Treffen der IG Ratgeber

Das Ringen um Relevanz

5. April 2019
von Tamara Weise
Umsatzzuwachs und hohe Reichweiten bei #meethepublisherDE – und die Frage, wie Ratgeber relevant bleiben können: Darum ging es bei der Frühjahrstagung der IG Ratgeber in München. Auch Buchhändler waren dabei. Ein Bericht.

Losgehen solle es mit zwei positiven Nachrichten – so begrüßte Nicole Schindler gestern ihre Kollegen zur Frühjahrstagung und war damit dann auch schon mittendrin. Ihre Nachricht Nummer eins: "Ratgeber haben im Ranking der Warengruppen das Kinderbuch überholt." 

Die zweite positive Nachricht, die sie dabei hatte, ging in Richtung Sortiment: Von Buchhändler-Azubis höre sie gerade nur Gutes über die Branche. Erst vor kurzem sei sie in Berufsschulen gewesen, habe sich mit den Azubis ausgetauscht – sie seien wieder zuversichtlich und wollten nach ihrer Ausbildung auch gern im Buchhandel bleiben. "Noch vor zwei Jahren liefen solche Gespräche völlig anders ab." Schindler ist Leiterin Vertrieb und Marketing bei Ulmer und seit einem Jahr Sprecherin der IG (Interessengruppe) Ratgeber.

Umsatzentwicklung: "Ratgebern geht es gut"

Carlo Günther nutzte die beiden Hinweise eine Steilvorlage. Der PAL-Verleger ist wie Nicole Schindler  Mitglied im Sprecherkreis der IG und hatte erneut die Aufgabe übernommen, sich durch die Ergebnisse der Marktforschung zu graben – der Programmpunkt hat bei den Ratgeberverlagen mittlerweile eine lange Tradition. Günthers Fazit diesmal: "Ratgebern geht es gut." Sie seien eine konstante, starke Größe am Markt und damit in einer vergleichsweise komfortablen Lage. "Das ist ein Zeichen, dass wir alle wirklich gute Arbeit leisten", erklärte er. Ein Auszug aus seiner umfangreichen Kennzahlen-Sammlung (Quelle: Media Control), die er gestern mitgebracht hatte:

  • Die Warengruppe 4 (Ratgeber) konnte im ersten Quartal 2019 leicht zulegen, 2018 lag sie noch leicht im Minus.
  • Die Subwarengruppe Hobby, Haus (WG 4.1) erlebte im vergangenen Jahr ein zartes Wachstum gegenüber dem Vorjahr, musste im ersten Quartal aber wieder Umsatz abgeben (minus 6 Prozent zum Vorjahreszeitraum).
  • Der Abwärtstrend im Segment Essen & Trinken (WG 4.5) hält Günther zufolge an, allerdings verlangsame sich der Abstieg – im ersten Quartal sei die Umsatznadel sogar wieder nach oben gegangen (plus 2 Prozent zum Vorjahreszeitraum).   
  • Das gewichtige Segment Gesundheit hat sich wieder stabilisiert.
  • Die Lebenshilfe-Ratgeber – Günther nannte sie die "Shootingstars im Ratgebermarkt" – ziehen immer weitere Kreise, und das schon das vierte Jahr in Folge: 2018 ging es noch einmal zweistellig aufwärts (plus 11 Prozent).
Sichtbarkeit: Zwischenbilanz zur Social Media-Aktion #meetthepublisherDE

Sich vernetzen, Verlagsarbeit öffentlich sichtbar machen, gemeinsam Ratgeber nach vorne bringen, Vertrauen schaffen: Mit diesem Ziel entwickelte Julia Graff (Hädecke Verlage) innerhalb der IG die Social Media-Aktion #meetthepublisherDE für Instagram. Mindestens 40 Verlage sollten mitmachen und mindestens 12.000 Likes am Ende dabei herauskommen. Und das hat funktioniert – wie Graffs  Zwischenbilanz gestern zeigte. Die Aktion begann nach der Leipziger Buchmesse und läuft noch bis kommenden Sonntag (7. April). Die Kennzahlen für den Zeitraum 26. März bis 3. April:

  • 51 Verlage und sechs weitere Instagram-Nutzer haben sich unter dem Hashtag an der Aktion beteiligt – unter den Verlagen waren elf aus dem Ratgeberumfeld.
  • Mehr als 400 Beiträge wurden bis jetzt verfasst (die Zielgröße lag bei 280), die rund 205.000 Nutzern gesehen haben (Reichweite).
  • Bislang sammelten die Teilnehmer insgesamt mehr als 22.000 Likes ein.   


"Das ist cool", resümierte Graff und bestätigte auf Nachfrage, dass #meetthepublisherDE nichts Einmaliges bleiben soll. 2020 würde sie die Aktion gern wiederholen – im gleichen Zeitraum (im Frühjahr, nach der Leipziger Buchmesse).

Customer Journey: Wie bleiben Ratgeber für Käufer relevant?

Die meiste Zeit räumten die Ratgeberverlage gestern einem Thema ein, das vielen schwer im Magen liegt und neue Antworten erfordert. Die Käuferstudie des Börsenvereins ("Buchkäufer – quo vadis?") hatte vergangenes Jahr erhebliche Verluste bei der Zahl der Käufer dokumentiert, und die Mitglieder der IG Ratgeber wollen den Fragen, die sich an dieses Ergebnis knüpfen, nicht ausweichen. Gestern kamen sie auf den Tisch: Wie verläuft die Customer Journey? Was erwarten Menschen heute von einem Ratgeber? Welche Ratgeber braucht es überhaupt noch? Wo können wir vielleicht ansetzen, um mit Buchhändler gemeinsam etwas zu erreichen?

Um sich den Antworten zu nähern, taten die IG-Mitglieder das, was für sie ohnehin selbstverständlich ist: Sie holten sich Rat – und zwar bei Customer Journey-Expertin Stephanie Lange, die bis 2017 über lange Jahre Geschäftsführerin für das Filial- und Großkundengeschäft bei Hugendubel war und heute als Beraterin in der Branche im Einsatz ist.

Von 100 Leuten, die in eine Buchhandlung gehen: Wie viele kaufen etwas ein? 

Stephanie Lange hält sich an das Credo: "Wenn wir den Kunden nicht folgen, werden wir nicht erfolgreich sein." Für die Teilnehmer der Tagung deklinierte sie zunächst die Customer Journey hoch und runter, sehr schwungvoll. Sie sprach über die Macht der dauerverfügbaren High Tech-Geräte, den Trend zum Verzicht und den Kauf als Belohnung, über Wertschätzung und das Bedürfnis nach analogen Erlebnissen, über Community-Erfolge und Geschäftsmodelle abseits des Konsums, die auf Serviceorientierung als Hebel für neuen Umsatz setzen. Dazu servierte sie haufenweise Zahlen – darunter eine, die alle im Raum erstaunte, von der bislang kaum eine*r wusste: Von 100 Leuten, die eine Buchhandlung betreten, verlassen 35 später den Laden als Käufer, der große Rest zieht ohne Buch unverrichteter Dinge weiter.  

Nach der Theorie-Stunde ließ sie die Teilnehmer dann selbst ran: Im Team sollten sie nach Antworten fahnden – gedanklich eintauchen in die Welt der Kunden. Manche kamen dabei auch auf neue Fragen, u.a. mit Blick auf die Bedürfnisse hinter den Bedürfnissen. Konkret wurde es aber auch: Eine Gruppe von Verlagen lieferte Stichworte dafür, wie sich die Zusammenarbeit mit Buchhändlern verbessern ließe. Zum Beispiel: Indem Titel für Thementische künftig nicht mehr bloß aus dem eigenen Verlag empfohlen werden, sondern verlagsübergreifend.

Bei den Buchhändlern, die zur Tagung nach München gereist waren, kam das gut an – obwohl sie sich durchaus noch mehr wünschen. Das Buchhändlerteam notierte für die Verlage u.a.: Dass das Sortiment

  • mehr und vor allem andere Informationen über Ratgeber brauche, um sie verkaufen zu können ("Wir wollen Storytelling machen, das geht mit den Hinweisen, die ihr uns in den Vorschauen gebt, nicht");   
  • bei der Suche nach geeigneten Kooperationspartnern vor Ort auf die Hilfe von Verlagen angewiesen sei – sie könnten durch eigene Vorab-Recherchen Buchhändlern vieles erleichtern. 
Außerdem auf der Agenda: Urheberrechtsreform, Samstagsverkauf auf der Frankfurter Buchmesse, Bestsellerliste

Fortsetzung folgt? Der Sprecherkreis der IG setzt darauf. Als nächstes will er die Ideen der einzelnen Teams bündeln und innerhalb der IG mit allen teilen. Welche Themen gestern sonst noch zur Sprache kamen: Maren Ongsiek aus der Geschäftsstelle der Fachausschüsse des Börsenvereins berichtete über die weiteren Schritte bei der Urheberrechtsreform und über die Pläne, den Samstagsverkauf auf der Frankfurter Buchmesse zu realisieren. Außerdem sprachen die Verlage über Ideen, die Bestsellerliste weiterzuentwickeln. Eine neue Arbeitsgruppe, die sich gestern zu diesem Thema zusammengefunden hat, soll bis zur Frankfurter Buchmesse Nägel mit Köpfen machen.

An der Frühjahrstagung der IG Ratgeberverlage haben rund 50 Mitarbeiter aus Verlagen und fünf Buchhändler teilgenommen. Gastgeber war Droemer Knaur in München.