Der fast vergessene Alberto Moravia, der im deutschen Sprachraum so vorbildlich von Wagenbach gepflegt wird, ist wieder da. Rechtzeitig zu seinem 100. Geburtstag am 28. No-vember hat Rizzoli im Oktober das bislang unveröffentlichte Romanfragment »Due amici« (»Zwei Freunde«) herausgegeben. Das Manuskript war 1995, fünf Jahre nach Moravias Tod, in einem abgelegten Koffer gefunden worden. Die Geschichte der zwei Freunde der eine Kommunist, der andere Opportunist spielt zwischen 1943 und 1945 und war offensichtlich vom Autor in den 50er Jahren als Fortschreibung des Romans »Die Gleichgültigen« geplant gewesen.
Moravia hat drei Fassungen hergestellt (alle drei sind jetzt in der Veröffentlichung enthalten), aber keine von ihnen abgeschlossen. Nach Elisabetta Sgarbi, Cheflektorin von Rizzoli, beweise sich Moravia gerade in diesem Fragment als meisterhafter Analysator der dunklen Seiten der bürgerlichen Gesellschaft. Susanne Schüssler von Wagenbach glaubt allerdings nicht an eine schnelle Übersetzung der »Due amici«. Erst einmal müsse man »die großen Romane dieses Klassikers der Moderne« wieder zugänglich machen.
Dennoch, die deutsche Neugier an italienischen Verhältnis-sen und ihrer literarischen Verarbeitung ist, wie Titel bei Verlagen von Bertelsmann bis Zsolnay zeigen, ungebrochen. Von den Italo-Krimis (zuletzt Andrea Vitali bei Piper oder Bruno Morchio beim Unionsverlag) ganz zu schweigen. Ge-spannt wartet man in Italien auf den neuen Krimi von Michele Giuttari, dessen Chefermittler Ferrara diesmal mit einem Bombenanschlag auf die Uffizien konfrontiert wird.
Andrea Camilleri hat derweil angekündigt, dass er seinen unwiderruflich letzten Montalbano-Roman geschrieben habe, in dem der auf der ganzen Welt beliebte sizilianische Commisssario aus Vigàta von der Bildfläche verschwinden werde. Wie das will der Autor natürlich nicht verraten, und außerdem soll der Roman erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. Vom hoffentlich noch lange munteren Andrea Camilleri erscheint dagegen jetzt bei Sellerio ein höchst poetisches Buch, ein »Märchen für Erwachsene« um eine Meerjungfrau.
Und groß ist auch die Erwartung auf die neue Milena Agus, welche die Medien nach ihrem vorangegangenen Titel »Mal di pietre« (»Die Frau im Mond«) wegen ihrer Herkunft aus Sardinien und in Anspielung auf die vielen erotischen Passagen des Titels eine »sardo-masochistische« Autorin nennen. Ihr nächstes Buch »Ali di Babbo« hat der römische Verlag Nottetempo für den Januar angekündigt. »Die Frau im Mond« ist inzwischen ebenfalls auf Deutsch (bei Hoffmann & Campe) erschienen. Und sogar ein voluminöses Werk wie das des Renaissanceautors Alvise Cinzio Fabrizi über »Die Herkunft der vulgären Sprichwörter«, das jahrhundertelang wegen seines hohen erotischen Gehalts (Illustrationen von Giulio Romano) auf dem Index stand, und in diesem Herbst vom Mailänder Verlag Spirali wieder aufgelegt wird, ist dabei, den Weg über die Alpen zu finden.
Deutschsprachige Gegenwartsliteratur wiederum erlebt jenseits der Alpen zurzeit eine Renaissance. Das zeigen Auftritte bekannter Autoren wie Ingo Schulze, der kürzlich beim Literaturfestival von Mantua las. Schulze stellte seine bei Feltrinelli erschienene Übersetzung des deutsch-deutschen Vereinigungsromans »Neue Leben« (»Vite Nuove«) vor und war bei den Medien ein gesuchter Gesprächspartner. Der Mailänder »Corriere della Sera« widmete dem Band eine umfangreiche Besprechung.
Feltrinelli setzt noch auf andere deutsche Autoren: Nach dem Erfolg von Daniel Kehlmanns »Vermessung der Welt« (»La misura del mondo«) in Italien im Jahr 2006 schob der Verlag in diesem Herbst mit der Übersetzung von »Beerholms Vorstellung« (»È tutta una finzione«; Original: Zsolnay 1997) einen weiteren Titel des Wiener Autors nach. Aber auch Denker wie Hanna Arendt oder Walter Benjamin können von einer jüngeren Generation italienischer Leser in neuen Ausgaben entdeckt werden. Und natürlich darf ein Altmeister wie Günter Grass nicht fehlen, dessen autobiografisches »Zwiebelhäuten« unter dem Titel »Sbucciando la cipolla« bei Einaudi erschienen ist.
Damit der Literaturaustausch zwischen den beiden Ländern richtig auf Touren kommt, fand unlängst unter Federführung des Goethe-Instituts in Mailand ein deutsch-italienisches Verlegertreffen statt. Ein Autor hat dabei überhaupt keine Rolle gespielt, weil er es nicht nötig hat: Umberto Eco. Seine »Geschichte der Hässlichkeit« Spitzentitel bei Rizzoli im Oktober war bereits einen Monat zuvor in der deutschen Übersetzung bei Hanser erschienen.
Henning Klüver