Wer schreibt und darauf vertraut, dass hundertundein hilfreicher Geist sein Manuskript als Buch hin zu den Lesern bringen werden, muss zu allen fremden Büchern hart sein können. Denn jeder der Wälzer, jedes der Bändchen, die seinem gerade keimenden Roman vorausgegangen sind, flüstert dem Schreibenden zu: »Wozu Neues? Lies stattdessen! Die Fülle des aufs Schönste Verfassten ist ungeheuer groß!«
Wo die Tradition derart recht hat, hilft nur Gewalt. Es gilt auf künstliche Weise den nötigen Mangel zu erzeugen. Bei uns ist dies zwischen Weihnachten und Neujahr erneut geschehen: Unsere Bücherwand zog aus einem nicht allzu großen Zimmer in ein kleineres um. Dort füllt unser gesammelter Lesestoff weiterhin die gleichen drei eisernen Regale. Ein alter Dorfschmied hat sie vor zehn Jahren angefertigt. Und obwohl er immer noch den Hammer schwingt, Gartentore und Rosenbögen schmiedet, sind unsere Regale bis heute sein einziger Auftrag in Sachen Buchkultur geblieben. Als sie damals, nach unserem Umzug aufs Land, zum ersten Mal gefüllt wurden, beschlossen wir, dass wir ab sofort nur so vielen Büchern in unserem Haushalt dauerhaft Obdach gewähren, wie wir in diesen drei Gestellen unterbringen. Gewiss kann nur ein schreibendes Paar so grausam konsequent zu den Werken anderer Schreiber sein.
Seitdem hat manch ein Besucher vergebens nach jenem Band geforscht, den er uns doch erst kürzlich geschenkt hatte. Ausgelesen heißt bei uns in der Regel ausgemustert. Nur was uns wirklich weiterempfehlenswert erscheint, kommt als Spende in die öffentliche Bücherei der nächsten Kleinstadt, alles andere wandert ich tippe es errötend in den Altpapiersack. Gnadenlos alles andere? Bis jetzt war es nur fast alles andere. Denn während unserer ersten zehn Landjahre gab es rechts und links von den Regalen noch Platz. In diese beiden Lücken konnten wir zur Not und nur vorübergehend! Band über Band an die Wand schichten. Aber nun sind auch diese staubigen Pyramiden, diese Grabmäler der Verlegenheit, abgetragen. Neue Stapel werden nicht mehr entstehen. An ihrem jetzigen Standort sitzen unsere Regale wie eingegossen zwischen den Wänden. Erneut mussten die Bücher eine rücksichtslose, durch und durch ungerechte Musterung überstehen. Dennoch ergaben sich nur wenige Lücken. Und leider sind unter denen, die wir zu Weihnachten bekommen haben, wieder zwei voluminöse Schwarten. Noch ein Weilchen liegen die beiden Elefanten, nichts Schlimmes ahnend, bei uns am Bett.
Aber vielleicht ist sogar für diese Dicken unser Haus nicht ganz ohne Hoffnung. Eines unserer jüngsten Bücher ist nämlich seit dem Jahreswechsel verschwunden. Ich weiß noch, wie ich es aus der Versandtasche nahm, in der es mir mein Verlag zugeschickt hatte. Unaufgeblättert ist es sogleich irgendwo untergeschlüpft. Meine Unordnung, meine Neigung, loses Papier aller Art zu stapeln, hat es ihm erleichtert, sich unsichtbar zu machen. Ob es wohl »Hier!« riefe, wenn ich ihm einen Stellplatz in unseren Regalen verspräche? Nein, eher rutscht es noch ein wenig tiefer unter die alten Zeitungen, hält mucksmäuschenstill und verrät mir durch sein Schweigen, dass das Jahr des heimlichen Buches angebrochen ist.
Was tun Sie gegen Platznot? Und wo bringen Sie all die neuen Bücher unter?