Kurswechsel bei Adelphi

"Wir haben nicht die Absicht, 'stille' Aktionäre zu sein"

28. Juli 2022
von Börsenblatt

Schriftstellerin Anna Katharina Fröhlich schlägt Alarm: Sie und ihre Kinder wollen das Programm des italienischen Verlags Adelphi mitprägen. Den Geschäftsführer stellt sie vor die Wahl. Und: Fröhlich hat Einfluss.

Schriftstellerin und Übersetzerin Anna Katharina Fröhlich

Adelphi gilt eines der bedeutendsten unabhängigen Verlagshäuser Italiens, viele bekannte deutschsprachige Schriftsteller werden dort verlegt. Entscheidend geprägt hat ihn sein Gründer Roberto Calasso, der am 28. Juli vergangenen Jahres im Alter von 80 Jahren starb; Kulturminister Dario Franceschini zufolge ist mit Calasso eine Säule des italienischen Verlagswesens weggebrochen. Im operativen Geschäft hat sein Neffe Roberto Colajanni die Nachfolge angetreten, doch regt sich nach einem Jahr nun Unmut. Anna Katharina Fröhlich hat Colajanni die gelbe Karte gezeigt, öffentlich, in einem Interview in der Tageszeitung "La Repubblica".

Fröhlichs Kinder sind die größten Aktionäre

Fröhlich, in Deutschland als Schriftstellerin bekannt ("Kream Korner" (Berlin Verlag 2010), für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, "Der schöne Gast" (Hanser 2014), "Rückkehr nach Samthar" (C.H. Beck 2018)), ist bei Adelphi nicht irgendwer. Sie ist die Mutter von Calassos Kindern, des 15-jährigen Tancredi und der 24-jährigen Josephine. Und die sind mit 48 Prozent die größten Aktionäre, denn von Calassos Verlagsanteil (71 Prozent) ging die Hälfte an seine Kinder, der Rest an Calassos Ehefrau Fleur Jaeggy und seinen Neffen Roberto Colajanni. Die restlichen Aktien werden von der Familie Zevi und dem befreundeten Francesco Pellizzi gehalten.

Fröhlich vertritt den minderjährigen Tancredi, Josephine hat jüngst ein Praktikum bei Adelphi absolviert und sei davon begeistert gewesen, berichtet die 51-jährige Autorin und Übersetzerin im Interview. In Calassos letzten Jahren sei die Tochter ihrem Vater "sehr, sehr nahe gewesen; sie haben sich stundenlang unterhalten." Calasso habe viele seiner intellektuellen Leidenschaften an sie weitergegeben. Fröhlichs Positionierung ist klar: Sie hat Gewicht.

"Wir möchten ein Programm sehen, das uns überzeugt"

Mit Colajannis Arbeit zeigt sich Fröhlich nun keineswegs zufrieden. Als der Verwaltungsrat von Adelphi, immer wieder auch der Suhrkamp Verlag Italiens genannt, ihn am 2. September vergangenen Jahres zum Geschäftsführer ernannt habe, "wurden wir, die Mehrheitsaktionäre, nicht um eine Stellungnahme gebeten, nicht einmal informiert. Bei allem guten Willen haben wir um Verständnis gerungen". Fröhlich fordert, er solle den Aktionären einen wirtschaftlichen und vor allem verlegerischen Plan vorlegen – "wir möchten ein Programm sehen, das uns überzeugt." Sie erwarte die Calasso-typische Begeisterung über die jüngsten Vorschläge und neuen Richtungen. Die Bücher, die derzeit erschienen, seien größtenteils immer noch die von Calasso ausgewählten. "Aber bald müssen wir es alleine schaffen."

"Jetzt muss eine Phase des Teilens beginnen"

Colajanni "muss wissen, dass er auf unsere Loyalität zählen kann, aber auch, dass wir unsererseits auf seine Bereitschaft zählen, uns zu engagieren. Kurz gesagt: wir bitten darum, dass wir alle gemeinsam an einem wirklichen Projekt arbeiten." Als er sein Amt angetreten habe, habe er um Zeit gebeten, um sich zu organisieren. "Aber jetzt muss eine andere Phase beginnen, eine Phase des Teilens." Daraufhin wird Fröhlich im Interview deutlicher: "Die Kinder und ich, der ich den Jüngsten vertrete, haben nicht die Absicht, 'stille' Aktionäre zu sein. Weder die Kinder noch ich sind nur daran interessiert, am Jahresende eine Dividende zu erhalten." Die Schriftstellerin erwartet, dass Colajanni angemessene Antworten gibt – "dann werden wir die ersten sein, die ihn loyal unterstützen. In der Zwischenzeit garantieren wir Stabilität. Im Gegenzug, ich wiederhole es, erwarten wir eine viel offenere Haltung."