"Bei den Eingeborenen des Internets" - Ulrike Frenkel schreibt in der "Stuttgarter Zeitung", wie die Buchbranche Jugendliche zu Lesern machen will:
Müssen es in der Konkurrenz mit den neuen Medien wirklich immer Parallelwelten sein, oder gäbe es da vielleicht ganz andere Wege, um einen Zuwachs an Weltverständnis durch Lektüre attraktiv zu machen? Diese Frage beantworten Verlage unter dem Druck der Verhältnisse ganz unterschiedlich. Die einen schmeißen sich mit Reihen wie "Straße der Angst" und "Nacht der Schreie" an die Horror- und Gruselprodukte der Computerspielindustrie ran, andere bemühen sich, das schon ziemlich ausgeblutete Fantasy-Genre mit immer absurderen Szenarien wiederzubeleben, bei Thienemann hat man die Serie "Freche Mädchen" durch eine Kooperation mit Tokyopop durch die Serie "Freche Mädchen - freche Mangas" erweitert. Am weitesten wagt sich im Moment der Frankfurter Baumhaus Verlag aus dem genuinen Buchterrain heraus, was ihm ja schon bei der multimedial verwerteten Serie "Die wilden Kerle" großen wirtschaftlichen Erfolg beschert hat. Baumhaus" Herbstnovität "Cathy"s Book" versucht mit Hilfe eines ausgetüftelten Verwirrspiels, die Barrieren zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu durchbrechen: Das tagebuchartig angelegte Werk der beiden amerikanischen Computerspezialisten Sean Stewart und Jordan Weisman trägt schon auf dem Cover die Inschrift "Wenn du"s findest - ruf an". Es folgt eine vom Verlag geschaltete Frankfurter Telefonnummer mit Anrufbeantworter, von dem man einiges über eine geheimnisvolle Kunststudentin und ihren verschwundenen Freund erfährt, ebenso wie auf fünf Websites und aus einem Packen beigelegter Dokumente. Als erstes Buch einer "interaktiven Jugendliteratur" bezeichnen die Herausgeber "Cathy"s Book", als multimediales Projekt, in dem das Lesen mit der Welt der Computerspiele und der modernen Kommunikationsmedien wie SMS oder Chatrooms verbunden wird. Literarisch hat die Angelegenheit - gekennzeichnet als "ARG ab zwölf Jahren" - den Wert eines Lore-Romans für Heranwachsende, als potenzielle Parallelwelt mag sie freilich taugen. Und Thomas Feibel wächst für sein nächstes Buch ein Begriff zu, mit dem er ratsuchende Eltern vertraut machen kann: ARG heißt Alternate Reality Game und bedeutet so etwas wie Parallelweltspiel.
"Bengalische Feuer" - die "taz" schreibt über die Schriftstellerin Taslima Nasreen:
Taslima Nasreen ist wieder auf der Flucht. Seit die Schriftstellerin 1990 mit ihrem ersten Roman "Schande" berühmt wurde, hat sie immer wieder ihre Aufenthaltsorte gewechselt: auf der Flucht vor Fatwas, auf der Suche nach Sicherheit und einer sprachlichen Heimat. Todesdrohungen vertrieben die junge Ärztin und Lyrikerin zuerst aus ihrem Heimatstaat Bangladesch nach Europa. Sie lebte in Deutschland, Frankreich, England. Schweden gewährte ihr Asyl und einen Pass, sie versuchte, sich in den USA niederzulassen. Sie fand keine Ruhe. Dort, wo sie nicht physisch bedroht wurde, sah sie ihr "kulturelles Überleben" gefährdet, und dort, wo sie sich zu Hause fühlte, musste sie mit Fatwas leben.Indien schien schließlich die Lösung des Dilemmas zu sein: ein liberales und multikulturelles Land, mit einem Bundesstaat, in dem Bengalisch gesprochen wird, dessen Hauptstadt Kalkutta das Zentrum der bengalischen Kultur ist. Zudem hat Westbengalen seit 30 Jahren eine kommunistische Regierung - eine Garantie, könnte man denken, für den säkularen Schutz von Kulturschaffenden, gerade solchen, die von Religionsfanatikern und Frauenhassern verfolgt werden. Doch in Indien müssen auch die Kommunisten Wahlen gewinnen, wollten sie dieser noblen Haltung zum Durchbruch verhelfen. Das ist nicht leicht. Die patriarchalischen Religionsfanatiker können mit ihrer Stimmungsmache um den angeblich drohenden Verlust religiöser Identität Millionen von Wählern obilisieren. ..."Frauen haben keine Heimat" lautet der Titel ihres jüngsten Buchs. Die bengalische Schriftstellerin führt in diesen Tagen den existenziellen Beweis ihrer Behauptung. Bengalische? Das stimmt im sprachlichen Sinn, denn Nasreen spricht und schreibt in Bengali. Aber von der Staatszugehörigkeit her stimmt es seit über zehn Jahren nicht mehr - Bürgerin von Bangladesch ist Taslima Nasreen nicht mehr, nachdem die Regierung in Dhaka sich geweigert hatte, ihren Pass zu verlängern. Seither hat sie einen schwedischen Pass. Aber macht sie dies zu einer Schwedin? Ja, folgt man dem Argument indischer Passbeamten, die kaltblütig-bürokratisch behaupten, es sei unmöglich, einer schwedischen Staatsbürgerin in Indien Asyl zu geben.