Herr Graf, nach drei Jahren ist das Experiment Metrolit vorläufig auf Eis gelegt, Sie scheiden, auch als Mitgesellschafter, aus. Waren die Erwartungen zu hoch – oder die Zeit, die Ihnen gegeben war, zu kurz?Beides, würde ich sagen. Wobei ich davon überzeugt bin, dass wir mit mehr Zeit unser Ziel erreicht hätten. Wir waren auf einem guten Weg. Mit annähernd 40 Titeln ist Metrolit tatsächlich ehrgeizig gestartet, die Umsatzerwartungen waren sehr hoch. Nach nur einem Jahr wurden zwei Programmmacher entlassen, das Programm auf die Hälfte herunter gebrochen. Ein kleineres Programm mit kleinerem Team muss man aber anders denken, die Programmplätze anders gewichten. Und Titel, die man unter anderen Vorzeichen eingekauft hat, müssen trotzdem gemacht werden... Da steht man auch zwei Programme später erst am Anfang einer Entwicklung. Es war ein Riesenkraftakt, aber man kann, um es überspitzt zu sagen, kurzfristig nicht mit immer weniger immer mehr herausholen. Aber natürlich lebt man in einer solchen Phase auch von der Hoffnung. Letztlich steckt so viel von einem selbst drin, das man nicht so einfach aufgeben will. Und man will die Versprechen gegenüber den Autoren einlösen, ihnen ein fertiges Buch in die Hand geben, dass sie begeistert, es nach vorne bringen − trotz erschwerter Bedingungen. Dazu hat man sich verpflichtet und das schuldet man sich selbst. Und diesem Anspruch ist das Team bis zum Schluss auch gerecht geworden.
Die Wertschätzung durch die Medien und viele Kollegen in der Branche war dennoch sehr groß?Ich finde, dass wir sehr viel richtig gemacht haben – ich bin von der Ausrichtung des Programms nach wie vor überzeugt. Beispielsweise haben wir uns im Segment der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur bemüht, Autorinnen und Autoren an den Verlag heranzuführen, kontinuierlich mit ihnen zu arbeiten – in der Hoffnung, mittelfristig auch kommerziell erfolgreich sein zu können. Simone Lappert ("Wurfschatten") ist so ein Fall, eine tolle Autorin, die mit dem nächsten oder übernächsten Buch auch einmal Kandidatin für den Schweizer Buchpreis sein kann. Und auch ihr erster Roman hat sich schon sehr gut verkauft − demnächst erscheint er in englischer Übersetzung. Wir haben eigene Sachbuchkonzepte entwickelt, "Analog ist das neue Bio" etwa. Der Autor Andre Wilkens hat damit den Nerv der Zeit getroffen. Auch von ihm ist noch viel zu erwarten. Und wir haben im internationalen Bereich Lizenzen eingekauft, die unserem Budget angemessen waren. Mitunter gab es sogar Schnäppchen wie "Galveston", den Krimi von Nic Pizzolatto, Erfinder der legendären Serie "True Detective". Für diesen Deal sind wir von großen Verlagen beneidet worden und konnten die Taschenbuchrechte für einen hohen fünfstelligen Betrag verkaufen. Das Buch stand über Monate auf der Krimi-Bestenliste. Die Verkäufe unserer Erstausgabe blieben dann, leider, mitunter hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück. Das zeigt einem die Grenzen eines eher kleineren Verlags. Selbst mit dem glücklichsten Händchen brauchen Sie Geduld! Diese Art zu arbeiten ist vielleicht anachronistisch – aber letztlich alternativlos. Man braucht einen langen Atem. Leider hat sich bei der letzten Gesellschafterversammlung der Glaube, dass sich das Renommee, das sich der Verlag erarbeitet hat, in absehbarer Zeit in ein positives Geschäftsergebnis ummünzen lässt., nicht durchsetzen können.
Metrolit ist vom Feuilleton gefeiert worden, der Buchhandel hat in der Breite verhaltener reagiert – das war nicht unbedingt eine Überraschung?Grundsätzlich braucht ein neuer Verlag schon eine gewisse Zeit, um sich im Buchhandel in der Fläche durchzusetzen. Ein Programm wie das von Metrolit ist besonders beratungsintensiv: Es gilt, Vertrauen aufzubauen, Vorteilen entgegenzutreten. Beispielsweise dem, das Metrolit nur ein Verlag für ein junges, hippes Großstadtpublikum sei, viel zu speziell, um auch in der Provinz Leser zu finden. Eine tolle Medienresonanz zu einzelnen Titeln, Plätze auf Bestenlisten oder Preise sind heute leider kein Garant mehr für überdurchschnittliche Buchverkäufe.
Im stillen Kämmerlein haben wahrscheinlich schon viele Independent-Verleger überlegt, wie es wäre, von der Marketing- und Vertriebspower eines größeren Verbundes zu profitieren – und dafür ein Stück Unabhängigkeit aufzugeben. Der Indie-Sündenfall, gewissermaßen – aber auch der Königsweg?Der große Vorteil war die Wirkung nach außen. Es ist ein Unterschied, ob man in Zürich sitzt und den deutschen Markt erreichen will – oder, ob man das von Berlin aus macht. Durch die Einbindung in den Aufbau-Vertrieb lief es aber nicht automatisch besser als in den Strukturen, die wir für Walde + Graf aufgebaut hatten – es war nicht so, dass die Vormerker plötzlich durch die Decke gingen. Auch in einem Verbund gibt es Gewichtungen: Da werden die Metrolit-Titel neben wichtigen Aufbau-Autoren oder dem Taschenbuch angeboten...
Im Zweifel rangieren sie dann auch dort eher unter "nice to have" als unter "must have"?Die Probleme haben ja alle: Ein Buch läuft eigentlich ganz gut, nicht sensationell, es fließt so ab – zu einer Zeit, wo eigentlich noch viel mehr möglich wäre. Bücher geraten heute sehr schnell in Vergessenheit. Wird eine bestimmte Schwelle nicht überschritten, gibt es kaum die Chance auf so etwas wie einen "zweiten Atem". In einem jungen und vergleichsweise kleinen Verlag erreichen Sie auch mit potenziell mainstreamtauglichen Titeln nicht annähernd die Verkaufszahlen, die deren Potenzial widerspiegeln. Da bräuchte es ein Instrumentarium, um immer wieder auf den Buchhandel zuzugehen, und dieses Potenzial noch herauszukitzeln. Die direkte Ansprache der für einen kleineren Verlag 200, 300 wichtigsten Kunden, eigenständige Key-Account-Kontaktpflege in den Handel, ist sicher eine nachdenkenswerte Option.
Und die Einbindung in große Strukturen nicht alles...Es kann sehr gut funktionieren. Nehmen Sie das Galiani-Modell: Dort hat man mit KiWi einen sehr potenten Dachverlag und einen entsprechend selbstbewussten Vertrieb. Und dann eben den feinen, kleinen Verlag, der – im Gegensatz zu uns – bereits etablierte, tolle Autorinnen und Autoren mitgebracht hat. Deren verlässlich alle zwei, drei Jahre kommenden Bücher garantieren gute Umsätze – und um diese Bücher herum lässt sich auch ein Gesamtprogramm besser durchsetzen.
Mit Matthes & Seitz hat eben ein Verlag aus dem Kreis der Freunde der Kurt-Wolff-Stiftung den Deutschen Buchpreis abgeräumt, die Independent-Szene verspürt Aufwind. Geht es nicht auch so, ganz old-school, klein und unabhängig?Die Frage ist: Wie will man selbst arbeiten? Ich bewundere Andreas Rötzer, weiß aber auch, wie schwierig der Alltag in seinem Verlag jenseits des Buchpreises sein kann. Genau wie bei vielen anderen Kollegen, die ich kenne und schätze: Es ist ein ständiger Kampf – beeindruckend, dass es doch immer weiter geht! Natürlich wäre es reizvoll, meine Programmideen als Verleger weiterzuentwickeln. Ich habe diesen Plan keineswegs aufgegeben. Doch das setzt eine gewisse Liquidität voraus. Unabhängigkeit muss man sich auch leisten können. Ich kann das jedenfalls nicht ohne Partner.
Sie werden Metrolit zum Jahresende, also sehr bald schon, verlassen. Welche Pläne haben Sie?Es ist momentan noch etwas zu früh für Pläne, aber ich kann zumindest sagen, was ich nicht machen möchte: Ich will mich, egal ob frei oder angestellt, nicht als Lektor durchschlagen.
Viele Metrolit-Titel sind unter dem Label "Walde + Graf bei Metrolit" erschienen. Und auch ihr Schweizer Verlag hat ja nicht aufgehört, zu existieren. Lässt sich hier neu ansetzen?
Richtig, unter diesem Label habe ich auch bei Metrolit etliche Titel verlegt. Zum Beispiel den internationalen Bestseller "Blutsbrüder". Ausserdem haben Anais Walde und ich unter dem Namen "Applaus" den Verlag in der Schweiz aufrecht erhalten. Auf diese Strukturen können wir aufsetzen, wenn wir wollen. Aber dort haben wir auf Kooperationen gesetzt: Etwa mit dem Museum für Gestaltung und dem ältesten Zürcher Programmkino, der Hochschule Luzern oder Greenpeace Schweiz. Einfach, um diesen kleinen Verlag am Laufen zu halten. Tolle Bücher, die gewissermaßen in anderen Kontexten erschienen sind und sich nicht an der Ladenkasse durchsetzen mussten. Wenn man "kundenorientiert" arbeitet, fällt man natürlich andere Entscheidungen, als wenn man den eigenen programmatischen Kosmos entwickelt. Beides ist reizvoll.
Interview: Nils Kahlefendt
Hintergrund
Als "Walde + Graf bei Metrolit" dockte im Mai 2012 einer der aufregendsten Independent-Verlage der späten Nullerjahre unterm Aufbau-Dach in Berlin an. Die Gründer Anais Walde und Peter Graf hatten die Markenrechte von Walde + Graf an den Aufbau-Eigentümer Matthias Koch verkauft, der mit Metrolit einen neuen Verlag für Popkultur an den Start brachte. "Es ändert sich viel", räumte Graf damals gegenüber dem "Börsenblatt" ein, und er meinte nicht nur seinen Umzug nach Berlin, wo er bereits in den Neunzigern eine zeitlang wohnte: "Ich kann mich aufs Programm konzentrieren und habe Strukturen im Rücken, von denen ich hoffe, dass sie unsere Situation im Buchhandel verbessern." Mit der Urbanität und nähe zum Zeitgeist signalisierenden Marke Metrolit wurde ab Frühjahr 2013 kein ganz kleines Rad gedreht; ein Dutzend der 40 pro Jahr geplanten Titel verantwortete Graf, der auch als Gesellschafter bei Metrolit einstieg, selbst. "Konsequente Zielgruppen-Orientierung" lautete das Zauberwort: Wie andere Labels, von Heyne Hardcore über Tropen bis Suhrkamp Nova, hatte man auf einem immer stärker diversifizierenden Markt junge und jung gebliebene Leser zwischen Mitte 20 und Ende 40 im Visier.
Nach dem Ausscheiden von Tom Erben übernahm Peter Graf im Februar 2014 die Leitung des Gesamtprogramms von Metrolit. Was Graf und sein kleines, nach dem Schnitt vom letzten Jahr stark eingedampftes Team auf die Beine stellte, sorgte in den Medien (und auch bei vielen Verlagskollegen) immer wieder für Begeisterung: Aufwändig produzierte und gestaltete Bücher, immer wieder Überraschungen, wie zuletzt die Wiederentdeckung von Charles Haldeman ("Der Sonnenwächter"), der es im Sommer auf Platz 2 der SWR-Bestenliste schaffte. Im Handel indes kam man, trotz überdurchschnittlich großer Medienresonanz und durchaus eingängigen Stoffen, nur schwer über eine gewisse Schwelle hinaus. In der letzten Gesellschafterversammlung Ende September wurde die Reißleine gezogen; Metrolit stoppt bis auf weiteres die Produktion. Peter Graf konnte sich mit seiner Überzeugung, den Verlag mittelfristig auch ökonomisch auf gesunde Füße stellen zu können, nicht durchsetzen. Für ungewöhnliche und exzellent ausgestattete Bücher wird es auch künftig einen Markt geben. Gefragt sind Verleger mit langem Atem. Und mutige Buchhändler.
Nils Kahlefendt