Das Staatstheater in Darmstadt ist der Ort, an dem die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung jährlich im Herbst ihre Preise verleiht. Über zwei Stunden dauert das, eine Pause gibt es nicht. Da wird die Zeit manchmal lang und der Kopf müde. Eine gelungene, ermunternde Aufführung darf man nun aber am vergangenen Samstag dem Ensemble aus Lob- und Dankesrednern attestieren. Keiner, der mehr als Applaus, nämlich Begeisterung hervorrief, aber auch keiner, der nicht aufmerksame und bisweilen belustigte Zuhörer zu finden vermochte. Ein Romancier, ein Theatermann und ein Zoologe wurden geehrt eine schöne, eine erfrischende Kombination.
Wie zum Abschluss des Abends der Hauptredner Mosebach vom vagen Anfang seiner Rede da er von sich als jungem Napoleon-Verehrer erzählte, um so über die Französische Revolution zu Büchner und dessen Revolutionsstück Dantons Tod zu kommen den Bogen schlug zu einer gewagten und gewitzten Interpretation des Dramas, das hatte Esprit und viel Hintersinn. Es lebe der König!, ruft bei Büchner Lucile Desmoulins, Aug in Aug mit den Henkern zuletzt. Naheliegend mag es sein, die eben noch für die Revolution Begeisterte deshalb als verrückt anzusehen. Mosebachs kühne Volte aber lag darin, Lucile ernst und beim Wort zu nehmen. Der Dichter, der als konservativ gelobt und fast noch mehr gescholten wurde und der sich selbst gern als reaktionär tituliert, machte es sich zur Freude, das Hoch auf den Monarchen als politische Provokation zu verteidigen. Und mehr noch: Als einen Tabu-Bruch, der den Namen wirklich einmal verdient, weil er den Tabu-Brecher wirklich einmal außerhalb der Gemeinschaf der Gerecht- und Billig-Denkenden, außerhalb der Gemeinschaft seiner Zeitgenossenschaft stellt. Hier am Ende, mit solcher Interpretation, hätte der Konservative Mosebach seinen Büchner also doch für sich gefunden.
Navid Kermani bezog das Werk des Büchner-Preisträgers in seiner Laudatio auf einen großen Vorgänger, auf Cervantes und seinen Don Quijote, und fand so zu einer schlüssigen Verteidigung des Mosebach'schen Konservatismus. Auch der Frankfurter Schriftsteller nämlich verwerfe, wie der Spanier Jahrhunderte vor ihm, in seinen Romanen einen längst überholten Entwurf des Lebens und Schreibens, gerade indem er ihm auf extreme Weise verpflichtet zu sein scheint. So wenig wie Cervantes Verteidiger des Rittertums sein wolle, so wenig habe Mosebach im Sinn, mit traditionellen Formen des Romans auch dessen bürgerliche Welt zu restaurieren.
Ungerecht kann ich das nicht finden. Der Preisträger Günther Rühle meinte nichts anderes als die Zuerkennung des Merck-Preises an ihn selbst und gab damit die leicht-beschwingte Tonlage seiner Rede vor. Mit viel Witz und unter froher Zustimmung des Publikums klärte Rühle auf über den Namensgeber Merck und darüber, was dessen Arbeit als Naturforscher mit Rühles Theaterkritiken zu tun hätten: Hoffentlich nichts ... es ist das Schöne an den Preisen, dass sie unverhofft Sprünge machen. Rühles Einspruch gegen die heutige Theaterkritik geriet im Vergleich zu solch furiosem Beginn dann jedoch leider weit weniger überzeugend und pointiert.
Josef H. Reichholf ist einer der wenigen Naturwissenschaftler innerhalb der Dominanz von Historikern und Philosophen, dem jetzt der Freud-Preis zuerkannt wurde. Das mag nicht zuletzt mit einer Versessenheit der Naturwissenschaften aufs Spezialistentum zu tun haben, wie sie Reichholf diagnostizierte. Einer Selbstbeschränkung auch, der die Vermittlung von Wissen durch eine verständliche Sprache gleichgültig und letztlich eine Überforderung ist. Dass schon seine Studenten Verständlichkeit fürchten als Ausweis mangelnder Wissenschaftlichkeit war mehr als eine kleine Anekdote aus dem Alltag des Universitätslehrers. Reichholfs von der Akademie hervorgehobene frische wie lebhafte Sprache ist also eine, die sich gegen einen Jargon bewähren muss, ebenso wie ihn seine vehementen Einsprüche gegen einen ritualisierten Alarmismus ökologischer Fundamentalisten zum Provokateur machen. Der grassierenden Menetekelei ob das drohende Waldsterben, das vor Jahren noch unausweichlich schien, oder jetzt der zuweilen hysterisch beklagte Klimawandel sei Reichholfs so gründliche wie überlegte und abwägende Einstellung entschiedenst entgegengesetzt, befand denn auch seine Laudatorin Anita Albus.
Wer wollte, konnte von der Bühne des Großen Hauses des Staatstheaters Darmstadt auch einen Merck-Satz, Rühle hat ihn zitiert, mit nach Hause nehmen: Wir sind doch nur insofern etwas, als wir was für andere sind.