Börsenblatt Young Excellence Award 2022

Petya Lund: Auf europäischer Mission

20. Juni 2022
von Christina Busse

Vor fünf Jahren hat sie einen eigenen Verlag gegründet: Die Bücher des eta Verlags sollen deutschen Leser:innen mit modernen literarischen Stimmen Südosteuropas vertraut machen. Petya Lund ist beim #yeaward nominiert.

Petya Lund vor schwarzem Hintergrund

Petya Lund will Autor:innen aus Südosteuropa bekannter machen

Europa der weißen Flecken

Alles eine Frage der Perspektive: Nur wenige Kilometer liegen zwischen Deutschland und Südosteuropa, und trotzdem ist Literatur aus dem Balkan hierzulande kaum bekannt. „Geografisch ist es ein kurzer Weg, aber in der Wahrnehmung der Menschen ist es ein anderes Universum“, sagt Petya Lund. Dabei gebe es wirklich gute Autoren und Autorinnen, meint sie, die aber nur selten die Chance erhielten, auf Deutsch verlegt zu werden.

Um diesen weißen Fleck auf der literarischen Landkarte mit Inhalt zu füllen, hat sie im Jahr 2016 in Berlin den eta Verlag gegründet. Vier Bücher überwiegend zeitgenössischer Autor:innen bringt sie pro Jahr heraus, wurde dafür sogar schon mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet. Für die gebürtige Bulgarin, die in Köln Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft studiert hat, ein riesiger Ansporn, sich jeden Tag wieder aufs Neue einer Herausforderung zu stellen, die sie mit einem Puzzle vergleicht: Mit der Zeit und nicht ohne Anstrengung fügen sich dabei unzählige Einzelteile zum großen Ganzen zusammen, das erst zum Schluss ein ansprechendes Bild – in diesem Falle: Buch – ergibt.

Die Idee dazu entwickelte sie schon, als sie 2013 beginnt, für das Netzwerk Traduki als freiberufliche Übersetzerin und Dolmetscherin tätig zu werden. Das internationale Projekt, das unter anderem vom Auswärtige Amts der Bundesrepublik Deutschland getragen wird, hat zum Ziel, den Südosten Europas mit dem deutschsprachigen Raum und seiner Literaturwelt sowie die südosteuropäischen Nachbarn untereinander zu verbinden. „Für mich stellte es eine Brücke zu den Autor:innen dar und mir wurde bewusster denn je, dass es so viel Neues und Spannendes zu entdecken gibt – für uns alle“, erläutert Lund.

Verlagsgründung – learning by Doing

Ihre Neugier und Freude am Entdecken will sie seitdem teilen: „Die Möglichkeit, andere Menschen und Kulturen über die Kunst und Literatur kennenzulernen, halte ich persönlich für den sinnvollsten Weg, kulturelles Bewusstsein und Toleranz zu fördern."

Die Verlagsgründung war für sie ein „Sprung ins Ungewisse“. „Ich habe mir vier Titel besorgt, Übersetzer, und dann ging’s los – aber es war sehr viel schwieriger und braucht viel mehr Wissen, als ich mir vorgestellt hatte“, erzählt die 39-Jährige im Rückblick. Mit sehr viel Learning by Doing fügten sich die Teile des besagten Puzzles zusammen, vieles war Neuland, von Vertragserstellung, Typografie, Druck, Werbung, Mailings, Auslieferung, Lieferketten, Vorteilsprogrammen… um nur einiges zu nennen. Noch heute ist sie Sebastian Guggolz, der 2014 den Guggolz Verlag gegründet hat (und der bereits selbst für den Börsenblatt Young Excellence Award nominiert war), dankbar dafür, dass sie ihn mit ihren Fragen „terrorisieren“ durfte.

Den Auftakt im Programm macht 2017 der Lyrik-Band „Par Avion“ mit Gedichten von Emanuil A. Vidinski, die Petya Lund selbst aus dem Bulgarischen übersetzt hat. Es folgen Kurzgeschichten, Romane und ein Kinderbuch. Der Fokus liegt anfangs auf Werken aus Bulgarien. „Doch bald hat unsere Erfahrung auf Festivals, Buchmessen und Lesungen uns gezeigt, wie wenig die starken und einzigartigen Stimmen aus Südeuropa hier wahrgenommen werden“, berichtet Lund. Sie erweitert das Programm, es kommen Autor:innen aus Serbien, Kroatien, Bosnien, Herzegowina und Montenegro hinzu, die in ihren Heimatländern mit ihren Werken längst anerkannt sind. „Es sind wichtige, schmerzhafte Themen und Geschichten, die Spuren und Erinnerungen hinterlassen. Das Entscheidende ist, dass wir durch persönliche Geschichten das Universelle erzählen und uns auf diesem Wege näherkommen. Letztendlich unterscheiden wir uns Menschen gar nicht so sehr von einander. Europa ist nicht besonders groß und das Gute lauert überall“, ist Petya Lund überzeugt.

Europa ist nicht besonders groß und das Gute lauert überall.

In Kooperationen denken

Sie stellt ihr Programm international auf Messen vor - und hofft zum Beispiel sehr, dass die Internationale Buchmesse in Belgrad in diesem Herbst stattfinden kann -, organisiert Lesereisen und veranstaltet sogar ein eigenes Kulturfestival, Cyrillic Sounds, in Berlin, das gerade zum fünften Mal stattfand. Mit Lesungen, Ausstellungen, Filmen, Diskussionen und Konzerten rückt es die Kulturschaffenden aus der Balkanregion ins Rampenlicht und bringt sie einer größeren Öffentlichkeit nahe. „Kollaborationen sind dabei extrem wichtig“, sagt Lund, die auch ehrenamtlich im Verein für Bulgarische Sprache und Kultur in Berlin aktiv ist.

Ihr verlegerisches Engagement wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Highlight bisher: Der Deutsche Verlagspreis, der kleine, unabhängige Verlage für ihr Programm abseits ausgetretener Pfade und für ihren „echten Mut zum unternehmerischen Risiko“, so Kulturstaatsministerin Monika Grütters, würdigt und mit 24.000 Euro dotiert ist. Eine „extrem wichtige Finanzspritze“ und „nach fünf schwierigen Jahren“ auch eine wichtige Bestätigung für die geleistete Arbeit, so Lund, die sehr bedauert, dass die Preisverleihung im Jahr 2021 wegen Corona ins Wasser fiel – und damit auch die Möglichkeit zu Austausch und Vernetzung.

Autorinnen sichtbar machen

Doch sicher ist: „Ohne finanzielle Förderung ist die Existenz von kleineren Verlagen abseits von Konsumüberlegungen nicht möglich“, erklärt Lund, die auch dank Übersetzungs-Fonds und Europa-Projekten etwa 60 Prozent der anfallenden Kosten aus diversen Fördertöpfen finanziert bekommt und - auch wenn die Antragstellung „extrem bürokratisch“ ist - keine Chance auslässt, Mittel für die Veröffentlichung der Autor:innen aufzutreiben, die ihr so sehr am Herzen liegen. „Sie haben den Zugang zu einem größeren Publikum verdient“, so ihr Antrieb.

Lund ist zuversichtlich, dass das Interesse am Programm des eta Verlags weiter wachsen wird: Von der Zielgruppe der Deutschen mit familiären Wurzeln in Südosteuropa über Emigrant:innen, die Literatur als Verständnis schaffende Brücke, als Mittel der Annäherung auch innerhalb der Balkanregionen verstehen oder einfach eine „gewisse Sehnsucht“ nach Lesestoff aus ihrem Kulturraum haben, bis hin zu Leser:innen, die ihren literarisch-geografischen Horizont erweitern wollen. Einen Schwerpunkt sollen dabei zukünftig Werke von Autorinnen bilden. „Frauen werden im eta Verlag eine Bühne bekommen. Sie werden noch viel zu wenig übersetzt, das muss sich unbedingt ändern. Wir wollen ein Signal setzen.“

Auf ein Wort:

Erster Eindruck: „Als Achtklässlerin am Deutschen Gymnasium in Sofia kam ich für einen Sprachkurs zum ersten Mal nach Deutschland. Ich verbrachte die Zeit bei einer Gastfamilie in Heidelberg und habe mich in diese unglaublich schöne, kleine und romantische Stadt verliebt. Mit 19 Jahren und der Zusage für einen Studienplatz in der Tasche bin ich wiedergekehrt, erst nach Konstanz, dann nach Köln.“

Leseherbst: „Im Herbst 2022 erscheinen die ersten zwei Bücher des Projektes „Fragment Of A Women“, das von der Europäischen Kommission unterstützt wird: „Denk Dir die Stadt“ von Lejla Kalamujić aus Bosnien (übersetzt von Marie Alpermann) über das Leben als queere Frau in Bosnien und Herzegowina. Und „Katharina, die Große und die Kleine“ von Olja Knežević aus Montenegro, die sich mit dem Leben der modernen Frauen in der noch ausgeprägt patriarchalischen Gesellschaft in Montenegro befasst.“

Hingucker: „Romane und Kurzgeschichten aus dem eta Verlag haben das „korporative“ Design, entworfen vom Berliner Designer Stefan Müssigbrodt: Das Cover ist einfarbig mit einem schwebenden Objekt. Die Lyrik-Reihe wird von der Hamburger Künstlerin Gaby Bergmann gestaltet. Dabei geht es nicht um bloße Covergestaltung, sondern um eine visuelle Übersetzung des Textes in Bilder, die als Illustrationen in den Büchern zu finden sind.“

Zur Person:

Petya Lund kam 1983 in Kotel nahe der bulgarischen Schwarzmeerküste zur Welt und wuchs in Sofia auf, wo sie das Deutsche Gymnasium besuchte. Anschließend studierte sie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft (M.A.) an der Universität zu Köln. Seit 2014 ist sie freiberufliche Übersetzerin und lebt mit Mann und zwei Kindern in Berlin. 2016 hat sie den eta Verlag gegründet, in dem sie Werke von Autor:innen aus den Balkanländern herausbringt. Daneben organisiert sie kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen, Konzerte, Ausstellungen und Filmvorführungen mit Bezug zu Südosteuropa.