Offener Brief an Bibliotheken und Wissenschaftsverlage

Der Fachbuchhandel ist gegen den DEAL

11. Oktober 2016
von Börsenblatt
Führende Fachbuchhandlungen sehen bei den geplanten DEAL-Lizenzverträgen für E-Journals mit drei großen Wissenschaftsverlagsgruppen die Gefahr, dass die "Zusammenarbeit mit dem Handel weitgehend aufgekündigt" wird und warnen vor weiteren Konzentrationsprozessen.

Bei DEAL will die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit den großen Wissenschaftsverlagen Springer Nature, Wiley und Elsevier über sogenannte Bundeslizenzen für das Zeitschriftenportfolio der Bibliotheken verhandeln. Ziel ist, dass 2017 ein Vertrag abgeschlossen wird.

Nach Angaben von Wiley verhandelt der Verlag derzeit allerdings nicht über eine Nationallizenz; laut HRK sollen jedoch 2017 Verhandlungen mit Wiley und Springer Nature aufgenommen werden. Springer Nature betrachtet "einen konstruktiven Dialog zunächst einmal als Chance. Sicher ist aber auch, dass ein solches Projekt aufgrund der Größe des deutschen Marktes und des föderalen Systems eine komplexe und vielschichtige Herausforderung für alle Beteiligten ist."

Der offene Brief derFachbuchsortimenter und Verbände im Wortlaut:

"An Bibliotheken und Wissenschaftliche Verlage

Seit einigen Monaten beobachten wir deutliche Anzeichen für große Veränderungen im Markt wissenschaftlicher Zeitschriften. Die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, vertreten durch die Hochschulrektorenkonferenz HRK, plant einen Abschluss deutschlandweiter Lizenzverträge für E-Journals mit den drei großen Anbietern Springer-Nature, Wiley und Elsevier unter dem Projektnamen „DEAL“.

Aktuell sind uns keine Details zum geplanten Projekt bzw. dem Status der Vertragsverhandlungen bekannt. Es ist aber davon auszugehen, dass das verhandelte Modell keine Beteiligung von Zeitschriftenagenturen oder Buchhändlern vorsieht. Dies zeigen die Beispiele umgesetzter Landesvereinbarungen in Baden-Württemberg vor drei Jahren und Sachsen im vergangenen Jahr.

Seit Jahren ist der Handel als verlässlicher Partner gegenüber Verlagen und Bibliotheken tätig. Wir leben vom vertrauensvollen Austausch und der gemeinsamen Beratung zukünftiger Entwicklungen. Bei diesem Projekt ist jedoch die Informationslage für uns absolut unbefriedigend. Eine spezifische Rolle in den Verhandlungen wird dem Handel offenbar nicht zugedacht.

Das geplante Projekt in Verbindung mit der Informationspolitik deutet darauf hin, dass das Konsortium und die genannten Verlage die Zusammenarbeit mit dem Handel weitgehend aufkündigen wollen. Das rührt an den Grundfesten unserer Existenz und zerstört das bisherige Modell der Zusammenarbeit zwischen Verlagen, Bibliotheken und Agenturen/Buchhändlern.

Seit Jahren generieren Agenturen und Händler durch etablierte Prozesse in Bezug auf Bestellung, Verwaltung und Organisation von Zeitschriften Mehrwerte gegenüber ihren Bibliothekskunden. Wir haben Bibliotheken und Verlage in den Zeiten des digitalen Wandels erfolgreich unterstützt und beraten. Es wurden Dienstleistungen entwickelt, die Bibliotheken helfen, die Herausforderungen, die dieser Wandel mit sich gebracht hat, zu meistern. Diese Mehrwerte stellen heute einen essentiellen Wertschöpfungsfaktor für Bibliotheken dar und entlasten von ansonsten selbst zu erbringenden Leistungen.

Dieses Angebot und die ständige Weiterentwicklung von Agenturserviceleistungen konnte in den letzten Jahren nur gelingen, weil grundsätzlich alle am Markt zu Verfügung stehenden Medienformen verkauft und somit Deckungsbeiträge generiert werden konnten.

Durch den Wegfall der Deckungsbeiträge aus dem Geschäft mit Zeitschriften in Print und digitaler Form und möglicherweise weiteren digitalen Produkten (wie in Sachsen) wird das Bibliotheksgeschäft mit den bislang gewohnten Serviceleistungen nicht mehr möglich sein:

  • Wertschöpfende Services in Bezug auf alle Medienformen, sowohl im Zusammenspiel mit Bibliotheken als auch Verlagen, werden langfristig nicht mehr aufrecht zu erhalten sein.
    Technische Weiterentwicklungen sind gefährdet und können aus den verbleibenden Deckungsbeiträgen nicht finanziert werden.
  • Bislang bestehende Services müssen künftig von Bibliotheken und/oder Verlagen neu aufgesetzt werden. Hier werden Kosten entstehen, die der vermeintlichen Kosteneinsparung gegenübergestellt werden müssen.
  • Konzentrationsprozesse auf Seiten von Lieferanten und Verlagen werden zunehmen.
    Damit entstehen weitere Abhängigkeiten in Bezug auf Content und Preis.

 

Unser Appell an Verlage und Bibliotheken: Überdenken Sie das jetzt auf den Weg gebrachte Modell. Im Kern begründet es die mittel- und langfristige Ausschaltung aller Handelsstufen! Wir wünschen uns einen partnerschaftlichen Austausch, in dem Verlage, Bibliotheken und Agenturen ihre selbstverständliche Rolle einnehmen.

Jetzt haben wir noch die Gelegenheit, direkte und indirekte Chancen und Risiken abzuwägen. Sind die Tatsachen erst geschaffen, wird es dafür zu spät sein.

Lassen Sie uns reden!

AWS – Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Sortiments- und Fachbuchhandlungen, Hamburg

Vorstände: Thomas Wich, Bianca Kölbl, Torsten Jahn

Sortimenter-Ausschuss, Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V., Frankfurt am Main

Vorsitzender: Thomas Wrensch

Schweitzer Fachinformationen oHG, München

Geschäftsführer: Philipp Neie

Sack Mediengruppe GmbH & Co. KG, Köln

Geschäftsführer: Hans Jürgen Richters

Missing Link Versandbuchhandlung eG, Bremen

Vorsitzender des Aufsichtsrates: Klaus Tapken

Massmann International Buchhandlung GmbH, Hamburg

Geschäftsführer: Kay Massmann

Lehmanns Media GmbH, Köln

Geschäftsführer: Detlef Büttner

Dietmar Dreier Wissenschaftliche Versandbuchhandlung GmbH, Duisburg

Geschäftsführerin: Diane Korneli-Dreier