50 Jahre Edition Nautilus

"Wir lassen uns unsere Begeisterung nicht verhageln"

27. Juni 2024
von Michael Roesler-Graichen

Auch wenn die wirtschaftlichen Kennzahlen der Branche nicht erfreulich sind, gibt die Edition Nautilus im Jubiläumsjahr alles, um mit Leidenschaft neue Buchprojekte zu realisieren. Eine strukturelle Verlagsförderung, die die Planungssicherheit erhöht, wäre sehr willkommen.

50 Jahre Independent: das Team der Edition Nautilus (v.l). Timo Schröder, Katharina Picandet, Franziska Otto und Katharina Bünger mit Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen (rechts).

Das Jubiläumsjahr hatten sich Katharina Picandet und ihr Verlagsteam anders vorgestellt. Aber 50 Jahre nach der Gründung erlebt die Edition Nautilus, 1974 von Lutz Schulenburg, Hanna Mittelstädt und Pierre Gallissaires gegründet, eine Durststrecke. „Seit 2023 läuft es ziemlich mau“, sagt Vertriebsleiterin Katharina Bünger, „und das Frühjahr 2024, vor allem im Mai, war extrem schwach“. Das entspricht der Tendenz der gesamten Branche, der Absatz im Sortimentsbuchhandel lag 2023 um 14,5 Prozent unter dem des Vor-Corona-Jahrs 2019. Auch aus anderen Verlagen und aus dem unabhängigen Buchhandel habe man ein ähnliches Echo gehört. „Wir verkaufen nur noch selten eine Partie eines Titels, und auch bei guten Rezensionen sind die Bestellungen zurückhaltender als früher“, so Bünger. „Auch die Kunden gehen oft nur dann in die Buchhandlung, wenn sie eine Rezension gelesen haben. Dadurch passiert im unabhängigen Buchhandel weniger“, ergänzt Lektorin Katharina Picandet. „Und auch die Filialisten kaufen nur noch reaktiv ein.“

So wichtig die mediale Präsenz für Independent-Verlage und ihre Partner im Buchhandel ist, so sehr gerät gerade diese seit einigen Jahren unter Druck. Besprechungsräume in den Tageszeitungen schrumpfen oder fallen weg, Sendeplätze werden gestrichen oder zu neuen, senderübergreifenden Formaten zusammengelegt. Gerade erst gab der SWR bekannt, ab 2025 die Sendung „Lesenswert“ mit Denis Scheck zu streichen.

Zur fehlenden Sichtbarkeit kommen die Kostenfaktoren hinzu – sowohl im privaten Bereich bei den Konsumenten als auch in den Unternehmen selbst. Der Absatz vieler kleiner Verlage ist rückläufig, und damit auch das Geschäft der Independent-Buchhandlungen. Die Liste der Sortimente, die schließen, ist länger als die Liste der Neueröffnungen. So mussten in jüngster Zeit Stamm-Buchhandlungen wie der Buchladen Pontstraße in Aachen, die Buchhandlung Heinrich Heine in Essen, die Buchhandlung Lesesaal in Hamburg und die traditionsreiche Buchhandlung Gastl in Tübingen schließen. Dem stehen einige Neugründungen entgegen: der Buchladen Rauch & König in München, die Buchhandlung Blattgold in Hamburg, die Buchhandlung Köstner in Bamberg und She Said Bookshop in Berlin. Weitere Buchhandlungen wie Schwarze Risse in Berlin oder Jos Fritz in Freiburg werden immerhin von einer neuen Generation fortgeführt.

So unerfreulich die wirtschaftliche Entwicklung im Buchmarkt auch ist, der Begeisterung für die Programmarbeit tut dies keinen Abbruch. Immer wieder bringt Nautilus starke Bücher heraus, wie beispielsweise im Herbst 2022 Jean Malaquais’ meisterhaften Exil-Roman „Planet ohne Visum“, der 75 Jahre nach seiner Ersterscheinung endlich auf Deutsch (in der Übersetzung von Nadine Püschel) zu lesen ist. Oder Sven Reckers Roman „Der Afrik“, eine Geschichte von Auswanderung und Vertreibung, die im vergangenen Herbst erschienen ist. Auch Jérôme Leroys Kriminalroman „Die letzten Tage der Raubtiere“ aus dem Frühjahr 2023 lief im Vertrieb gut.

Eine Anschubfinanzierung würde die Planbarkeit von Buchprojekten erhöhen und uns aus der ‚Glücksspielbranche‘ rausholen.

Katharina Picandet über strukturelle Verlagsförderung

Womit der Verlag, wie viele andere Independents auch, generell zu kämpfen hat, ist die Planungsunsicherheit. Wie lange reichen die Rücklagen noch (falls es sie gibt)? Wie hoch kann man in umsatzschwachen Zeiten die Auflage kalkulieren? Stehen ausreichend Mittel zur Verfügung, um eine Lesetournee finanzieren zu können? Kann sich Nautilus die Übersetzung eines außergewöhnlichen Titels leisten? Manche Bücher bleiben daher schon in der Planungsphase auf der Strecke – beispielsweise, weil keine Übersetzung bezahlt werden kann. (Bei Jean Malaquais’ Roman war es das Programm Neustart Kultur, das Nadine Püschels Übersetzung finanzierte.)

In der gegenwärtigen Phase wäre eine strukturelle Verlagsförderung, wie sie seit Jahren gefordert wird, eine Hilfe. „Eine Anschubfinanzierung würde die Planbarkeit von Buchprojekten erhöhen und uns aus der ‚Glücksspielbranche‘ rausholen“, meint Katharina Picandet. Andere Sparten wie Film oder Bildende Kunst würden ja auch mit öffentlichen Geldern gefördert, fügt Katharina Bünger hinzu. Hamburgs Literaturreferentin Antje Flemming rate den Independent-Verlagen, „lauter zu sein“, sagt Pressefrau Franziska Otto.

Nautilus steht mit seinen Sorgen nicht allein da. Um sich mehr Gehör zu verschaffen, hat man gemeinsam mit anderen Hamburger Independents die „Liste unabhängiger Verlage“ (LuV) gegründet. Darauf findet man neben der Edition Nautilus Verlage wie Argument / ariadne, Bedey & Thoms, Buske, CulturBooks, Dölling und Galitz, Hamburger Edition, Junius, Mairisch und Meiner. Im Dezember präsentierten sich die rund 40 auf der Liste zusammengeschlossenen Verlage auf der Bücherschau HamBuch, die die Hamburger Behörde für Kultur und Medien unterstützt hatte. Jeden dritten Mittwoch im Monat stellt ein LuV-Verlag in der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky im Rahmen der Lesungsreihe „Indie Stabi“ einen Titel aus seinem Programm vor.

Vom Ende eines Verlags wäre nicht nur das Team selbst betroffen, sondern ein großes Netzwerk an Freischaffenden, die als Übersetzer:innen, Lektor:innen und Gestalter:innen für Buchprojekte arbeiten.

Katharina Picandet

Wie viel auf dem Spiel steht, wenn Verlage immer wieder in ihrer Existenz bedroht sind, macht Katharina Picandet deutlich: „Vom Ende eines Verlags wäre nicht nur das Team selbst betroffen, sondern ein großes Netzwerk an Freischaffenden, die als Übersetzer:innen, Lektor:innen und Gestalter:innen für Buchprojekte arbeiten.“ „Würde dies verschwinden“, so Kollegin Bünger, „könnte man das nicht wieder aufbauen.“

Doch Trübsal blasen ist nicht Sache des Nautilus-Kollektivs: „Wir lassen uns unsere Begeisterung nicht verhageln und fühlen uns durch die positiven Reaktionen aus Buchhandel und Presse gestärkt“, betont Picandet. Im Herbstprogramm erscheinen mehrere besondere Titel, die es so bei Nautilus noch nicht gab. Spitzentitel ist Felix K. Nesis Roman „Die Leute von Oetimu“, ein fabulierfreudiges literarisches Panorama Timors, einer der Inseln des indonesischen Archipels. Übersetzt hat das Buch aus der Bahasa Indonesia Sabine Müller (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Kollegin, die aus dem Englischen und Französischen übersetzt). Außergewöhnlich ist auch der erste US-amerikanische Thriller im Programm, „Das schwarze Chamäleon“ von Jake Lamar in der Übersetzung des Krimiautors Robert Brack – ein Buch, das beißende Gesellschaftssatire und race-politics in den USA der letzten Jahrzehnte zu einer packenden Handlung verschmilzt. Und schließlich kommt noch ein freizügig betitelter Band, der feministische Sexkolumnen aus dem „Missy Magazine“ in Buchform präsentiert: „Fickt euch! Sex, Körper und Feminismus“, mit einem Vorwort von Hengameh Yaghoobifarah.

Andrea Maria Schenkel: ihr Debüt "Tannöd" verkaufte sich über eine Million Mal und wurde in 20 Sprachen übersetzt. 

 

Was der Herbst bringen wird, ließe sich auch bei größerer Planungssicherheit, wie sie sich der Verlag wünscht, nicht genau prognostizieren. „Es ist immer noch Magie im Spiel – und Mundpropaganda, die man nicht steuern kann“, so Picandet. So wie damals bei Andrea Maria Schenkels „Tannöd“, ein Erfolg, wie er sich in der Regel nur „once in a lifetime“ ereignet. Immerhin berichten die Handelsvertreter in Deutschland, Österreich und der Schweiz, dass das Herbstprogramm von Nautilus im Handel besser ankommt als das Frühjahrsprogramm. Das lässt hoffen.