Darmstädter Gespräche

"Es muss ja nicht immer gleich Thomas Mann sein"

21. Januar 2008
Redaktion Börsenblatt
Konsumgesellschaft, Informationsüberfluss und Überangebote auf allen Ebenen. Bleibt da eigentlich noch Platz für Literatur, wenn ja, wo liegt ihr Nutzen? Die Darmstädter Gespräche beschäftigten sich am gestrigen Sonntag mit der provokanten Frage "Wozu brauchen wir die Literatur?"
"Früher war alles besser." Diesen abgedroschenen Satz kennt jeder und manche hassen ihn abgrundtief, so auch Denis Scheck. Das war eine handfeste Erkenntnis der Darmstädter Gespräche im Staatstheater. Alexander U. Martens hatte Peter Benz, Karl-Heinz Bittel, Herman Kant und Denis Scheck eingeladen, um zum Thema "Wozu brauchen wir die Literatur?" zu diskutieren. Ansatzpunkte zur Diskussion gab es reichlich. So zum Beispiel die derzeitige Bücher-Inflation. 90.000 Neuerscheinungen kamen im vergangenen Jahr auf den Markt. Zuviele? "Diese Diskussion verstehe ich nicht ganz. Wenn wir morgens auf den Markt gehen und dort liegt alles voller Tomaten, sagen wir doch auch nicht: Wer soll das alles fressen. Natürlich sind 2007 viele Titel auf den Markt gekommen, aber wir müssen sie doch nicht alle lesen. Allerdings soll für jeden etwas dabei sein", erklärte Scheck seine Sicht. Peter Benz, ehemaliger Oberbürgermeister von Darmstadt, bereitet dagegen eher Bauchschmerzen, dass mindestens 22 Prozent der Deutschen überhaupt nicht lesen. An diese Zahl müsse man anknüpfen. Autor Hermann Kant dagegen möchte sich von solchen Zahlen nicht das Schreiben vermiesen oder sich davon beeindrucken lassen: "Das Schreiben und Lesen wird bleiben. Es gehört doch dazu, dass Kinder fragen, ob die Eltern eine Geschichte erzählen. Dieses Bedürfnis wird nicht enden." Moderator Martens bemerkte trotz der optimistischen Aussagen seiner Gäste, dass die Tomaten früher doch noch mehr nach Tomate schmeckten als dies heute der Fall sei... "Früher war ganz bestimmt nicht alles besser. Dieser Satz geht mir auf den Keks. Ästhetische Fragen wurden doch in den 50er Jahren nie diskutiert. Literaturkritiken von früher sind mit den heutigen nicht vergleichbar. Ich glaube auch nicht, dass die Menschen früher mehr gelesen haben", konterte Scheck leicht genervt. Auch wenn die vier Gäste nicht immer einer Meinung waren. Bei der entscheidenen Antwort, ob Literatur nötig ist, wurden alle sehr deutlich. Während Denis Scheck den Text auf der Odolflasche liest, wenn er kein Buch zur Hand hat (was selten vorkommen sollte), sagte Kant: "Ohne Literatur bin ich nichts. Ich brauche sie, um mich zu äußern. Und auch Karl-Heinz Bittel meinte: "Literatur ist ein Instrument zur Welt- und Selbsterkundung, eine Bewusstseinerweiterung und Lustgewinn." Alexander U. Martens entließ die Gäste und das Publikum mit einem Zitat von Fußball-Legende Günter Netzer: "Das Einzige, was dem Land fehlt, ist Phantasie. Der Rückzug in eine Traumwelt gelingt aber nur, wenn der Fernseher aus bleibt und man sich in ein Buch vertieft. Es muss ja nicht immer gleich Thomas Mann sein."