Kolumne von Veronika Weiss

Workaholic sein ist out

3. Januar 2022
von Veronika Weiss

Wie ist es möglich, beruflich weiterzukommen, ohne sich selbst auszubeuten? Gerade, wenn man sich selbstständig macht, hört man dauernd, das ginge nur "selbst und ständig". Unsere Kolumnistin möchte das hinterfragen - und sieht sich lieber im Team Hard Worker.

Ich bin kein Fan einer 50-plus-Stunden-Woche. Niemand kann mir erzählen, dass man täglich zehn oder mehr Stunden konzentriert arbeiten kann und damit glücklich, ausgeglichen und gesund ist. (Also erzählen schon, aber ich würde es nicht glauben.) Trotzdem ist manchmal an allen Ecken und Enden Unaufschiebbares zu tun. Was dann?

Mir hilft hier bei hohem Workload die zeitliche Flexibilität in der Arbeitseinteilung enorm. Denn es ist nach meiner Erfahrung für den Kopf wesentlich einfacher, wieder durchzustarten, wenn eine energetisierende Pause stattgefunden hat. Die lässt sich mit freier Zeiteinteilung auch am selben Tag einbauen, und danach kann man wieder für einige Stunden frisch ans Werk gehen. (Diese Zeilen schreibe ich nach einer langen Mittagspause mit Kochen, Essen und Mittagsschlaf.)

Mini-Sprints als Vehikel für mehr Produktivität

Noch kleinteiliger liebe ich es: Ich gestalte den Tag in mehreren Sprints. Ein Sprint ist eine Technik aus der agilen Arbeitswelt und bedient sich eines simplen Tricks: Eine zeitlich abgesteckte, überschaubare Arbeitsphase ist besser zu bewältigen. Es folgt meistens (mindestens) eine Revisionsphase in einem weiteren Sprint.

Dieses System, das eigentlich für Teams gedacht ist, breche ich für mich allein runter: Mini-Sprints von 45 Minuten bis 1,5 Stunden empfinde ich als sinnvoll. Ich lege mir dann eine Aufgabe zurecht und haue ordentlich rein. Rein psychologisch ist diese Herangehensweise nämlich viel motivierender. In Szenario 1, ohne Sprints, denkt man am Anfang des Tages: „Ich habe acht Stunden Zeit, vielleicht neun, da ist abends die To-do-Liste bestimmt kürzer.“ (Ohne ein Seufzen ist diese Aussage kaum denkbar …) In Szenario 2 hat man den Schreibtisch gerade vorbereitet und sagt sich: „Von jetzt an bis 8:45 widme ich mich ganz Thema X und mache, so viel ich nur schaffe.“ Das klingt allein im Kopf schon ganz anders; bei diesem konkreten Vorhaben schwingt der Tatendrang schon mit, oder?

Geist und Körper Abwechslung schenken

Ein erfolgreich absolvierter Sprint motiviert ungemein, und man geht mit dem richtigen Mindset an den nächsten ran. Noch ein Trick: Themenwechsel machen wieder wach im Kopf. Nach einer Einheit Lesen und einem Schreib-Sprint tut es gut, für 45 Minuten an Mails oder Listen zu arbeiten oder im Meeting zu sitzen.

Erwiesenermaßen wichtig ist die Qualität der Pausen, wie schon kurz erwähnt. Sich vom PC ab- und dem Handy zuzuwenden, bringt wenig. Nach spätestens einer Stunde sollte man den Augen etwas Abwechslung gönnen, sonst werden sie zu schnell müde. Schauen Sie woanders hin, am besten weit weg, raus. Und machen Sie in längeren Pausen etwas, das dem Arbeiten so weit entgegengesetzt ist wie möglich: mit dem Haustier spielen, Sport, Gartenarbeit, Musik hören oder machen, meditieren, einen Schneemann bauen, bügeln, ein Geschenk einpacken … Je nachdem, was die Arbeitsumgebung hergibt – und für perfekte Pausengestaltung ist das Homeoffice ideal. Da passt ganz viel Leben neben die Arbeit.

Workaholic sein ist out

Ein neuer Begriff kursiert, der das zum Glück endgültig negativ besetzte "Workaholic" abzulösen scheint: Hard Worker. Wer als Hard Worker gilt, tut grob gefasst folgendes: hohes Engagement zeigen, Effizienz und Produktivität steigern, sinnvoll priorisieren, den Überblick wahren, Ziele optimistisch im Auge behalten, sich selbst motivieren. Meine Mini-Sprints schaffen hierfür einen ganz brauchbaren Rahmen. "Hard Work" sehe ich als Modell, mithilfe dessen es möglich sein kann, viel zu schaffen und daran Freude zu haben, ohne ausschließlich für den Job zu leben. Ein Trend, dem nachzueifern nicht verkehrt ist.

UNSERE KOLUMNISTIN

Veronika Weiss (36) ist in Wien aufgewachsen und hat dort Germanistik und Musikwissenschaften studiert. Nach Praktikum und Elternzeitvertretung arbeitet sie in Hamburg als Lektorin in der Verlagsgruppe HarperCollins (Cora Verlag) und nebenbei frei als Texterin. Im Börsenblatt schreibt Weiss unter anderem über Trends in der Arbeitskultur, Berufseinstieg und Work-life-Balance.