Bodo Wartke und die Zungenbrecher-Revolution

Wie ein Kabarettist versehentlich die deutsche Sprache rettete

10. Oktober 2025
Redaktion Börsenblatt

Kinder tanzen seine Texte, Fans aus Frankreich kommen zu seinen Konzerten – ohne Deutsch zu sprechen. Bodo Wartke spricht im Podcast Die Kinderbuchpraxis über die Liebe zur Sprache und warum Scheitern auf der Bühne das Schönste ist, was passieren kann.

Bodo Wartke

Musiker, Wortkünstler und Deutschlands führender Experte für Zungenbrecher: Bodo Wartke

Alle kennen Barbaras Rhababerbar

Es ist nicht übertrieben zu sagen: Bodo Wartke hat Zungenbrecher wieder populär gemacht, nicht nur mit seinen viralen Social Media Clips. Im Gespräch mit Dr. Stefan und Mr. Ralf erzählt der Musik-Kabarettist, wie aus Sprachakrobatik Geschichten werden – und warum sein neues Buch bei Carlsen generationenübergreifend funktioniert.

Mit "Barbaras Rhabarberbar" hat Bodo Wartke den Zungenbrecher zurück ins kulturelle Bewusstsein geholt. Kinder tanzen seine Texte auf Schulhöfen, Deutschleistungskurse kommen ins Theater, um seine Versionen "Antigone" oder "Ödipus" zu sehen und Menschen aus dem Ausland reisen nach Deutschland, um seine Konzerte zu erleben. Gerade ist bei Carlsen sein Buch erschienen, Titel: "In Barbaras Rhabarberbar wird niemals der Rhabarber rar", illustriert von Alexandra Junge.

Im Börsenblatt-Podcast "Kinderbuchpraxis" spricht Wartke über seinen Zugang zu Sprache, den kreativen Prozess hinter seinen Zungenbrechern und darüber, warum Überforderung manchmal produktiver ist als Unterforderung.

Buchcover: "In Barbaras Rhabarberbar"

Vom Kabarett zum Zungenbrecher: Wie zwei Welten verschmelzen

"Es fing alles an mit einer Idee", erzählt Wartke. "Wie könnte Fischers Fritz denn weitergehen? Was macht er mit seinen frischen Fischen, nachdem er sie gefischt hat?" Die Frage führte ihn zu einer Form des Schreibens, die er aus seinen Liedern bereits kannte: artistische Reime, Binnenreime, sprachliche Akrobatik. "Ich habe einfach zwei Welten zusammengebracht, die sich im Grunde eh schon überlappt haben", sagt er. Dass daraus ein Phänomen werden würde, hatte er nicht geplant. Inzwischen erreichen ihn täglich neue Zungenbrecher – aus dem Internet, von Logopädie-Seiten, von Fans, die selbst welche erfinden.

Wartkes Ansatz unterscheidet sich fundamental von klassischen Zungenbrechern: "Viele Zungenbrecher sind ja einfach erstmal schwierig. Die haben weder Reime noch irgendwie pfiffige Wortspiele, sondern sind in erster Linie schwer auszusprechen." Als Kind habe er darum früh die Flinte ins Korn geworfen. "Aber in dem Moment, wo ich mir halt den Zungenbrecher schön mache, indem ich halt so die Bodoismen alle einbaue, also all die Dinge, die ich selber toll finde, pfiffige Reime, lustige Wortspiele, eine spannende Geschichte mit einer Pointe, habe ich halt auch Bock, diese Geschichte zu erzählen." Das Prinzip kennt er aus seiner Arbeit mit antiken Dramen: "König Oedipus" und "Antigone" hat er so bearbeitet, dass Deutschleistungskurse freiwillig ins Theater kommen. "Auf einmal macht es nicht nur mir Bock, das vorzutragen, sondern auch Leuten, da zuzuhören."

Rhythmus, Reime und Rap

Was Wartkes Zungenbrecher so besonders macht, ist ihre Musikalität. "Wie kann ich die Sprache musikalisieren?", fragt er sich bei jedem Text. Rhythmus und Reime seien mächtige Faktoren – und genau das finde seit jeher im Hip-Hop statt. "Jemand hat mir mal gesagt, Rap sei im Grunde die Abkürzung für Rhythm and Poetry. Und damit ist alles gesagt."

Sein kreativer Prozess folgt keinem starren Plan. "Der wichtigste Wegbegleiter auf diesem Weg, habe ich gemerkt, ist der Zufall", erklärt Wartke. "Die besten Reime sind häufig auch diejenigen, die ich nicht geplant habe, die auch nicht in einem Reimlexikon stehen, sondern die sich zufällig ergeben." Er vergleicht das Schreiben mit einer Wanderung durch einen unbekannten Wald: "Man ist auf dem Weg irgendwo hin, also ich breche ins Unbekannte auf und bemerke dann so Blümchen, die am Wegesrand blühen, die mir nicht aufgefallen wären, wenn ich nicht losgelaufen wäre." Dabei gelte: "Der Reim allein macht noch kein Gedicht. Die Geschichte ereignet sich zwischen den Reimen."

Die besten Reime sind häufig auch diejenigen, die ich nicht geplant habe, die auch nicht in einem Reimlexikon stehen, sondern die sich zufällig ergeben.

Generationenübergreifend: Ein Buch für alle, nicht nur für Kinder

Das neue Buch bei Carlsen war nicht als Kinderbuch geplant. "Ich habe gar nicht mir vorgenommen, ich mache jetzt ausdrücklich was für Kinder", sagt Wartke. "Ich habe wie sonst auch das geschrieben, worauf ich selber Bock habe." Dass auch Kinder seine Arbeit lieben, liege einfach am Umgang mit Sprache: "Reime, Wortwitz. So, da haben einfach Kinder mega Spaß dran, am Klang der Sprache." Er kritisiert, dass vieles, was sich ausdrücklich an Kinder richte, "so ein bisschen betulich" sei. "Man geht davon aus, ja, die sind ja noch ein bisschen klein und verstehen das alles noch nicht so. Und das Gegenteil ist der Fall." Kinder hätten mehr Bock, sich mit etwas zu beschäftigen, "wenn es sie eher überfordert als unterfordert, weil sie dann den Anreiz haben, sich das zu erschließen."

Die Illustrationen von Alexandra Junge erweitern die Texte um eine zusätzliche Ebene. "Sie bebildert nicht einfach nur, was stattfindet im Text, sondern spinnt auch ihrerseits die Geschichten fort", lobt Wartke. So kauft Fischers Fritz etwa nach dem Fischdiebstahl Fischstäbchen im Supermarkt – eine visuelle Pointe, auf die Wartke selbst nicht gekommen wäre. Auch die wiederkehrende Katze, die durch alle Zungenbrecher streift, sei Junges Idee. "Es gibt viel zu entdecken in diesem Buch."

Deutsch als coole Sprache

"Ich habe, ohne das beabsichtigt zu haben, eine groß angelegte Werbekampagne für die deutsche Sprache lanciert", fasst Wartke zusammen. "Auf einmal gilt die deutsche Sprache als cool. Und zwar nicht nur in Deutschland." Menschen aus Frankreich, die kein Deutsch sprechen, reisen zu seinen Konzerten. "Barbaras Rhabarber" wurde in etliche Sprachen übersetzt – Holländisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Ukrainisch. "Die Leute versuchen wirklich, die Raffinesse des Deutschen in ihre Sprache zu übertragen."

Wartke selbst entdeckt dabei, dass jedes Land seinen eigenen "Fischers Fritz" hat. In England ist es "She sells seashells", in Frankreich "Les chaussettes de l'archiduchesse", in der Schweiz "Dr Papst het z Spiez ds Späck Bsteck ds spät bsteut". Inzwischen arbeitet er an Zungenbrechern, die Sprachen verbinden: "Das ist ein Zungenbrecher, den wir in Kürze veröffentlichen werden. Der beginnt auf Deutsch und endet auf Französisch."

Sogar Terra X ist auf ihn zugekommen – mit der Bitte, einen Zungenbrecher über das endoplasmatische Reticulum zu schreiben. "Allein weil das Wort so cool klingt", lacht Wartke. Man musste ihn nicht zweimal bitten. Das Ergebnis: ein Rap-Song, der erklärt, was das endoplasmatische Reticulum ist. "Jetzt schreiben mir halt etliche Leute, ja ey, das hätte ich damals mal zu Schulzeiten und im Bio-Studium kennen müssen, diesen Song, weil so kann man sich das ja viel besser merken!"

Die ganze Podcastfolge bietet noch mehr Einblicke: Wartke erzählt von seinen Bühnenpannen, vom positiven Umgang mit Scheitern und davon, wie Kinder seine Texte auf Schulhöfen tanzen. Außerdem verrät er, welche Zungenbrecher über Hansi Flick und Alexandra Popp nie veröffentlicht wurden – und warum. Reinhören lohnt sich.

Über die Kinderbuchpraxis

 

Die Kinderbuchpraxis ist der Fachpodcast rund ums Kinder- und Jugendbuch! In der Kinderbuchpraxis werden alle Themen rund um Kinder- und Jugendbücher behandelt. Bekannte Autor*innen, Illustrator*innen oder Verleger*innen und viele weitere spannende Gäste kommen in die Praxis zu Mr. Ralf (Ralf Schweikart) und Dr. Stefan (Stefan Hauck). Das ungleiche Duo rückt schon mal aus zum Hausbesuch. Zweimal im Monat erscheint eine neue Folge - am zweiten und am vierten Freitag.