Interview mit NordSüd-Verlagsleiter Herwig Bitsche

"Man muss seine Klassiker hegen und pflegen"

1. Februar 2017
von Börsenblatt
Bilderbuchklassiker sind beliebt, nicht zuletzt weil Eltern und Großeltern den Kindern die Bücher ihrer eigenen Kindheit nahebringen möchten. Doch auch Klassiker müssen manchmal überarbeitet werden. Herwig Bitsche, Verlagsleiter des NordSüd Verlags, erläutert, wie das geht.

Soll an einem über Jahrzehnte erfolgreichen Buch, das als formvollendet gilt, etwas geändert werden?Die Vorstellung, dass ein Bilderbuchklassiker etwas Unantastbares ist, klingt im ersten Moment verführerisch, kommt aber in der Praxis wohl selten vor. Oft geschehen die ersten Anpassungen schon lange bevor das Buch den Status eines Klassikers erreicht hat.

Sie feiern ein Vierteljahrhundert "Regenbogenfisch". Wie ist der bunte Bestseller gealtert?Im Wesentlichen blieb der Inhalt über die 25 Jahre unverändert. Immer wieder wurden neue Titelschriften für die Reihe erfunden, sodass im Laufe der Zeit ein sehr heterogenes Erscheinungsbild entstand. Zum Geburtstag haben wir einen neuen, farbigen Schriftzug für die Reihe entworfen, den wir konsequent auf alle Bücher anwenden. Und erstmals wurde auch die Schrift im Layout neu gesetzt. Für Fans gibt es neben der Standardausgabe eine einmalige Jubiläumsausgabe in Halbleinen, die seinen Status als Klassiker unterstreicht.

Sie haben es nicht nur mit erfolgreichen Fischen, sondern auch mit außerordentlichen Katzen zu tun."Pitschi: Das Kätzchen, das immer etwas anderes wollte" ist noch viel älter als der Regenbogenfisch. Das dunkelgrüne Cover mit dem gelben Mond ist eine Ikone des Schweizer Bilderbuchs. Seit seinem ersten Erscheinen 1948 ist es praktisch unverändert lieferbar. Dabei bin ich überzeugt, dass dieser Umschlag heute in jeder Vertriebs- und Marketingsitzung gnadenlos durchfallen würde. Wohlgemerkt: künstlerisch ist das ein großartiges Motiv, marketingtauglich ist es lediglich als Ikone. Das Motiv ist düster und fast ein wenig erschreckend; vor allem aber entspricht es in keiner Weise den heiteren und farbenprächtigen Illustrationen von Hans Fischer, die den Charme des Buchs ausmachen.

Liegt es da nicht nahe, das Cover dem Inhalt anzugleichen?Als Nichtschweizer kannte ich diesen Klassiker nicht, bevor ich in den NordSüd Verlag kam. Erst als ich einige Illustrationen auf Merchandisingprodukten gesehen habe, nahm ich das Buch mit dem düstern Umschlag zur Hand. Bekanntlich hat die Schweiz einen sehr hohen Ausländeranteil. Ich habe mich gefragt, wie vielen es wohl ähnlich gehen magS sie greifen nicht nach dem Buch, weil es wenig anziehend wirkt. Im Schweizer Buchhandel, wo das Buch immer noch zu den Topsellern gehört, bestünde tatsächlich die Chance, mit einem neuen Umschlag neue Kunden anzusprechen, die nicht mit dem ikonografischen Bild aufgewachsen sind.

Haben Sie den Abschied von der Ikone gewagt?Drei Jahre haben wir im Verlag mit der Frage gerungen, ob wir das "Pitschi" mit einem anderen Motiv auf dem Umschlag veröffentlichen können. Sogar die Erben waren mit dem Versuch einverstanden. In einer etwas kleineren, hochwertigen Geschenkausgabe haben wir das Experiment gewagt. Mit dem Ergebnis: Der Handel hat diese Ausgabe durchwegs ignoriert, lediglich der in selber Ausstattung erschienenen Dialektausgabe (in einer Übersetzung von Emil Steinberger) wurde ein Mehrwert zugebilligt und diese wurde auch bestellt.

Klassikerpflege kann kompliziert sein, wie das Beispiel Felix Hoffmann zeigt.Ja, ein weiterer Klassiker der Schweizer Kinderliteratur, der insgesamt sieben Märchen der Brüder Grimm illustriert hat. Alle sind seit Jahren vergriffen, lediglich in Japan gibt es noch ein paar Lizenzausgaben davon. Bald war klar, dass wir schwerlich sieben Einzelausgaben herausgeben können. In einem Sammelband sahen wir zusätzlich die Chance, dass nicht nur ein einzelnes Märchen wiederentdeckt wird sondern ein umfangreiches Werk. Die Herausforderung bestand darin, Hoch- und Querformate in einem Hochformat zu vereinen. Isabell Thalmann hat diese Herausforderung angenommen und Seite für Seite neu aufgebaut. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und hat auch den Erben von Hoffmann sehr gut gefallen. Im Frühjahr 2017 erscheint dieser Sammelband.

Muss ein Klassiker also immer wieder aktualisiert werden?
Ich glaube nicht, dass man sie ständig aktualisieren muss, aber man muss seine Klassiker ständig hegen und pflegen, damit das Buch nicht aussieht als wäre es aus der Zeit gefallen. Oft sind es nur kleine Anpassungen: ein neuer Schriftsatz, eine passendere Titelschrift, ein besseres Papier. Aber auch eine neue Ausgabe kann verlorene Aufmerksamkeit wieder wecken. Diese Fürsorge für das Buch spüren auch die Händler und die Leser.