Lieblingsbuchhandlung: Karin Nohr über die Alte Jeetzel-Buchhandlung in Lüchow

Die tun etwas

2. Januar 2019
von Börsenblatt
Autorin Karin Nohr ist Stammgast in der Alten Jeetzel-Buchhandlung in Lüchow. Eine Reise ins Wendland.

Wir sind alle nicht von hier, die Buchhändler nicht und ich auch nicht. Das Hannoversche Wendland ist ein einsamer Landstrich, höchstens noch Hamburgern und Berlinern bekannt, die vor der Wende alte Katen oder Bauernhäuser zu Feriensitzen und in den Hochzeiten des Gorleben-Widerstands zu Kommunen ausgebaut haben.

Mitten durch Lüchow fließt die Jeetzel, ein kleines Flüsschen, das bei Hitzacker in die Elbe mündet. In überregionalem Munde taucht sie nur bei Hochwasserkatastrophen auf, und wie das Flüsschen hat das Leben im etwa 10.000 Einwohner zählenden Städtchen eine ruhige Gangart. Die Lange Straße, teils Flaniermeile, teils Einkaufsreich, ist gesäumt von alteingesessenen Einzelhandelsläden, die  den Angriffen aus Amazonien und Globalien tapfer standhalten. Mehr als das: "Wir sind für den Deutschen Buchhandlungspreis nominiert", sagt Stefanie Thörmer, neben Stefan Dahlmann und Julia Schnell Inhaberin der Alte Jeetzel-Buchhandlung, die in einem der schmucksten Fachwerkbauten in der Langen Straße liegt. "Wir tun etwas. Und es lohnt sich." Sie hat mich in die Kaffee-Ecke gleich links im Laden eingeladen. Wie die angenommen wird? "Sie zieht die Leute an und schafft auch für uns eine gute Atmosphäre."

Bis es so weit kam, dass die Buchhändlerin mit ihrem Dreigestirn ausgebildeter Buchhändlerinnen im eigenen Haus saß, floss viel Wasser die Jeetzel herunter. 1997 kam sie mit ihrer Familie aus Hamburg in ein winziges Dorf bei Lüchow. "Brauchen Sie wen fürs Weihnachtsgeschäft?", habe sie in der Alte Jeetzel-Buchhandlung angerufen. Mit leisem Zweifel: Gab es auf dem Lande überhaupt so etwas wie ein Weihnachts­geschäft?

"Als ich hierher kam, gab es nur den Buchladen Eulenspiegel", erfahre ich vom Gründer der Alte Jeetzel-Buchhandlung, Stefan Dahlmann, der jetzt die Filiale in Waren an der Müritz  leitet. "Da saßen mehr die Gorleben-Widerständler. Die Lüchower kauften in einem der Schreibwarenläden. Ein Literaturangebot gab es nicht." Der gerade ausstudierte Soziologe nahm die Herausforderung an. Nach der Insolvenz des Eulenspiegels zog er eine kaufmännische Ausbildung durch und eröffnete die Alte Jeetzel-Buchhandlung – neuer Name, anderer Ort, ein Neubeginn. Peu à peu baute er ein Sortiment auf, geeignet fürs breite Publikum wie für die sesshaft gewordenen politischen Aktivisten der "Freien Republik Wendland", und gründete den Jeetzelbuch-Verlag: "Arbeit ohne Pause, Mittagsbrot im Laden".

Stefan Dahlmann wollte einen Ort der Kultur in einem bäuerlich geprägten Landstrich aufbauen – und das ist gelungen. Für Lüchower, Dorfbewohner aus dem Umfeld, Wendlandpendler und die Fahrradtouristen schlägt in der Alten Jeetzel-Buchhandlung das kulturelle Herz des Städtchens: "Ich verstehe mich als Vermittlerin zwischen Büchern und Menschen", sagt Stefanie Thörmer, die zum Ladenjubiläum nicht davor zurückschreckt, mit ihrer gesam­ten Familie als Grüffelo durch die Schulen zu tollen. An Markttagen, zum Kürbisfest, am Laternensonntag, zu Lesungen und zur Harry-Potter-Book-Night – hier ist der zentrale Treffpunkt für Menschen jeden Alters.

Karin Nohr, 1950 in Hamburg geboren, lebt in Berlin und im Wendland. Sie studierte Anglistik, Germanistik und Psychologie und arbeitete lange als Psychotherapeutin. 2012 debütierte sie mit dem Roman "Herr Merse bricht auf" (Knaus). Ihr neuer Roman "Stummer Wechsel" ist im Größenwahn Verlag erschienen.