"Feuchtgebiete" von Charlotte Roche

Debütroman einer Exzentrikerin

6. Dezember 2019
von Börsenblatt
Ein Fortsetzungsabdruck im Börsenblatt, der Sie inspirieren könnte: Wie wäre es mit einem Skandal-Bücher-Tisch in Ihrer Buchhandlung? Clemens Ottawa hat die öffentlichen Diskussionen von 61 "Skandalbüchern" nachgezeichnet, zehn daraus lesen Sie hier!

Der renommierte Verlag Kiepenheuer & Witsch lehnte dieses Buch seinerzeit ab, weil er es für extrem pornografisch hielt. Es konnte natürlich niemand ahnen, dass es sich fast eineinhalb Millionen Mal verkaufen würde – im ersten Jahr der Veröffentlichung. Auch der Nachfolgeroman Schoßgebete (in diesem zweiten Teil verarbeitete die Autorin den privaten Schicksalsschlag, dass ihre drei Halbbrüder 2001 auf dem Weg zu ihrem Hochzeitstag bei einem Autounfall starben) wurde ein Verkaufsschlager und mittlerweile wurden auch beide Bücher bereits verfilmt (Feuchtgebiete 2013, Schoßgebete 2014).

Charlotte Roche (geboren 1978), deutsch-britische Moderatorin und Musikjournalistin bei VIVA und MTV, und schon in diesen Funktionen als flippige Exzentrikerin und Enfant terrible bekannt gewesen, sorgte gleich mit ihrem Debütroman, der im Februar 2008 erschien, für einen ungeahnten Hype, einen Publikumsmegaerfolg und einen handfesten Skandal. Die Neo- Autorin brach in ihrem Buch Feuchtgebiete das schließlich im Dumont Verlag erschienen war, beinahe jedes Tabu. Es plädiert einerseits für weniger Körperhygiene, andererseits kommen lange Gedankenpassagen der Protagonistin über Analverkehr, Intimrasur, Prostitution, Intimhygiene und verschiedene Masturbationstechniken vor.

Hier schrieb nun keine, die ernsthaft als Autorin bezeichnet werden konnte, und gerade darin lag für viele KäuferInnen womöglich auch der Reiz an diesem Buch. Man nahm dieser Quereinsteigerin in den Literaturbetrieb vieles von dem, was sie beschrieb, auch wirklich ab. Der Rummel um ihre Person wurde Roche dann aber doch irgendwann zu groß und sie zog sich aus dem Literaturbetrieb zurück, weil sie sich, wie sie einmal sagte, sowieso niemals als Autorin gesehen hatte. Ihren Büchern tat das keinen Abbruch – im Gegenteil, noch immer wurde sie vor allem von der Bild als Skandalnudel dargestellt.

Die Scheidung der Eltern, wie sie auch Roche selbst erlebte, bildet den Beginn und auch den Rahmen des Buches, denn alles, was im Leben der Protagonistin passiert, ist irgendwie eine Folge dieser Scheidung. Die Geschichte um die achtzehnjährige Helen Memel, die in einem Krankenhaus wegen einer Analfissur behandelt wird, kommt mit einer schonungslos expliziten und provokanten Sprache daher, die vor allem Themen wie Sexualität und Körperpflege oder mangelnde Körperhygiene minutiös beschreibt. Die Wartezeit im Krankenhaus nutzt Helen auch, um über ihr angespanntes Verhältnis zur Mutter nachzudenken – am Ende beschließt sie, den Kontakt zu ihr völlig abzubrechen. Ihren Krankenhausaufenthalt selbst versucht Helen dazu zu nutzen, ihre geschiedenen Eltern wieder zusammenzubringen, was ihr jedoch misslingt. Sie sinniert zudem über die sexuellen Fantasien, die sie mit ihrem Bruder hat, und über ihr sexuelles Verlangen. Auch der Krankenpfleger Robin ist das Objekt von Helens Begierde. Ihn bittet sie, ihre Fissur zu fotografieren. Als sie ihn vom Fenster aus mit einer seiner Kolleginnen spazieren gehen sieht, bekommt Helen einen Eifersuchtsanfall. Es gibt jedoch ein Happy End für sie und Robin, jedoch nicht für Helen und ihre Familie. Sie verlässt mit Robin das Krankenhaus auf dessen Fahrrad.

Der Sturm der Entrüstung über Inhalt und Sprache des Buches war enorm. Man warf der Autorin vor, hier kalkuliert Tabus gebrochen zu haben, je extremer, desto besser. Die sexuell expliziten und provokanten Schilderungen führten zu einer heftigen, öffentlich und sehr emotional geführten Debatte. Das Schwärzen von einzelnen Passagen, etwa dem »Dildogemüse« oder zu detaillierten Schilderungen von Analverkehr und »Spermakonsistenz « stand im Raum, aber natürlich war man sich auch einig, dass das Motto »sex sells« (egal, wie ekelhaft es geschildert wird) weiter gelten sollte. Und so wurde Feuchtgebiete zum unzensierten Verkaufshit des Jahres 2008. In nur sechs Wochen wurden 400.000 Exemplare verkauft und dieser Umstand sorgte auch bei Charlotte Roche für etwas Überraschung. Sie zeigte sich verwundert, dass dieses, ihrer Aussage nach, »kranke Buch ein Massenphänomen wird«. Eigentlich sei Feuchtgebiete »aus einer Wut über Intimwaschlotionen heraus« entstanden, gab Roche zu – was die ungewöhnliche, eher ablehnende Beziehung der Hauptfigur zum Thema Körperhygiene erklärt.

Literarisches Genre: Roman (2008)
Herkunftsland: Deutschland

Dieser Text stammt aus dem Buch "Skandal. Die provokantesten Bücher der Literaturgeschichte! von Clemens Ottawa. 

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