Presseschau

Zum Tod von Norman Mailer

12. November 2007
Redaktion Börsenblatt
"Bürgerschreck und Bürgerkind", "furchtlos und geistreich", "ein amerikanisches Tier" - die Feuilletons der Zeitungen gehören heute Norman Mailer, der am vergangenen Samstag gestorben ist.
"Norman Mailer, in der Haut eines Löwen" - Wieland Freund schreibt in seinem Nachruf für die WELT: Mailer, 1923 als Sohn jüdisch-litauischer Einwanderer geboren und in Brooklyn aufgewachsen, kam als blutjunger Mann an die Pazifikfront und verarbeitete seine Erfahrungen dort in seinem ersten, wuchtigen Roman "Die Nackten und die Toten". Vielen gilt er bis heute als sein bester. Nach dessen Vollendung begab er sich auf Europareise, und die Anekdote will, dass ihn in Nizza ein Sack voller Geld erwartete: "Die Nackten und die Toten" war ein Bestseller. Mailer erklomm den Gipfel des Ruhms nicht, er wurde hinaufkatapultiert, und zuweilen hielt er, was folgte, für den Abstieg. ... Hinter dem Bürgerschreck jedoch verbarg sich ein Bürgerkind: Für einen "radikalen Intellektuellen, existenzialistischen Philosophen, schwer arbeitenden Schriftsteller, Vorreiter der Obszönität", schrieb Mailer über sich selbst, "zeigte er auf der Leinwand seiner ersten Dokumentation einen verheerenden Makel, einen letzten verbliebenen Fleck der einen Persönlichkeit, die ihm ganz und gar unerträglich war - den netten jüdischen Jungen aus Brooklyn. Es musste die Lymphschwellung sein, die ihn verriet - er besaß die weichen Züge eines Mannes, der von früh auf an Mutterliebe gewöhnt war." "Der Schriftsteller und sein Biest" - Sebastian Moll hat den Nachruf für die "Frankfurter Rundschau" geschrieben: Wären nicht die letzten zehn Jahre seines Lebens und Schaffens gewesen, würde man Norman Mailer ausschließlich als Chronisten der Jahre nach 1945 in Erinnerung behalten - jener Zeitspanne, die man, ob einem das behagt oder nicht, als die amerikanische Epoche des Weltgeschehens bezeichnen muss. .... 1997 wendete sich der Brooklyner Jude scheinbar unvermittelt Fragen der Religion zu, die ihn bis an sein Lebensende nicht mehr los ließen: Zunächst mit einer in der ersten Person erzählten Jesus-Biografie, dann mit seinem Hitler-Roman "Das Schloss im Wald", in dem er sehr ernsthaft das Wirken des Bösen in der Welt untersucht und schließlich mit einem Interview in Buchlänge zum Thema Gott, das erst vor wenigen Wochen erschien.... Dass Mailer sich bis hin zum Entwurf seiner Privattheologie den Hipster, den Außenseiter im Besitz einer höheren Wahrheit, zum Ideal nahm, reihte ihn in die Tradition großer amerikanischer Schriftsteller ein. Eine ganze Schule amerikanischer Literaturkritiker, zu denen unter anderem Harold Bloom und Richard Poirier gehören, charakterisieren diese Tradition: Seit Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau ist laut dieser Theorie der amerikanische Intellektuelle eine Figur, die einen besonderen Zugang zum göttlichen Willen verspürt. "Ein amerikanisches Tier" - Alexander Cammann schreibt in der "taz": Ein ziemlich abenteuerliches Herz hat aufgehört zu schlagen. Der Reporter und Romancier Norman Mailer ist tot. Unter den Autoren seines Landes war er wohl die prägnanteste Verkörperung des amerikanischen Traums im 20. Jahrhundert: Bei aller Vitalität immer zwiespältig, pendelten Leben und Werk Mailers kräftig zwischen strahlendem Erfolg und dunklen Momenten hin und her. Der 1923 als Sohn jüdischer Einwanderer aus Litauen geborene Mailer wuchs in Brooklyn auf. Eigentlich hatte er Flugzeugingenieur werden wollen, besuchte jedoch neben dem Studium am Harvard College ein paar Schreibkurse. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er dann an der Pazifikfront. Diese existenzielle Erfahrung trieb den jungen Mann zu seinem ersten Roman; der Krieg prägte ihn wie schon Ernest Hemingway oder, ganz anders, den deutschen Schriftsteller Ernst Jünger. Gerade 25 Jahre alt war Mailer, als 1948 "Die Nackten und die Toten" erschien und zu einem Welterfolg wurde. Schonungslos hatte Mailer aus der Sicht der Soldaten in packendem Realismus die Furchtbarkeit des Krieges und die hässliche amerikanische Realität dargestellt. Ein Schriftstellerstar war damit geboren - und Amerika bekam zugleich einen seiner lautstärksten linken Intellektuellen. Seine Reportagen und Kolumnen erschienen in allen renommierten Magazinen; 1955 war er Mitbegründer der Village Voice....In den vergangenen Jahren war es merkwürdigerweise Deutschland, das den alternden Kraftkerl anzog. Im Jahr 2000 schaute er sich bei seiner ersten längeren Deutschlandreise sechs Wagner-Aufführungen bei den Bayreuther Festspielen an. Und sein letztes Buch "Das Schloss im Wald" führt den Leser auf verworrene Weise durch eine imaginäre familiäre Vorgeschichte Adolf Hitlers, inklusive inzestuöser Zeugung des kleinen Adolfs und seinen mit allerlei Perversionen angereicherten Kinder- und Jugendjahren.