Presseschau

Paul Maar, Literaturland Kroatien

13. Dezember 2007
Redaktion Börsenblatt
"Ein Leben voller Sams-Tage" - Tilman Spreckelsen gratuliert dem Kinderbuchautor Paul Maar in der FAZ zum 70. Geburtstag. Ebenfalls Thema: die Literaturlandschaft in Kroatien.
"Ein Leben voller Sams-Tage" - Glückwunsch für Paul Maar von Tilman Spreckelsen in der FAZ: Wer in seiner Gegenwart irgendeine angemaßte Autorität durchsetzen will, hat schlechte Karten; wer den rotgepunkteten Frechdachs gar mit unbedachten Äußerungen reizt, steht auf verlorenem Posten. Das Sams verkörpert wie kaum eine andere Figur im Kinderbuchkosmos die Freiheit des Wortes im Allgemeinen wie die spezielle Freiheit, das Wort spielerisch bis über die Sinngrenze hinaus zu dehnen; es konfrontiert umgekehrt all jene, die leichtfertig mit ihrer Sprache umgehen, mit den Konsequenzen aus dieser Sorglosigkeit, indem es die Urheber wörtlich nimmt und damit oft tief ins Schlamassel stößt. Niemand hat so ein Sams nötiger als der schüchterne, wenig geachtete Herr Taschenbier, und man wird in Maars Büchern häufig auf Gestalten stoßen, denen nichts so mangelt wie der Mut zur freien Rede. Und während andernorts das voraussetzungsfreie und folgenlose eskapistische Lesen gepriesen wird, während das Buch an sich immer mehr zum Fetisch wird und ein Roman nach dem anderen seine Aura aus den Regalreihen ehrwürdiger Bibliotheken bezieht, beschreibt Maar immer wieder neu, wie Worte und ihr freier Gebrauch buchstäblich Biographien gelingen lassen können – oder aber, wie das gewaltsame Unterdrücken dieses Impulses ein Leben beschädigen kann. Es ist kein Geheimnis, dass Maar sehr unter einem Vater gelitten hat, der vom Lesen nichts hielt. Und so manche Schilderung von heimlicher Lektüreerfahrung wie etwa in „Lippels Traum“ (1984) mag sich aus der Erinnerung daran speisen. Dieser Vater wiederum litt an der „Stacheldrahtkrankheit“, als er einige Jahre nach dem Krieg aus russischer Gefangenschaft heimkehrte – was das bedeutet, kann man in Maars großem Jugendroman „Kartoffelkäferzeiten“ von 1990 nachlesen. Maar arbeitete als Kunsterzieher und wagte erst nach dem Erfolg von Büchern wie „Der tätowierte Hund“, „Eine Woche voller Samstage“ und einigen Kindertheaterstücken, als freier Schriftsteller zu leben. "Willkommen im Raucherparadies" - über das Literaturland Kroatien schreibt Ina Hartwig in der "Frankfurter Rundschau": Eine Variante des kroatischen Charmes geht so: "Ich bin traurig, dick und hässlich, aber ich bin frech genug, Sie mit meiner Prosa zu belästigen." Der das sagt, heißt Delimir Rešicki und sitzt auf der Bühne eines kleinen Theaters in Pula, Istrien, wo er im Rahmen der Buchmesse aus seinem jüngsten Buch vorliest. Er gilt als einer der Besten seiner Generation - es ist die Generation der 50- bis 60-Jährigen, die eine wilde Jugend in Titos Jugoslawien hatten, in der Tudjman-Zeit den Selbstbedienungs-Kapitalismus der Herrschenden hassen lernten, dann den Krieg auf dem Balkan erlebten und jetzt, da die Küstenregionen von reichen Russen aufgekauft werden, Melancholiker oder Zyniker sind. Oder beides. Delimir Rešicki, dem seine Zuhörer an den Lippen hängen, ist ausschließlich Melancholiker, und zwar einer, der seine Gefühlslage scheulos mit dem Begriffsbesteck von Freud, Zizek und Lacan seziert, als lebten wir noch in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Identität sei nichts als ein Phantasma, wiederholt er mantraartig, und man gewinnt den Eindruck, diese Einsicht verschaffe ihm ein bisschen Erleichterung inmitten der "Tragödie Mitteleuropas": "Verloren ist das Mitteleuropa als unser aller gemeinsamer Raum, in dem Differenzen noch miteinander existierten." Der Krieg der Waffen ist vorbei, der Krieg der Identität wird fortgesetzt, aber wir lassen uns den Spaß nicht verderben, könnte die Botschaft - nicht nur - dieses Schriftstellers lauten. Der Applaus jedenfalls ist so heiter wie frenetisch... Schwerpunktland Kroatien: Das klingt einfach, muss aber als das Ergebnis mehrjähriger, komplizierter Auseinandersetzungen und Verhandlungen gelten, zwischen dem Direktor der Leipziger Messe Oliver Zille und dem kroatischen Kulturminister Božo Biškupic. Es wurde - und wird noch, man spürt es - über die Definitionshoheit des deutschen Auftritts gerungen: Welches Kroatien soll sich in Leipzig vorstellen, das patriotisch-konservative oder, wofür die beiden in Deutschland lebenden Kuratoren des Leipziger Auftritts György Dalos und Alida Bremer selbstverständlich plädieren, das kosmopolitisch-intellektuelle Kroatien?