Interview mit Colin Hauer, Hörbuch Hamburg

"Würden dem Hörbuch mehr rote Teppiche stehen? Absolut!"

23. Juli 2025
Sabine van Endert

Im Börsenblatt-Ranking der 100 größten Verlage steht Hörbuch Hamburg auf Platz 65 - mit einem stolzen Umsatzplus von 15 Prozent. Ein guter Anlass für Fragen an den Geschäftsführer Colin Hauer.

Colin Hauer

Colin Hauer

17 Prozent Umsatzplus – was hat Hörbuch Hamburg im vergangenen Jahr besonders richtig gemacht?

Colin Hauer: Wir haben bei Hörbuch Hamburg unsere gemeinsame Vision tief verinnerlicht. Innovationsgeist und digitales Denken gehören für uns ebenso zu unserem Selbstverständnis wie die Leidenschaft für unvergessliche Hörerlebnisse. Dass unsere Mission, den Audiomarkt der Zukunft aktiv mitzugestalten, kein Lippenbekenntnis ist, erkennt man an den Entwicklungen der letzten Jahre. Mehr als einzelne Marketingmaßnahmen, technische Innovationen oder Programmentscheidungen möchte ich unsere intrinsische Motivation hervorheben: Wir möchten all jenen, die sich für eine Zusammenarbeit mit uns entscheiden, zeigen, dass sie damit goldrichtig liegen. Und darauf, dass mein Team das auch im letzten Jahr an so vielen Stellen bewiesen hat, bin ich extrem stolz. 

Und was ist dem Verlag quasi in den Schoß gefallen, weil sich das Hörbuch generell so wunderbar entwickelt

Colin Hauer: Ganz klar: Zur jetzigen Zeit in dieser Branche arbeiten zu dürfen, empfinde ich als großes Privileg. Zu Beginn meiner Karriere in der Musikbranche habe ich erlebt, was es heißt, unter gänzlich anderen Marktbedingungen zu arbeiten. Die Bedeutung von Mut und Ideenreichtum habe ich damals aus einer Notwendigkeit heraus zu schätzen gelernt – in einem wachsenden Markt lässt sich aus denselben Tugenden viel mehr machen. In einem völlig anderen Tempo. Doch auch, wenn wir als einer der größten Hörbuchverlage von einem wachsenden Markt profitieren, so tun wir das nicht grundlos – dafür haben viele talentierte Menschen vor den Mikros und hinter den Schreibtischen hart gearbeitet.

Ausgabe 2025
Die 100 größten Verlage

Das ausführliche Ranking "Die 100 größten Verlage" enthält in detaillierten Verlagsprofilen Zahlen, die in dieser Detailtiefe sonst nicht zugänglich sind. Das Ranking bietet damit Verlagen, Medien und Dienstleistungsunternehmen der Branche nutzwertige Informationen und bleibt durch die Verfügbarkeit als angereichertes PDF immer aktuell.
Es ist hier verfügbar und kostet 89 Euro. 

Community-getrieben – ohne dieses Zauberwort läuft heute kein Brancheninterview. Was verbirgt sich für Hörbuch Hamburg dahinter? Inwieweit agieren Sie Community-getrieben?

Colin Hauer: Wir betreiben Communitybuilding auf diversen Ebenen. Etwa in Zusammenarbeit mit unseren Partnerverlagen, wenn wir uns bei Veranstaltungen wie dem „Booklover Festival“ aktiv involvieren und in den Austausch mit Hörer*innen und denen, die es noch werden können, gehen. Auch unsere Social-Media-Strategie haben wir in den letzten Jahren stark weiterentwickelt und schaffen gemeinsam mit unseren Autor*innen und Sprecher*innen auf den Plattformen Raum für aktiven Austausch und Einblicke in dieses kreative Medium.

Auf den Hörbuchplattformen können konstruktive Kommentare und Bewertungen sowohl zu Autor*innen als auch den Stimmen in Einzelfällen den Unterschied machen. Hörbuch Hamburg hat ein sehr erfahrenes und kompetentes Lektorat, das mit sicherem Händchen Programmentscheidungen trifft und Wert auf starke Inhalte und Botschaften legt. Aber wenn wir aus der Community gespiegelt bekommen, dass es ihr ein Titel ganz besonders angetan hat, schauen wir selbstverständlich genauer hin. Von Einkauf bis hin zur Marketingplanung. 

Aktuell freuen wir uns beispielsweise auf „Finanzen ganz einfach” von Saidi Sulilatu. Bei monatlich hunderttausenden Zuschauer*innen auf YouTube, ebenso vielen Podcast-Aufrufen sowie klaren Wünschen aus der Community ist es für uns selbstverständlich, dass der Autor selbst lesen wird.

Sie sind seit Herbst 2022 Geschäftsführer von Hörbuch Hamburg, also schon fast 3 Jahre. Über welche Entwicklung freuen Sie sich am meisten?

Colin Hauer: Besonders freue ich mich, wie wir den Wandel hin zum digitalen Unternehmen gemeistert und uns zukunftssicher aufgestellt haben sowie täglich daran arbeiten, nicht nur programmatisch, sondern auch technologisch am Puls der Zeit zu sein.

Dafür haben wir mittlerweile auch völlig neue Möglichkeiten. Als Verlag sind wir weiterhin gewachsen und haben neben der Abteilung für Vertrieb und Business Development auch die Stelle einer Digital Innovation Managerin etabliert. Außerdem arbeiten wir an diversen Tools, die uns die Arbeit erleichtern und neue kreative Freiräume schaffen werden.

In den letzten drei Jahren konnte ich inmitten vieler neuer Lieblingshörbücher auch mehrere historische Meilensteine miterleben, das 25-jährige Jubiläum zum Beispiel oder das neue Verlagsgebäude in der Völckersstraße in Hamburg Ottensen. Die kontinuierliche Umsatzsteigerung und der weitere Aufstieg im Ranking der größten deutschen Verlage sind auch nicht schlecht...

An welchen Stellen kommt bei Hörbuch Hamburg KI zum Einsatz?

Colin Hauer: Als Hörbuchverlag agieren wir mittlerweile primär digital und befassen uns sehr engmaschig mit neuen Technologien und Innovationen. Künstliche Intelligenz nutzen wir insbesondere in der Unterstützung unserer menschlichen Kreativität und in der Abkürzung von administrativen und technischen Prozessen. Beispielsweise haben wir zusätzliche Checks als Sicherheitsnetz zur Fehlervermeidung ebenso implementiert, wie Automatisierungen von repetitiven Prozessen, mit denen wir uns Zeit und Nerven einsparen. Auf diese Weise bleibt mehr Energie für den spannenderen, kreativen Teil unseres Alltags.

Kürzlich haben wir eine Reihe von Workshops angeboten, bei denen die Mitarbeitenden gemeinsam mit Expert*Innen an Tools und Lösungen für den Arbeitsalltag gearbeitet haben. Die Begeisterungsfähigkeit und Kreativität des Teams hat mich dabei nicht im Mindesten überrascht – genau diese Offenheit macht Hörbuch Hamburg aus.

Das Sprechen ist mehr als die bloße Vertonung von Text. Es ist Beruf, Leidenschaft und eine Kunstform, die wir als Hörbuchverlag zutiefst respektieren. Auch das Feedback der Hörer*innen bestätigt dies unmissverständlich. Die menschliche Stimme berührt uns heute genauso wie bereits seit Jahrtausenden – eine zeitlose Qualität, die wir uns weiterhin erhalten wollen und werden.

KI-generierte Stimmen kämen für Sie nicht in Frage, sagten Sie kürzlich an anderer Stelle. Noch nicht?

Colin Hauer: Trotz aller technologischen Fortschritte kann die KI aktuell qualitativ keineswegs mit ausgebildeten Sprecher*innen mithalten. Das Sprechen ist mehr als die bloße Vertonung von Text. Es ist Beruf, Leidenschaft und eine Kunstform, die wir als Hörbuchverlag zutiefst respektieren. Auch das Feedback der Hörer*innen bestätigt dies unmissverständlich. Die menschliche Stimme berührt uns heute genauso wie bereits seit Jahrtausenden – eine zeitlose Qualität, die wir uns weiterhin erhalten wollen und werden.

Die Weiterentwicklung von neuen Technologien in dem Bereich beobachten wir sehr genau, ebenso wie die Aktivitäten und Erfahrungswerte von Hörbuchverlagen in anderen Märkten. Bislang deutet alles darauf hin, dass wir – und auch die anderen deutschen Verlage – uns auf dem Kurs befinden, der für das Medium der beste ist.

Was muss ein Buch haben, um bei Hörbuch Hamburg ins Programm zu kommen?

Colin Hauer: Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, potenzielle Titel sorgfältig zu prüfen und zu bewerten, ob sie inhaltlich überzeugen und sich auditiv umsetzen lassen. Dabei legen wir u. a. großen Wert auf eine möglichst große thematische Vielfalt, um Hörer*innen aller Alters- und Interessensgruppen anzusprechen. Wir haben aber nicht nur die jeweiligen Zielgruppen im Blick, sondern auch unsere Vision: gute Unterhaltung bieten, Emotionen wecken und unvergessliche Hörerlebnisse schaffen. Nicht zuletzt profitieren wir als Hörbuchverlag davon, Teil der Verlagsgruppe Bonnier zu sein – das ist ein großes Glück und gibt uns die Möglichkeit, schon innerhalb der Gruppe einem breiten Spektrum spannender Buchvorlagen ausgesetzt zu sein. 

Gibt es genug Vorlagen für Spitzenhörbücher auf dem Markt? Wie ist die Lizenz-Lage?

Colin Hauer: Genug, um damit mittlerweile mehr als 400 Hörbücher jährlich zu veröffentlichen. Was das Lizenzgeschäft betrifft, so sind gerade die vielversprechendsten Titel natürlich sehr umkämpft. Wir sind jedes Mal mehr als stolz darüber, wenn wir eine besondere Lizenz für uns gewinnen konnten – z. B. mit starken Besetzungsvorschlägen oder einem überzeugenden Gesamtpaket.

In Zusammenarbeit mit den Architekturbüros de Winder Architekten und Sternarchitekten wurde in der Völckersstraße 18 ein Hamburg ein neues Gebäude errichtet, in dem kreativ und flexibel gearbeitet werden können soll. 

Welche Trends beim Hörbuch beobachten Sie, inhaltlich, bei der Inszenierung, vielleicht auch bei Sprecherinnen und Sprechern??

Colin Hauer: Nach wie vor ist das Genre Romantasy – samt seiner Fans und Hörer*innen – sehr offen für neue Trends und innovative Inszenierungsformen. So haben wir etwa im Hörbuch „Onyx Storm“ ein Experiment gewagt: Zwei „Überraschungsstimmen“, die in keiner Ankündigung erwähnt wurden, kamen zum Einsatz. Neben der Stammbesetzung mit Dagmar Bittner und Vincent Fallow ließen wir Sandra Voss und Alina Vimbai Strähler zwei beliebte Figuren sprechen, die unerwartet in der Handlung auftauchten. Die Reaktionen auf Social Media haben gezeigt, dass wir damit große Emotionen beim Publikum wecken konnten.

Im September erscheint außerdem unsere erste vollständige Duett-Lesung eines Romans: „Daughter of No Worlds“ von Carissa Broadbent. Ähnlich wie im Hörspiel wechseln sich hier zwei Sprechende im Duett ab – eine Darstellungsform, die sich unsere Community ausdrücklich online gewünscht hat.

Spannend ist es auch, mit Bonuskapiteln zu arbeiten. Bei „Spark of the Everflame“ von Penn Cole haben wir beispielsweise nachträglich ein Bonuskapitel aus einer anderen Perspektive – und damit auch mit einer anderen Stimme – veröffentlicht. Das haben sich Fans schon bei der „Twilight“-Saga aus Edward Cullens Sicht gewünscht (und bekommen!), aktuell wird der Wunsch nach Zusatzcontent dieser Art aber immer lauter.

Die starke Entwicklung im Podcast-Bereich hatte bislang keine negativen Auswirkungen auf den Hörbuch-Boom, denn beide Formate haben sich parallel zueinander entwickelt. Besonders auf Plattformen, die sowohl Podcasts als auch Hörbücher anbieten, arbeiten wir intensiv daran, Nutzer*innen auch für unsere Inhalte zu gewinnen (z. B. mit Verlinkungen und Querverweisen, Podcast-Ads oder redaktionellen Erwähnungen von Hörbüchern in Buchpodcasts).

Immer mehr Podcasts, immer mehr Podcasts-Fans: Glauben Sie, dass die weiter wachsende Podcastliebe dem Hörbuch gefährlich werden könnte?

Colin Hauer: Im Gegenteil – wir sehen die wachsende Beliebtheit von Podcasts nicht als Gefahr, sondern als Chance, noch mehr Audiofans für das Hörbuch zu begeistern. Die starke Entwicklung im Podcast-Bereich hatte bislang keine negativen Auswirkungen auf den Hörbuch-Boom, denn beide Formate haben sich parallel zueinander entwickelt. Besonders auf Plattformen, die sowohl Podcasts als auch Hörbücher anbieten, arbeiten wir intensiv daran, Nutzer*innen auch für unsere Inhalte zu gewinnen (z. B. mit Verlinkungen und Querverweisen, Podcast-Ads oder redaktionellen Erwähnungen von Hörbüchern in Buchpodcasts). Audiofans konsumieren Audioinhalte auf vielfältige Weise – und freuen sich oft über zusätzliche Inhalte wie etwa bei Hörbüchern von beliebten Podcasts-Hosts wie Ulf Buermeyer und Philip Banse vom Podcast „Lage der Nation“ oder Rieke Havertz von „OK, America?“, deren Hörbuch im Herbst erscheint.

Insgesamt ist die positive Podcast-Entwicklung also eine Bereicherung für die gesamte Audiolandschaft.

Der Deutsche Hörbuchpreis war schon mal glamouröser.

Colin Hauer: Nach außen mögen Auszeichnungen wie der Deutsche Buchpreis größer und vielleicht auch glamouröser wirken, aber dennoch ist der Deutsche Hörbuchpreis der derzeit wichtigste Preis der Audiobranche. Auch das Hörbuch – eine tragende und stetig wachsende Säule der Buchbranche – verdient diese Wertschätzung. Wenn man sich das Nutzungsverhalten der Hörer*innen und die damit verbundenen Zahlen anschaut, ist die Entwicklung eindeutig.

Aber würden dem Hörbuch mehr rote Teppiche stehen? Absolut!

Nach außen mögen Auszeichnungen wie der Deutsche Buchpreis größer und vielleicht auch glamouröser wirken, aber dennoch ist der Deutsche Hörbuchpreis der derzeit wichtigste Preis der Audiobranche.

Profitieren Sie trotzdem von der Auszeichnung? Auch abseits von Ruhm und Ehre?

Colin Hauer: Wir freuen uns sehr darüber, bis heute insgesamt 17 Mal mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet worden zu sein (angefangen 2007 mit „Tannöd“ von Andrea Maria Schenkel und Monica Bleibtreu als „Beste Interpretin“). Der Preis bietet schon immer Orientierung für Presse, Handel und Endkund*innen und ist in jedem Fall ein starkes Qualitätssiegel, über das wir uns beim Erhalt immens freuen. Aber auch alternative Platzierungen wie die auf der hr2-Hörbuchbestenliste schätzen wir sehr wert oder freuen uns über Trophäen wie die von BookBeat – denn Letztere spiegeln das Konsumverhalten der Hörer*innen direkt wider (z. B. für meistgehörte Titel auf der Plattform).

Streaming ist mittlerweile Wachstumstreiber Nummer eins. Gibt es mit den bestehenden Plattformen ausreichend Angebote? Werden weitere Player dazukommen?

Colin Hauer: Erfreulicherweise blicken wir hier auf eine sehr dynamische Situation in den letzten Jahren zurück. Eine vielfältige Landschaft führt in erster Linie zu einem ebenso diversen Angebot für alle Nutzer*innen, die sich je nach persönlicher Präferenz für ein passendes Angebot entscheiden können. Im deutschsprachigen Raum haben sich über die Jahre eine Vielzahl an attraktiven Plattformen herauskristallisiert, die allesamt viele Hörbuchfans glücklich machen. Der Markteintritt von Spotify in diesem Jahr hat allerdings gezeigt, dass auch in einem weit entwickelten Markt Platz für neue Beteiligte und weiteres Wachstum ist. Daher werden wir mit Sicherheit auch in Zukunft Bewegung sehen.

Wird Streaming die „to own”-Modelle langfristig ablösen?

Colin Hauer: Das Spannungsfeld Access vs. Ownership lässt sich – wie in anderen Medienformen auch – beim Hörbuch beobachten. Insbesondere neue Player am Markt setzen auf Angebote, die an der Streaming-Generation orientiert sind. Aber nur, weil neue Zielgruppen mit neuen Modellen erschlossen werden, muss das im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass in der bestehenden Community der Wunsch nach dauerhaftem Besitz – ob physisch oder digital sei dahingestellt – nachlässt. Erfreulicherweise kann man das individuell je nach eigenem Geschmack entscheiden. Die einen probieren jeden Tag etwas Neues und möchten auf der Suche nach der liebsten Stimme möglichst überall reinhören, während sich andere lieber am eigenen Fundus bedienen und ihre Lieblingshörbücher immer wieder hören.

Der Umsatzanteil physischer Produkte liegt heute im Einklang mit der Nachfrage am Markt im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

In welchem Maße produziert Hörbuch Hamburg noch Audiobooks auf CD?

Colin Hauer: Die Einführung unseres Digitalprogramms 2011 hat es uns ermöglicht, unser Programm vielfältiger, schnelllebiger und flexibler zu gestalten – und mittlerweile überwiegt das digitale Angebot deutlich. Der Umsatzanteil physischer Produkte liegt heute im Einklang mit der Nachfrage am Markt im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Trotzdem bleibt das physische Hörbuch für uns dort wichtig, wo es sinnvoll ist – etwa bei besonderen Liebhaber*innen-Titeln oder hochwertigen Ausgaben mit besonderer Ausstattung. Ein aktuelles Beispiel ist die limitierte Hörbuchbox von Karin Kuschiks „50 Fragen, die das Leben leichter machen“, die im Oktober erscheint und auf die ich mich persönlich besonders freue.