Bonnier-CEO Christian Schumacher-Gebler über den Verzicht auf Plastikfolie

"Die Zahl der Remissionen ist nicht gestiegen. Im Gegenteil."

18. Februar 2019
von Börsenblatt
Bonnier hat den Ullstein-Titel "Muttertag" von Nele Neuhaus folien- und unfallfrei in den Handel gebracht. CEO Christian Schumacher-Gebler bilanziert den Testlauf ohne Plastik – und appelliert an andere Verlage, sich dem "höchst risikoarmen Projekt" anzuschließen.

Als erste große Verlagsgruppe ruft Bonnier Media seit Oktober zum Verzicht auf die Einschweißfolie auf. Sie sind mit Ihrem Ullstein-Titel "Muttertag" von Nele Neuhaus selbst vorangegangen. Wie läuft’s?
Gut, sehr gut sogar. "Muttertag" ohne Folie auszuliefern, wurde von manchen als Risiko betrachtet. Aber Autorin und Verlag haben an den Erfolg geglaubt, und zum Glück war das Weglassen der Folie viel einfacher als vermutet.

Gab es auch Bedenken im eigenen Haus?
Die Kollegen aus den beteiligten Fachabteilungen hatten durchaus Befürchtungen, wir könnten etwas übersehen. So gab es die Sorge, dass die Bücher auf dem Weg von der Druckerei zur Auslieferung beschädigt werden könnten – oder dass die Auslieferung Probleme mit dem Handling haben würde. Jugendbücher aus unserer Verlagsgruppe, wie »Harry Potter«, werden nicht eingeschweißt und kommen dennoch in bester Qualität im Handel an. Parallelen wie diese haben uns in der Annahme bestärkt, dass die Bücher von Nele Neuhaus beim Transport auch ohne Folie nicht ineinander­rutschen und den Buchblock beschädigen. So war es dann auch.

Wie hat der Testlauf in der Auslieferung funktioniert?
Unsere Auslieferung und die vorgelagerte Druckerei haben einen super Job gemacht. Wir konnten im November und Dezember 2018 mehr als 300 000 Exemplare an den Handel verschicken und haben insofern exakt die gleiche Menge ausgeliefert wie beim Vorgängertitel von Nele Neuhaus. Eine bessere Vergleichsbasis kann man sich kaum vorstellen. Autorin, Format, Preis, Erscheinungs­termin und ausgelieferte Menge vor Weihnachten sind identisch.

Blickt man bei beiden Titeln auf den ersten Monat nach dem Weihnachtsgeschäft, so durften wir feststellen, dass es beim neuen Titel weniger Remissionen (265 Exemplare) gab als bei dem vergleichbaren Titel im Januar 2017 (damals waren es 547 Remissionen). Zudem haben wir vom aktuellen Titel "Muttertag" im Januar mehr als doppelt so viel verkauft wie seinerzeit den Titel "Im Wald" im Januar 2017. Das ist ein kleines Zeitfenster und mag noch nicht repräsentativ sein. Dennoch freut uns, was wir sehen, denn es hätte sich auch anders darstellen können. Und es bestärkt uns in dem Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.
 
Gab es Zustimmung für den folienfreien "Muttertag"?
Ja, aus allen Bereichen! Besonders hat uns gefreut, dass sich viele Leser und Autoren positiv zu dem Schritt geäußert haben. Vielleicht verkaufen wir den aktuellen Titel ja auch ein Stück weit deshalb so gut, weil er ohne Folie im Handel ist. Mir haben viele Freunde gesagt, sie würden sich im Zweifel sogar bewusst für das folienfreie Exemplar entscheiden, wenn sie im Buchhandel die Wahl hätten. Es gibt sicher viele Gegenbeispiele, aber man merkt doch überall, dass ein Umdenken in unserer Gesellschaft stattfindet. Der Käufer bekommt bei Nele Neuhaus als Drein­gabe noch ein gutes, nämlich "umweltfreundliches" Gefühl mit verkauft.

Wie hat der Buchhandel reagiert?
Der Handel hat großartig darauf reagiert. Wir bekamen viel positive Unterstützung und bisher sind keinerlei Klagen eingegangen. Ganz im Gegenteil! Besonders gefreut habe ich mich über die Zusicherung von Amazon, "Muttertag" nicht nachträglich einzuschweißen. Auch die nun folgenden folienfreien Bücher der Bonnier-Gruppe werden bei Amazon nicht nachträglich umwickelt.

Den Neuhaus-Titel haben Sie ohne Folie, aber mit einem Siegel ausgeliefert, auf dem ein kurzes Statement zum Folienverzicht stand. Erscheinen die nächsten Bücher auch mit Siegel?
Ja, wir halten zunächst an dem Siegel fest. Wir brauchen noch mehr Verlage, die auf die Folie verzichten, damit die Masse der Bücher ohne Folie im Handel die Oberhand gewinnt. Bis dahin unterstützt der Aufkleber den Buchhändler bei der Kommunikation Richtung Käufer. Das hat bisher wunderbar funktioniert.

Das Siegel ist aber leider auch aus Kunststoff!
Ich weiß, die Lösung ist nicht perfekt. Das Siegel enthält aber weit weniger Plastik als die gesamte Ummantelung mit Folie und ist, wie gesagt, nur ein Kommunikationsvehikel während der Übergangszeit. In dieser Übergangszeit erscheint es uns wichtig, dem Käufer zu erklären, dass wir etwas an der Verpackung geändert haben und er nicht nur ein ausgepacktes Ansichtsexemplar in den Händen hält.

Wie reagieren denn andere Verlage auf Ihr Werben, dem Bonnier-Beispiel – und übrigens auch dem einer Reihe weiterer, kleinerer Verlage – zu folgen?
Sehr früh hat Jo Lendle mit Hanser zu dem Thema reagiert und bereits in der Verlagsvorschau kommuniziert, dass man die Folie ab dem nächsten Herbstprogramm weglassen wird. Von anderen großen Verlagen weiß ich, dass sie sich intensiv mit dem Thema beschäftigen. Kein & Aber verzichtet meines Erachtens ebenfalls auf die Folie und ich bin hoffnungsvoll, dass bald weitere Verlage folgen werden.

Haben sich denn die Bedenken, die es auch bei Bonnier gab, alle erledigt?
Absolut! Alle geäußerten Bedenken haben sich nicht bestätigt. Weder sind die Bücher beschädigt im Handel gelandet, noch sind die Remissionen – jedenfalls bei einem sehr prominenten, umfänglichen und auflagenstarken Einzelbeispiel – angestiegen, ganz im Gegenteil.

Bald wird das Frühjahrsprogramm ausgeliefert. Steht die Entscheidung, die Bücher von Ullstein und Piper nun überwiegend folienfrei zu lassen?
Nach wie vor hoffe ich, dass wir nichts übersehen haben. Und dass die Umstellung vom Käufer akzeptiert wird. Aktuell haben wir aber nicht den geringsten Grund, am Erfolg der Umstellung zu zweifeln. Wir hätten ja nach Nele Neuhaus problemlos nachjustieren können. Es gab aber nichts, was wir hätten nachjustieren müssen. Je mehr Verlage sich dem aus meiner Sicht höchst risikoarmen Projekt anschließen, desto größer ist die Chance auf baldigen flächendeckenden Erfolg.

Wie viele Titel bringen Sie im Frühjahr ohne Plastikmantel?
Bei Ullstein erscheinen bis auf einen Titel alle Frühjahrstitel ohne Folie. Bei Piper werden im Februar noch einige Titel mit Folie ausgeliefert, die bereits so produziert worden sind. Ab März will dann auch Piper weitestgehend auf die Folie verzichten.

Was hat Sie im Rückblick auf den Neuhaus-Pilotversuch am meisten gefreut?
Zu erleben, wie sich bei den beteiligten Kollegen die anfänglichen Sorgen in Freude und Stolz verwandelt haben. Und auch der große Zuspruch von unterschiedlichsten Seiten. Ganz besonders freut mich die Rückmeldung, dass sich bereits namhafte Autoren anderer Verlage bei Nele Neuhaus gemeldet haben und in ihren eigenen Verlagen dafür werben möchten, dass ihre nächsten Bücher ebenfalls ohne Folie ausgeliefert werden. Dieser Wunsch der Autoren erinnert mich an das mutige schwedische Mädchen, das gerade mit seinem Protest eine weltweite Bewegung in Gang gesetzt hat. Nun ist es an uns, die Folie aus der Buchbranche zu vertreiben, und bei diesem Vorhaben ist die Unterstützung von Autoren, Verlagskollegen und Buchhändlern herzlich willkommen.

Ist die Umstellung am Ende auch eine Frage der Gewohnheit?
Als man vor vielen Jahren das Rauchen im öffentlichen Raum einschränken wollte, schien das ein undenkbares Vorhaben. Heute schmunzeln wir darüber, wie schnell wir uns daran gewöhnt haben. Auch im Lebensmittelhandel gehören Plastiktüten heute weitestgehend der Vergangenheit an. In der Buchbranche geht es letztlich nur darum, unnötiges Plastik wegzulassen. Gemeinsam wird es uns gelingen, die Buchbranche ein kleines Stück umweltfreundlicher zu machen. Das sollte aus eigenem Antrieb zu schaffen sein, bevor uns jemand dazu verpflichtet.

In der plastikfreien Zone

  • "Wir appellieren an alle Verlage, bei Neuproduktionen so weit wie möglich auf Einschweißfolien zu verzichten": Dazu hat der Verleger-Ausschuss des Börsenvereins die Buchbranche Anfang Dezember 2018 aufgerufen.
  • Neben den Bonnier-Töchtern Ullstein und Piper haben sich bislang etwa auch Hanser, Nomos, Delius Klasing, Die Werkstatt, die Edition Nautilus und der Quickborn Verlag zur (weitgehend) folienfreien Novitätenauslieferung bekannt. Die Friedenauer Presse in Berlin wickelt ihre Broschuren künftig in von Hand gefaltete Papiereinbände. Mehr zum Thema hier.
  • Jüngster Neuzugang in der plastikfreien Zone: der Picus Verlag aus Wien. "Sicherlich wird es Aufklärungsbedarf gegenüber den Kundinnen und Kunden geben", so Verleger Alexander Potyka im aktuellen Newsletter des Österreichischen Hauptverbands: "Aber der Zeitgeist ist auf unserer Seite."