Spaltet Corona unsere Gesellschaft?
Ja, das kann man auf vielen Ebenen beobachten. Wir leben in einem permanenten Ausnahmezustand, in dem die Regierenden eine neue Machtfülle entfalten – auch im Verhältnis zur Bevölkerung. Und es vollzieht sich eine digitale Spaltung zwischen denen, die im Homeoffice arbeiten dürfen, die über digitale Infrastruktur verfügen, und denen, die zur Arbeit fahren und ein größeres Risiko haben zu erkranken.
Wie hat die Pandemie die Arbeit im Verlag verändert?
Die Zoom-Meetings strukturieren die Kommunikation und sorgen für mehr Verbindlichkeit. Gleichzeitig bekommt die Hierarchie im Verlag wieder mehr Gewicht. Die Schwelle für Äußerungen wird höher. In der Zusammenarbeit mit den Autor*innen erleben wir, dass sie wie nie zuvor den Kontakt zu uns suchen. Es wird allen bewusst, wie tragend diese Beziehungen sind.
Welche Folgen hat Corona für die Programmarbeit?
Durch den intensiven Austausch mit den Autor*innen sind auch neue Ideen entstanden. Vor einem Jahr haben wir gemeinsam mit unserer Autoren-Community den Band »Die Corona-Gesellschaft« gestartet, dessen Beiträge heute immer noch zutreffend sind. Bei der Programmplanung merken wir, wie viel derzeit geschrieben wird – wir kommen kaum hinterher. Das gilt aber nicht nur für wissenschaftliche Beiträge wie in unserem Verlag, sondern für alle Genres. Wir erleben eine neue Innerlichkeit, auch des Schreibens.
Erlebt der Verlag einen Digitalisierungsschub?
Corona sorgt auch bei uns für eine dynamische Entwicklung digitaler Produkte. Wir haben ein achtköpfiges Team aufgebaut, das in Zusammenarbeit mit UTB integrierte Lernanwendungen für den Hochschulbereich entwickelt. Diese setzen sich aus einem gedruckten Lehrbuch und Online-Anwendungen zusammen, die multimedial angereichert und interaktiv nutzbar sind. Einen ersten Prototyp konnte ich mir gerade anschauen.
Steigert die Krise auch die Kreativität?
Die Erschütterung und Dezentrierung, die die Pandemie auslöst, lässt die Menschen zugleich sehr produktiv werden. Was wir erleben, ist eine Art »geistige Gründerzeit«, in der das Fundament für die Post-Corona-Ära gelegt wird. Die alten Narrative sind verbraucht, wir brauchen neue Erzählungen, in denen Verletzlichkeit, Menschlichkeit, aber auch der Umgang mit nichtmenschlichen Akteuren wie KI eine Rolle spielen. Dies als Verlag zu begleiten und zu moderieren, ist eine großartige Aufgabe.