Eröffnungs-PK der Frankfurter Buchmesse

"Ich glaube an eine Literatur, die Menschen verbindet"

15. Oktober 2019
von Börsenblatt
Auf der Eröffnungs-PK der Frankfurter Buchmesse (16.−20. Oktober) wurden heute die Themen der fünf Messetage umrissen − so soll das "Augenmerk auf die Relevanz von Kultur in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels" gerichtet werden, sagte Messedirektor Juergen Boos. Zu Gast war Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk − ein erstes Highlight. 

Die frisch gekürte, polnische Literaturnobelpreisträgerin 2018, Olga Tokarczuk, zog das Blitzlichtgewitter im Frankfurt Pavilion auf sich. Tokarczuk befindet sich gerade auf Lesereise in Deutschland und kam am 15. Oktober auf  einen Zwischenstopp zur Eröffnungs-Pressekonferenz der Frankfurter Buchmesse.

Auf Polnisch erzählte Tokarczuk, eine Übersetzerin an ihrer Seite, wie sie von der Auszeichnung der Schwedischen Akademie erfahren habe − per Telefon auf einer Autobahn-Raststätte auf der Strecke zwischen Berlin und Bielefeld, wo ein Lesetermin anstand: "Ich war weitgehend fassungslos, und nicht entsprechend angezogen". Beeindruckt war sie dann vom herzlichen Empfang in Bielefeld. Sie glaube an eine "Literatur, die Menschen verbindet, das Gemeinsame herausstellt", so ihr Credo: "Literatur, die deutlich macht, dass wir auf tieferer Ebene durch unsichtbare Fäden verbunden sind." Sie stelle sich anhand der aktuellen globalen Entwicklungen jedoch die Frage, ob es überhaupt möglich sei diese Welt zu passend zu beschreiben.

Im Gespräch mit Messedirektor Juergen Boos, äußerte sich Tokarczuk auch zu den jüngsten Parlamentswahlen in Polen, deren Ergebnis sie nicht begeistert hätte. Zuvor hatte sie die Wahlen als Entscheidung zwischen Autokratie und Demokratie apostrophiert. Immerhin würde sie sich freuen, dass Linke und Grüne als Gegengewicht künftig im Abgeordnetenhaus vertreten sind.

Zur Debatte um Peter Handke als Literaturnobelpreisträger 2019 könne sie wenig sagen, weil sie auf ihrer Lesereise Nachrichten kaum verfolge. Ein Pressevertreter im Plenum fragte, Peter Handke sei in der Öffentlichkeit momentan offenbar der "Bad Boy", sie das "Good Girl" − wie sie mit dieser Rollenverteilung zufrieden sei? "Ich bin eher damit vertraut, das 'Bad Girl' zu sein − jetzt kann ich das genießen", antwortete Tokarczuk mit einem Augenzwinkern. Aus der Debatte hielt sie sich so gekonnt heraus.

"Wir brauchen Autorinnen und Autoren, die Widerstand ausüben"

"Durch intensives persönliches Networking können Neuigkeiten, Stoffe, Ideen, Impulse an wenigen Tagen mehr Grenzen überschreiten und weitreichender, unmittelbarer kommuniziert werden, als per E-Mail oder Skype", beschrieb Juergen Boos die wichtige Rolle der Buchmesse. Mit der Initiative "Create Your Revolution" soll zudem das "Augenmerk auf die Relevanz von Kultur in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels" gerichtet werden. Die Buchmesse wolle dazu beitragen, der "Kultur ihren ureigenen Stellenwert zurückzugeben". Sie sei das "Rückgrat unserer Gesellschaft, sie vermittelt Orientierung und Zugehörigkeit", so Boos, der in einer "Welt in Aufruhr" Menschrechts- und Umweltaktivisten, bekannten wie Greta Thunberg und eher unbekannten wie der afghanischen Bürgerrechtlerin Roshan Tseran, seinen Respekt zollte − und anfügte: "Wir brauchen Autorinnen und Autoren, die Widerstand ausüben, die Missstände anprangern", Risiken dafür in Kauf nähmen. Und natürlich Verlage, Übersetzer, Buchhandlungen und Bibliotheken, die deren Texte verbreiten.

Und die Zukunft der Branche? Hier führte Boos das Manifest "Publishing 2025: a vision" von Margot Atwell (Kickstarter) an, fügte den fünf Punkten von Atwell (Diversität, Dezentralisierung, Communities, Daten, Diversivizierung), mit denen er nicht in allem übereinstimme, drei Prunkte hinzu: Inhalte, Innovation und Nachhaltigkeit. Letzteres sei ein Schwerpunktthema der Buchmesse.

"Eine Zeit, in der es global ums Ganze geht"

Der scheidende Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller stimmte auf "fünf Tage voller Bücher, Debatten und Gesprächsterminen ein" und richtete seinen Blick auf die Entwicklung der Buchbranche und deren Funktion in der Gesellschaft.

In einer "Zeit, in der es global ums Ganze geht", trage die Buchbranche eine große Verantwortung, müsse Debatten anstoßen und mitgestalten − der Noch-Vorsteher nennt etwa die Thema Globalisierung und Digitalisierung, Klima- und Umweltschutz, Migration und Menschenrechte. Ein Indiz, dass dies gelinge sei die gestiegene Nachfrage nach Sachbüchern: Im laufenden Jahr hätten Sachbücher zu Natur und Technik beim Umsatz um 26 Prozent, solche zu Politik und Gesellschaft um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zugelegt. Die "Freiheit des Wortes ist Grundlage unserer Demokratie und nicht verhandelbar", betonte Riethmüller. Er lud dazu ein, an der vom Börsenverein mitorganisierten Mahnwache für Meinungsfreiheit (siehe Archiv) während der Buchmesse teilzunehmen.

Insgesamt habe der Buchmarkt von Januar bis September ein kumuliertes Umsatzplus von 2,5 Prozent verzeichnet, für den Rest des Jahres sei man zuversichtlich.

Für Heinrich Riethmüller ist es die letzte Frankfurter Buchmesse als Vorsteher des Börsenvereins, nach der Messe folgt ihm Karin Schmidt-Friderichs nach. Riethmüller wünschte ihr alles Gute und bedankte sich bei den Zuhörern für die "gute, respektvolle Zusammenarbeit" in seiner Amtszeit.

Herausforderungen ans Urheberrecht

Francis Gurry, Generaldirektor der World Intellectual Property Organisation (WIPO), wies auf die Herausforderungen für das Urheberrecht hin, die die digitalen Entwicklungen mit sich bringen. Er sprach von einer "institutionellen Krise": Das Tempo des technologischen Wandels sei so groß, dass die zuständigen Institutionen sich nicht rechtzeitig anpassen könnten, um den Prozess zu steuern. Er forderte eine gemeinsame, globale Lösung für das "außerordentlich wichtige Urheberrecht". Eine Frage sei etwa, wie Autorenschaft bei KI-Texten aussehe. Man müsse das gesetzliche Rahmenwerk in den Griff bekommen, wenn es um Daten gehe.

mg