Meinung

Aus Sicherheit ins Unsichere

10. Januar 2008
Redaktion Börsenblatt
Verlagsgründer: Es ist immer inspirierend, wenn Neues versucht wird. Meint Jochen Jung.
Gewiss kennen Sie das witzig melancholische Gedicht von Christian Morgenstern über die beiden Prätendenten Réaumur und Celsius, die dem alten König Fahrenheit seinen Thron streitig machen wollen. Es endet mit den Versen: »Im Winkel König Fahrenheit / hat still sein Mus gegessen. / ‚Ach Gott, sie war doch schön, die Zeit, / die man nach mir gemessen!‘« Nun, melancholisch ist Doris Janhsen sicher nicht zumute gewesen, als sie ihren neuen und vor allem eigenen Verlag gründete. Aber die Situation, in der sich die letzten Leser in Ray Bradburys Roman (oder François Truffauts Film) »Fahrenheit 451« befinden, von dem Frau Janhsen sich den Namen ihres Verlags geliehen hat, ist immerhin nicht sehr lustig: Man erinnert sich an die Frauen und Männer, die sich da vor einer feindlichen Umwelt in die Wälder zurückgezogen haben, um dort jeweils ein Buch (zu dem sie dann gleichsam selber werden) zu repetieren und zu rezitieren – eine herzzerreißende Rettungsaktion, die noch jeden Bücherfreund zum Schlucken gebracht hat. Es ist eine pathetische Szene, aber unser aller unverlierbare Anhänglichkeit an das Geschriebene und Gedruckte darf ruhig pathetisch genannt werden, ja von mir aus sogar ein wenig sentimental – es ist einfach immer schön, von Fall zu Fall daran erinnert zu werden, dass wir uns ein Leben ohne Bücher nicht vorstellen mögen. Genau so hat es Doris Janhsen auch gesagt, und da kann man natürlich leicht einwenden, dass es außer im Film oder Roman wohl überhaupt niemanden gibt, der sich so etwas vorstellen mag: Denn entweder hat man es einfach gar nicht mit den Büchern, dann wird man sie sich nicht einmal wegdenken wollen, oder man weiß, was Bücher sind, und dann weiß man auch, und zwar für den Rest des Lebens, dass sie zu den unverzichtbaren Stützen dieser Welt zählen. Doris Janhsen weiß das natürlich, ebenso wie Rainer Weiss, der gerade mit Anya Schutzbach seinen Verlag Weissbooks gegründet hat. Sie sind so verschieden, wie ihre Programme es sind, aber sie sind Kenner und Könner, sie wissen, worauf sie sich eingelassen haben. Gerade deswegen hat ihr Entschluss auch etwas Tollkühnes, und gerade deswegen kommt man nicht umhin, sich nachhaltig darüber zu freuen. Wir alle arbeiten ja in einer alten Branche, die man nicht gerade innovationssüchtig nennen kann. So mancher ist doch damit zufrieden, wenn er nur still im Winkel sein Mus essen darf. Umso inspirierender ist es daher, wenn Neues versucht wird, und es ist wenig originell, darauf als Erstes mit Kopfwackeln und Prophezeiungen baldigen Wiederverschwindens zu reagieren. Wir haben das ja erst kürzlich bei der wesentlichsten Verlagsgründung der letzten Zeit, dem Verlag der Weltreligionen, erlebt. Freuen wir uns, dass wir wieder einmal darauf hingewiesen werden, dass wir auf einem Feld arbeiten, das unverhofft neue Ideen wachsen lässt, woher auch immer der Dünger kommt. Es müssen nur die Richtigen auftreten, die aus einer Lebenssituation die Energie und das Zutrauen destillieren, das es braucht, um sich, weil man seiner Sache sicher ist, ins Unsichere zu wagen. Auguri, chapeau, good luck: Möge die Übung gelingen! Kopfschütteln oder Freude über Mutige? Was sagen Sie zu den Neugründungen?