Wenn der Pastor trinkt
Trinker sind willensschwache, bedauernswerte Menschen, die mit ihrer Flasche vor dem Hauptbahnhof sitzen. Dachte ich.
Trinker sind willensschwache, bedauernswerte Menschen, die mit ihrer Flasche vor dem Hauptbahnhof sitzen. Dachte ich.
Google war mein Freund, wenn ich wieder einmal nachschaute, ab wann man als Alkoholiker zählt. Zum Glück fand ich genug Unterschiede zu diesen Menschen – und dann öffnete ich einen Wein und trank etwas. Was mit dem Faible für einen guten Bordeaux begonnen hatte, war längst zu einem Problem geworden, das ich selbst nicht wahrhaben wollte, und das ich als Berufschrist meiner Meinung nach nicht haben durfte.
Irgendwann einmal hatte ich in einer Predigt angedeutet, dass ich Schwierigkeiten mit Alkohol hatte, aber niemand nahm das besonders ernst. Ich auch nicht. Stattdessen pflegte ich vor mir selbst ein gewisses Hemingway-Image und redete mir ein: Ich komme damit klar, und Alkohol macht mich kreativ.
Dann stand ein Treffen als Gemeindeleitung an. Ich hatte mittags etwas getrunken, war eingeschlafen und schreckte dann hoch. Ich beeilte mich und lief zum Meeting, ohne groß über meinen Zustand nachzudenken. Der war "schwierig", denn es war mehr als ein Glas zu viel gewesen und ich konnte nicht mehr klar reden. Das realisierte ich allerdings erst, als ich dort meinen Mund aufmachte. Peinlich! Jetzt konnte es ein Blinder mit Krückstock sehen, dass ich ein Alkoholproblem hatte. An diesem Tag versuchte ich noch, mich mit einem "Mir geht es nicht so gut" herauszulavieren, doch als ein Freund am nächsten Tag hartnäckig nachfragte, brach mein Widerstand zusammen. Ich war frustriert über mich selbst, aber gleichzeitig unendlich erleichtert: endlich kein Versteckspielen mehr. Es war mein Einstieg in den Ausstieg.
Ich arbeitete schon viele Jahre im christlichen Sektor: in der Kommunikationsabteilung eines Missionswerks, als freier Lektor für christliche Verlage und gerade erst als Pastor in Teilzeit für eine kleine Gemeinde. Ich "funktionierte". Dabei fühlte ich mich als erbärmlicher Heuchler. "Wen der Sohn frei macht, der ist wirklich frei", las ich in der Bibel, und dann schaute ich in den Spiegel und hätte kotzen können. Konnte es sein, dass Gott mich gar nicht verachtete? Anderen sprach ich gern seine Vergebung und Gnade zu – bei mir selbst fiel es mir schwer.
Ich beschloss, das Trinken sein zu lassen. Nicht weniger oder kontrolliert zu trinken – das hatte bei mir noch nie funktioniert –, sondern aufzuhören. Für immer. Der Schritt machte mir Angst, aber ich dachte an meine Abstürze und Ausfälle und das, was ich in mir und anderen kaputtmachte, und versuchte es.
Überraschenderweise bekam ich keine Probleme. Ich lebte wieder, und mein Verlangen, Alkohol zu trinken, war gleich null. Wahrscheinlich gibt es hierfür eine kluge wissenschaftliche Erklärung – ich bin Gott einfach unendlich dankbar dafür, dass es so ist. Inzwischen sind es anderthalb Jahre, in denen ich keinen Tropfen getrunken habe.
Hauke Burgarth (60) lebt als Pastor, Autor und freier Lektor in Pohlheim bei Gießen. Er ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder.
Das Buch "Wenn Mann scheitert" erscheint im März 2025.
In dem Buch "Wenn Mann scheitert" erzählen Männer schonungslos und ehrlich davon, wie Lebenskrisen sie aus der Bahn geworfen haben: Das Scheitern im Beruf, die Pleite, eine Ehekrise oder eine schwere Verletzung. Sie berichten davon, wie der Glaube an Gott ihnen geholfen hat, neue Lebensperspektiven zu finden.
Wenn Mann scheitert
Wahre Geschichten von Krisen, Umwegen und neuen Perspektiven
Hauke Burgarth (Hrsg.)
16,00 € (DE)
ISBN 978-3-7655-3345-7
160 Seiten
Brunnen Verlag GmbH