Interview mit Zwischenbuchhändler Thomas Bez

"Für die KNV-Insolvenz gibt es nicht nur hausgemachte Gründe"

21. Februar 2019
von Börsenblatt
Dass Konkurrenzkampf und Konditionenpoker Folgen für die Buchlogistik haben werden: Das hat Thomas Bez, Umbreit-Gesellschafter und Branchenexperte für die Geschichte des Zwischenbuchhandels, schon lange geahnt. Hier sagt er, warum. 

Sie kennen den Markt und die Geschichte des Zwischenbuchhandels vermutlich wie kein Zweiter. Haben Sie die Insolvenz von KNV kommen sehen?
Mir war vollkommen klar, dass bei der aktuellen Marktlage nicht alle Akteure unbeschadet vom Platz gehen können.

Warum?
Weil der Konzentrationsprozess das Gewicht vom Herstellenden zum Verbreitenden Buchhandel verschiebt und der Verteilungskonflikt immer mehr an Schärfe zunimmt. Das Buchpreisbindungsgesetz regelt zwar die Grenzen der Konditionenpolitik, aber daran halten sich viele Lieferanten nicht, um bei den Großabnehmern nicht "ausgelistet" zu werden. Es fließen Werbekostenzuschüsse und Boni, Verlagsauslieferungen "vergolden" Verlagen den Wechsel, Barsortimente zahlen "Eintrittsgebühren", um mit großen Ketten ins Geschäft zu kommen.

Die innere Aushöhlung der Preisbindung, die ich ja schon lange kritisiere, schreitet voran. "Sie kann zu einer Megafusion führen oder zum Ausscheiden eines der beiden großen Barsortimente und auch des Dritten." Das habe ich vor sechs Monaten in einem Beitrag für den "BuchMarkt" geschrieben, zur Fusion von K.F. Koehler und F. Volckmar vor 100 Jahren. Leider scheint diese Botschaft in der Branche nicht angekommen zu sein.

Ist die Krise bei KNV also doch nicht hausgemacht – sondern Teil eines Branchendilemmas?
Natürlich gibt es in diesem Fall auch hausgemachte Gründe. In der jetzigen Situation ist es sinnvoll zu diversifizieren, so wie es KNV mit Zukäufen wie Buchpartner (Rack Jobber) und Schreyer (PBS-Großhandel) versucht hat. Aber wenn die Sache nicht richtig zum Laufen kommt, verbrennt man Geld. Das Gleiche gilt für das neue Logistikzentrum in Erfurt: Es kann zwar für einen Liquiditätsvorteil und für Synergien sorgen, Barsortiment und Verlagsauslieferung in einem Logistikzentrum zusammenzufassen und beides nicht mehr räumlich, sondern nur noch virtuell zu trennen. Aber eine Investition von 150 Millionen Euro muss man erst wieder einspielen – zumal die Wachstumsjahre der Branche vorbei sind. Im Moment werden die rückläufigen Buchabsätze noch durch Preissteigerungen aufgefangen, doch die Käuferstudie des Börsenvereins zeigt ja recht klar, wo die Reise hin geht.

Bei den Gedankenspielen zu potenziellen KNV-Investoren fällt immer auch der Name Libri, was ja naheliegend wäre. Glauben Sie, das Kartellamt würde den Kauf von KNV durchwinken?
Fragt man Buchhändler, dann werden sie die Einschätzung abgeben, dass Libri dann 90 Prozent des Marktes dominieren würde. Betrachtet man den gesamten Buchmarkt, dann kommt der Absatz über die Barsortimente nach der Logistikumfrage auf 20 Prozent, Libri und KNV zusammen damit (nur) auf rund 18 Prozent. Diese Rechnung wird immer wieder gerne aufgemacht, aber ob sich die Wettbewerbshüter auch heute noch darauf einlassen werden, wage ich zu bezweifeln. Was Libri mit der Auslieferung KNO anfangen sollte, ist mir ohnehin nicht ganz klar. Libri hat die eigene Verlagsauslieferung 2002 an die VVA verkauft. Umgekehrt gilt das für einen anderen Kandidaten, der auch immer wieder genannt wird: Was soll Amazon mit dem Barsortiment von KNV? Kaum ein Buchhändler würde dort bestellen und dabei zu allem Überfluss auch noch seine Zahlen gegenüber Amazon offenlegen.

Auch wenn Sie sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen haben: Was bedeutet die aktuelle Situation für Umbreit?
Es gab immer noch Buchhändler, die unser Barsortiment nicht geschätzt haben und nur bei KNV angeschlossen waren. Das hat sich nun geändert: Auf der Suche nach einer ja ohnehin schon knapp bemessenen Alternative dürfte unser Barsortiment jetzt jeder deutsche Sortimenter kennen. Aber natürlich können wir die gesamte Lücke, die KNV reißen würde, nicht schließen – auch wenn wir durchaus noch freie Kapazitäten haben. Ähnliches gilt für Libri: Auch dort wird man nicht alle Wünsche "postwendend" erfüllen können.

Einige haben den Traum, auf Basis der KNV-Insolvenz ein genossenschaftliches Barsortimentsmodell für die gesamte Branche aufzusetzen, inklusive Bestellauslieferung an Endkunden. Realistisch?
Neu sind solche Genossenschaftsüberlegungen nicht: In den 1960er Jahren kursierte in der Branche die Idee, eine zentrale Auslieferung für alle Verlage in Frankfurt zu realisieren. Von diesem großen Wurf  in der Diskussion um die Branchenrationalisierung sind heute nur noch das Verzeichnis lieferbarer Bücher und das Bestellclearing via IBU übriggeblieben. Und wer kann die Millionen finanzieren, die für den Kauf von KNO und KNV notwendig wären? Außerdem muss man bei solchen Vorschlägen an das Debakel der BAG 2007 erinnern. Das hat die ganze Branche damals viel Geld gekostet.

Die beiden Barsortimente Libri und Umbreit können das komplette KNV-Volumen nicht auffangen. Was halten Sie von der Idee, die Auslieferungen mit ins Boot zu holen und ihre Rolle neu zu definieren, um Engpässe zu vermeiden?
Das sind, Verzeihung, "olle Kamellen". Das Geschäft funktioniert einfach anders, mit ganz anderen Mengen und Geschwindigkeiten – und auch mit ganz anderen Konditionen. Die Grenzen zwischen den beiden Modellen Barsortiment und Verlagsauslieferung sind in Deutschland keineswegs fließend, sondern ziemlich klar zu ziehen.

Leistet sich die Branche mit der Übernachtlieferung und dem Bücherwagendienst einen Service, der eigentlich nicht mehr wirtschaftlich ist? Müsste man andere Waren "huckepack" nehmen, wie es Logistiker empfehlen?
Der Bücherwagendienst ist für den Buchhandel lebensnotwendig, und zwar mehr denn je. Wie die Heinzelmännchen liefern wir bestellte Bücher über Nacht in die Läden – so schnell kann Amazon gar nicht sein. Aber die Kosten laufen uns davon, etwa durch die Steigerungen bei den Löhnen der Fahrer, den Treibstoffpreisen und den Mautgebühren.

Deshalb kooperiert Umbreit seit 2017 mit KNV. Die Fahrer haben Ladenschüssel und liefern die Pakete vor der Öffnung in die Buchhandlungen. Diese dichte Lieferkette und die Taktfolge der Touren würden sich zwangsläufig verringern, wenn man ganz andere Produkte und Branchen ins Boot holt. Der Name "Bücherwagendienst" kommt übrigens aus alten "Leipziger Zeiten", als die Bücher per Waggon an die D-Züge angehängt und von Leipzig über Nacht in alle Großstädte und bis nach Wien verteilt, dort von Speditionen abgeholt und den Buchhandlungen zugestellt wurden.  

Haben Sie in Ihrer langen Zeit im Zwischenbuchhandel schon mal eine ähnliche Krise erlebt wie jetzt die von KNV?
Ja, damals noch als Student: 1973 wurde die Münchner Kommissionsbuchhandlung, kurz MÜKO, abgewickelt, die Umbreit zusammen mit dem Grossohaus Wegner übernommen hatte, als die MÜKO schon angeschlagen war. Es folgte das VSEKB (Verbandssortiment Evangelischer und Katholischer Buchhändler), dann KAWE in Berlin, alle übertroffen von dem Ende des damals (1974) drittgrößten Barsortiments Wengenroth in Köln. Die Verlage haben dadurch sechsstellige Summen verloren. Das war hart für alle. Bei der aktuellen KNV-Krise kommt verschärfend hinzu, dass die Verlage vor wenigen Jahren Rückzahlungen an die VG Wort leisten mussten und auf die zukünftige Verlegerbeteiligung hoffen.   

Wird sich der Markt zurechtrütteln…?
Der Markt wird sich "zurechtrütteln", wenn wir nicht eingreifen; aber jeder von uns kann auf seine Weise mit dafür sorgen, dass es nicht zu einem "Knall" kommt. Jede Entscheidung und jedes Engagement sollte auf seine (langfristigen) Folgen überprüft werden: "Was Du tust, das tue immer mit dem Blick auf das Ende!" ("Quidquid agis, semper agas et respice finem!").

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