Es mangelt nicht an feierlichen Worten über den Ruhm: Von Ovids selbstbewusster Sentenz, er habe ein »Denkmal« errichtet, das »dauerhafter als Erz« sei, über Hölderlins »Was bleibet aber, stiften die Dichter« bis zum optimistischen Reim »Wer schreibt, der bleibt«.
»Bleibt vielleicht ein Vierteljahr«, möchte man aus Kenntnis des Novitätenverdrängungswettbewerbs ergänzen. Kein Zweifel, das Lob des Nachruhms war meist eine Kompensationsfantasie von Autoren mit schmerzlichem Aufmerksamkeitsdefizit. Solche Phantasmen haben aber wenig mit der Realität zu tun. Die sieht eben leider so aus, dass das Buch zu den besonders flüchtigen Waren gehört. Während viele Alltagsprodukte eine Laufzeit von Jahrzehnten haben, überleben Bücher in den meisten Fällen bereits das Saisonende nicht. Und das ist nicht erst seit Kurzem so. Ganze literarische Kontinente sind untergegangen. Etwa die deutsche Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Welche Unmengen von Romanen, Dramen und Gedichten wurden da nicht von Hunderten von Autoren mit Unsterblichkeitsanspruch geschrieben. Über den Wassern des Vergessens erheben sich heute noch der Archipel Wilhelm Busch und das Fontane-Eiland.
Ich erinnere mich noch, wie mir das »gute Buch« von Erziehungsberechtigten als bleibender Wert gegenüber den leider so vergänglichen Produkten der Popkultur empfohlen wurde. Solche Vorstellungen sind gründlich auf den Kopf gestellt worden. Während die meisten Bücher, die damals kurzfristig Furore machten, heute kaum noch jemand kennt, haben sich viele Rock-Alben meiner jugendlichen Sammlung längst als die wahren Klassiker erwiesen. Mehr noch: Popstars, die vor 30 Jahren einen einzigen Sommerhit hatten, können dank des nostalgischen Millionenpublikums damit bis zum Lebensende auf Tournee gehen. Manche, die längst in bürgerlichen Berufen untergetaucht waren, sind geradezu zum Comeback gezwungen, weil ihre Sachen nach Jahrzehnten wieder heiß begehrt sind, wie sich jüngst beim Revival der »Neuen deutschen Welle« zeigte.
Schriftsteller dagegen können nur in Ausnahmefällen ihre Existenz auf der Basis früherer Erfolge bestreiten. Wo ist der Autor, der mit seinen alten Romanen auf Lesereise ginge? Wer nichts Neues hat, hat nichts. Und selbst unermüdliches Weiterschreiben hilft nicht gegen den tendenziellen Fall der Aufmerksamkeitsrate.
»Romane von gestern heute gelesen«, lautete einmal eine publizistische Offensive Marcel Reich-Ranickis gegen das Vergessen. Es müsste in den Medien und Verlagen mehr solche Überlebensnischen für zu Unrecht vergessene Werke geben. »Das Beste der 60er, 70er und 80er«, Sammlungen »literarischer Sommerhits« oder eine Rubrik »Remittende revisited«. Hoffnung kommt auch vom Jubilar Günter Grass. Er, der vermutlich jede eigene Zeile für unsterblich hält, lässt es sich nicht nehmen, auf Lesungen das Publikum gerade mit seinen »vernachlässigten Kindern« zu beglücken. So trug er kürzlich in Bremen ein Kapitel aus den »Kopfgeburten« vor, sicher eines seiner vergessensten Werke. Und siehe: Der Text verblüffte das Publikum mit demografischen Vorahnungen. Solcher Mut zur eigenen Backlist ist mehr Autoren und Verlegern zu wünschen.
»Das Beste der 60er, 70er und 80er« können Musiksammlungen Vorbild für das Buchgeschäft sein?
Diskutieren Sie mit uns!