm: Gregor Gysi, Gert Scobel und die katalanische Bestsellerautorin Irene Solà - ein spannendes verlegerisches Vorhaben. 

„Ich habe alles gemacht, was man bei einer Verlagsgründung vermeiden soll“, sagt Fabian Leonhard, der im November 2020 den unabhängigen Trabanten Verlag in Berlin gegründet hat: „Mit Lyrik und dem eigenen Buch starten.“ Rückblickend lassen sich diese Worte mit Witz sagen. Das verlegerische Vorhaben des Germanisten, damals 28 Jahre alt, hat sich immerhin schnell zum Erfolg entwickelt. Nach seinem eigenen Lyrikband „Glücksjäger“ folgten die Gedichte des Berliner Filmemachers Hubertus Koch. Innerhalb kürzester Zeit verkaufen sich durch die eigene Instagram-Affinität 5000 Exemplare der Bände. „Wir haben nur im Online-Shop verkauft. Da blieb richtig was hängen, weil wir die Gewinne nicht teilen mussten.“

Erste mediale Aufmerksamkeit erhielt der inzwischen 29-jährige Fabian Leonhard mit dem Community-Projekt #lockdownlyrik auf Instagram. Das Ziel: Gedichte zurück in den Alltag bringen und Menschen für  literarische Form der Lyrik zu begeistern. Insgesamt 1.400 Gedichte über den Alltag im zweiten Lockdown wurden veröffentlicht - entstanden ist daraus das dritte Trabantenbuch. Der Gedichtband, der 100 Gedichte von 100 Autor*innen, darunter Sibylle Berg, Thomas Gsella und Ulrike Almut Sandig, umfasst, liest sich wie ein kollektives Pandemie-Tagebuch. Die Gewinne der bisher 3.500 verkauften Exemplare werden an die Berliner Obdachlosenhilfe gespendet. Im Januar erscheint die dritte Auflage.

Ich habe alles gemacht, was man bei einer Verlagsgründung vermeiden soll: Mit Lyrik und dem eigenen Buch starten.

Fabian Leonhard

Mit den ersten Erfolgen entstand das Bedürfnis, sich zu professionalisieren. Vor der Gründung im November 2020 habe er ein halbes Jahr sondiert, sagt Leonhard. „Ich habe mich mit vielen Verlagen, Buchhändlern und Agenturen in Berlin getroffen. Die eine Hälfte hat mir vom eigenen Verlag abgeraten, die andere hat mich ermutigt.“ Erfahrung im Verlagswesen hatte Leonhard bis dahin keine. Dementsprechend viele Recherchestunden investierte er in die Buchherstellung und Branchenstrukturen.

„Ich habe einfach angefangen - bisher ohne einen einzigen Kredit. Durch die ersten Bucheinnahmen konnten wir uns nach und nach professionalisieren“, erzählt Leonhard. Im März haben sie sich der Verlagsauslieferung LKG angeschlossen, Verträge mit den großen Barsortimenten abgeschlossen und eine Presseagentur beauftragt. „Ich bin sehr froh, jetzt steht das Gerüst und alles hat sich eingespielt. Ich versuche aber auf die Bremse zu treten, die Fixkosten gering zu halten und langsam zu wachsen. Lieber Filterkaffee aus der alten Studentenkanne trinken, als die Verlagsküche gleich mit einem Vollautomaten ausstatten". 

Während der Verlag am Anfang noch keine feste Mitarbeiterstruktur hatte, nur aus Studenten bestand, hat Trabanten neben Leonhard mit Kaja Helak inzwischen eine feste Mitarbeiterin, die den Vertrieb und die Veranstaltungen verantwortet. Fünf freie Mitarbeiter*innen sollen im nächsten Jahr zum Kernteam werden. „Hier ist noch viel Studentengeist, aber seit einem Jahr machen wir große Entwicklungen."

Fabian Leonhard will anspruchsvolles Programm machen, „Literatur verlegen“, sagt er. Den Fokus setzt Trabanten auf Belletristik, vor allem aus Spanien, Essays und Lyrik. Der Verlag will politisieren und wichtige gesellschaftliche Themen unserer Zeit aufgreifen, wie Flucht und den Klimawandel. Soziale Verantwortung sollen durch klimaneutrale Entscheidungen übernommen werden. Am Gewinn vieler Titel sind soziale Projekte beteiligt. 

Im Herbst ist das erste richtige Programm der Trabanten erschienen. Farhad Alsilo erzählt in „Der Tag an dem meine Kindheit endete“ seine Geschichte als jugendlicher Geflüchteter. In „Mondnacht. Fünf vor Zwölf“ vereint Trabanten politische Essays zur Klimakrise, unter anderem von Gregor Gysi und Gert Scobel, mit Natur-Gedichten von Eichendorff, Goethe und Co. Wie kommt man als junger Verlag an Autor*innen wie Gregor Gysi und Gert Scobel? In der Berliner Medienwelt sei Leonhard inzwischen sehr gut vernetzt. „Ich telefoniere rum und komme bei Gysi an." Gut die Hälfte der 21 Essayisten hat der Verlag allerdings mit einer E-Mail und einer professionellen Projektmappe überzeugt.

Lyrik wird in Zukunft – auch aus wirtschaftlichen Gründen - eine kleinere Rolle einnehmen, aber nicht verschwinden. Mit„#lockdownlyrics Kids“ wurde im Herbst die Kinderversion des Community-Projekts veröffentlicht. Durch den hohen Koordinationsaufwand durch Livestreams, Jury-Arbeit und Community-Betreuung sei mehr als eine Ausgabe pro Jahr allerdings nicht möglich.

Ein Zusammenspiel aus harter Arbeit, Zufall und Glück

Insgesamt bewertet Leonhard seinen bisherigen Erfolg als ein Zusammenspiel aus harter Arbeit, Zufall und Glück. Seinen ersten Autor Hubertus Koch lernte im Rahmen seines Kurzfilms "Moria - wie wirklich helfen" und sein bestens vernetzter Freund in Barcelona verhalf ihm zu seinem Programmhighlight 2022: der Übersetzung von Irene Solàs Bestseller „Canto jo i la muntanya balla“ (Anagrama) aus dem Katalonischen. Sie erscheint im März 2022 unter dem Namen „Singe ich, tanzt der Berg“ bei den Trabanten. 2020 wurde der Roman, der gerade in 21 Sprachen übersetzt wird, mit dem European Prize for Literature ausgezeichnet. Das Glück, sich bei den Verhandlungen um die Übersetzungsrechte gegen Penguin Random House durchgesetzt zu haben, kann Leonhard immer noch nicht ganz fassen.

Vielleicht hat der spanische Verlag Anagrama einschätzen können, mit welcher Überzeugung man sich bei dem jungen unabhängigen Verlag aus Berlin für den Titel einsetzen wird.

Im Jahr 2022 will der Verlag in der Buchbranche ankommen. Gemeinsam mit dem spanischen und amerikanischen Verlag soll es im März auf eine große Lesereise mit Irene Solà gehen, was die starke Kulturförderung in Barcelona ermöglicht. Auf der Leipziger und Frankfurter Buchmesse wollen sich Leonhard und seine Mitarbeiter*innen zum ersten Mal mit einem Verlagsstand präsentieren, Veranstaltungen organisieren und im neuen Jahr in den Börsenverein eintreten.

In der Branche fühlt sich der Quereinsteiger willkommen, auf den Berliner Verlegerstammtischen sei er offen aufgenommen worden und im Sommer soll gemeinsam mit anderen Berliner Indies ein Literaturfestival veranstaltet werden. Der Trabanten Verlag hat sich viel vorgenommen - man kann gespannt sein. 

Und warum heißt der Verlag Trabanten? "Der Mond ist ein Trabant der Erde. Ein Trabant ist im Grunde etwas, das um etwas Größeres kreist. Ich fand dieses Bild für einen Independent-Literatur-Verlag sehr passend", so Leonhard.