Insolvenzantrag gestellt

binooki wurde Opfer eines Betrügers

12. März 2020
von Torsten Casimir
Der binooki Verlag hat beim Amtsgericht Charlottenburg Insolvenzantrag gestellt. Damit steuert eines der spannendsten Literaturprojekte der letzten Jahre auf sein Ende zu. Wie es dazu kam, muss ausführlich berichtet werden. Denn zugetragen hat sich eine Räuberpistole, eine bizarre, rätselhafte Kriminalgeschichte. Hier ist sie.

Acht Jahre, nachdem die beiden Schwestern Selma Wels und Inci Bürhaniye in Berlin den Verlag binooki gegründet hatten, liefen die Geschäfte zunehmend schlecht. Dem literarischen Programm war das nicht anzulasten. Es brachte wichtige Bücher türkischer Autorinnen und Autoren erstmals in deutscher Sprache (allen voran ist Oğuz Atays epochales Werk "Die Haltlosen" zu nennen), bedeutende Preise wie den europäischen Kairos-Preis 2017 für die verlegerische Arbeit, hohe Aufmerksamkeit und Wertschätzung durch die Feuilletons. Qualität und Rezeption lagen für diesen kleinen Verlag, der sich vorgenommen hatte, in einer "klischeefreien Zone" zu arbeiten, auf erfreulichem Niveau. Dennoch haperte es mehr und mehr mit der Sichtbarkeit im Buchhandel. In der Folge musste die Produktion neuer Titel abgespeckt werden, um noch halbwegs kostendeckend zu arbeiten. Eine klassische Abwärtsspirale, die zeigt, dass Ruhm und Reputation im Kulturbetrieb leider zu den flüchtigen Beständen gehören.

In dieser Zeit reifte bei der Verlegerin Selma Wels und ihrer Schwester der Entschluss, für binooki einen Käufer zu finden. "Ich wollte den Verlag wirtschaftlich stabilisieren und zukunftssicher aufstellen", erklärt Wels im Gespräch mit dem Börsenblatt ihr Ziel. Also versicherte sie sich Mitte 2019 der Vermittlungshilfe eines Unternehmensberaters. Und tatsächlich fand sich, so schien es, im November ein Käufer. Mit dem Kaufinteressenten, erzählt Selma Wels, habe sie sich mehrfach getroffen, "ein älterer Herr, ursprünglich aus Frankfurt, der mit seinem Sohn gemeinsam als Gesellschafter fungieren wollte. Ich sollte für ihn weiterhin als verlegerische Geschäftsführerin von binooki arbeiten, mein Arbeitsvertrag wurde auch direkt vorgelegt."

Technisch sah der Plan vor, aus der ehemaligen GmbH & Co. KG eine reine GmbH zu machen, die Kommanditgesellschaft also aufzulösen, sowie einen stillen Gesellschafter, der von Anfang an dabei war, auszuzahlen. Von der vereinbarten Kaufsumme sollte überdies ein Gründungskredit, der fällig wurde, abgelöst werden. Ein Notartermin fand statt, der Kaufvertrag wurde unterschrieben. Alles schien geregelt, als Zahlungsziel wurde der 10. Januar 2020 vereinbart. Das Datum jedoch verstrich, ohne dass auch nur ein Cent transferiert worden wäre. Mitte des Monats, berichtet Wels, habe dann der Notar nach seinem (vom Käufer zu zahlenden) Honorar gefragt, das ausgeblieben sei. Auch die Banken hätten sich ungeduldig nach dem Stand der Dinge erkundigt.

Der Käufer war unterdessen abgetaucht. Eine von ihm angegebene Berliner Adresse erwies sich als fingiert. Wels stellte Strafanzeige wegen Betrugs – wie sich herausstellte, gegen einen polizeilich bereits aktenkundigen, vorbestraften Mann. Nach ihm werde mittlerweile gefahndet, so Wels.

Die Verlegerin ist doppelt erschüttert. Zum einen ist mit dem Betrugsfall auch ihr Vorhaben geplatzt, den Verlag wirtschaftlich zu sanieren – daher blieb kein anderer Ausweg mehr als der verpflichtende Gang zum Insolvenzrichter. Außerdem musste sie natürlich ihre Bewerbung zum Deutschen Verlagspreis zurückziehen, mit dem sich für sie nicht zuletzt die Hoffnung auf eine finanzielle Entspannung verbunden hatte.

Zum anderen verstört sie das Erlebte auch emotional. "Alles, was dieser Betrüger unternommen hat, zielte für mich – rückblickend betrachtet – einzig und allein darauf, das Weiterbestehen von binooki zu verhindern." Wels grübelt nun über die Absicht, die seinem kriminellen Handeln zugrunde gelegen haben mag. "Für mich ist das ein großes Rätsel, weil ich überhaupt kein betrügerisches Eigeninteresse bei ihm erkennen kann." Da komme man dann auf bedrückende Vermutungen: eine politisch motivierte Tat womöglich? Immerhin steht binooki für ein ambitioniertes gesellschaftspolitisches Programm, für türkisch-deutsche Lesebegegnungen, für das engagierte verlegerische Werk zweier in Deutschland geborener Frauen mit türkischem Familienhintergrund. Man darf hierzulande im Jahr 2020, wenige Wochen nach Hanau, auf den dunklen Gedanken kommen, dass es Menschen gibt, denen solch ein Projekt ein Dorn im Auge ist. "Das hat schon das Zeug zu einem Trauma", sagt Selma Wels.

Die Verlegerin, die mit ihrer Familie erst im Herbst vergangenen Jahres von Berlin nach Frankfurt umgezogen ist, will nun erst einmal das Insolvenzverfahren hinter sich bringen. Aber für die Zeit danach schmiedet sie bereits Pläne. Ihr großes Projekt, sagt sie in festem Ton, werde sie fortsetzen: "kulturelle Vermittlungsarbeit zwischen der Türkei und Deutschland zu leisten, sich im eigenen Land für #vielfaltdurchlesen zu engagieren, die geschlossenen Zirkel der Privilegierten aufzubrechen". Wels weiß, wovon sie da redet. Sie formuliert es so: "Eine Selma Bürhaniye führt ein ganz anderes Leben als eine Selma Wels."

Bücher sind für sie Vielfaltsmedien par excellence. "Literatur ist immer Begegnung. Sie erzeugt Empathie. Und die droht uns in Deutschland gerade massiv verloren zu gehen." Auch deshalb ist für Selma Wels mit dem Ende von binooki nicht das Ende des Verlegens gekommen. "Ich möchte auf jeden Fall weiter Bücher machen."