Die Sonntagsfrage

Wie überlebt Wagenbach Corona, Frau Schüssler?

13. März 2020
von Börsenblatt

Der Berliner Verlag Klaus Wagenbach hatte sich wie alle Verlage auf die Leipziger Buchmesse gefreut, die heute zu Ende gegangen wäre. "Die knallneuen Bücher, die wir gern mit zur Leipziger Buchmesse genommen hätten, stapeln sich jetzt hier im Flur, die ebenfalls reisefertigen Autorinnen und Autoren sitzen enttäuscht auf ihren Koffern", heißt es im Verlags-Newsletter. Wie bringt Wagenbach seine Bücher jetzt ohne Leipzig an die Leser? Welche Reaktionen kommen aus dem Handel? Was braucht der Independent-Verlag von der Politik? Antworten von der Verlegerin Susanne Schüssler.

Für Leipzig hatten wir 14 Lesungen geplant, im Frühjahr waren es insgesamt weit über 30. Wir suchen nun für jedes Buch nach einer "maßgeschneiderten" Lösung: Unsere kanadische Autorin Michelle Winters wird zum Messeschwerpunkt im Oktober ihre Lesereise nachholen. Bis dahin haben Viele den witzigen kleinen Roman "Ich bin ein Laster" im SALTO gelesen und sind gespannt auf die dazugehörige Autorin. Jetzt wäre es umgekehrt gewesen: erst die Autorin, dann die Lektüre.

Großes Interesse gilt den beiden neuen Bänden der Reihe DIGITALE BILDKULTUREN: Mode-Bilder und Hass-Bilder von Diana Weis und Daniel Hornuff. Wir machen die Nagelprobe – ich bin gespannt, ob es gelingt, für Bücher über die Ästhetik digitaler Phänomene auf digitalem Weg Neugier zu erwecken.

Am schwierigsten wird es für das blitzgescheite Buch von Kolja Möller über Populismus, "Volksaufstand und Katzenjammer": Über Debattenbücher möchte man gerne streiten, und das war für Leipzig geplant. Denn wer sagt denn, dass Populismus nur schlecht ist? Kolja Möller hat sich die Geschichte dieser schillernden Agitationsform angesehen. Zum Glück ist das Buch auffällig knallorange.

Trotzdem sind die Autoren traurig. Man darf ja nicht vergessen, dass gerade die jungen auch auf die Lesungshonorare angewiesen sind. Verständnis und Verantwortung überwiegen aber bei allen. Zum Glück reagieren die Feuilletons und Rundfunksender kreativ und fangen so das ein oder andere auf.

Die Sorgen in der Branche sind zu Recht groß

Die Sorgen in der Branche über die Folgen sind zu Recht groß. Einbußen und Einbrüche werden kommen, das Ausmaß ist noch nicht absehbar. In vielen Buchhandlungen und Verlagen, gerade bei kleineren, ist die Reserve dünn. Dennoch ist es wenig hilfreich, Hysterie herbeizureden oder zu -schreiben. Wir leben doch in unglaublichem Luxus und Wohlstand mit über 70.000 Neuerscheinungen pro Jahr, darunter die wunderbarsten, tollsten, verrücktesten und schönsten Bücher. Für jedes noch so exzentrische Interesse etwas. Und dank unseres ausgefeilten Buchhandelssystems ist jedes Buch überall schnell zu kriegen. Das gilt es gerade jetzt zu schützen: All die herrliche Zeit, die uns abgesagte Veranstaltungen schenken, können wir verschwenderisch ausgeben – zum Beispiel für einen Streifzug durch die nächste Buchhandlung.

Von den Medien wünsche ich mir, nicht nur auf Katastrophenklickzahlen zu schielen, sondern auch dahin zu schauen, wo die Probleme unmittelbar politische Ursachen haben, etwa jenseits der europäischen Außengrenzen.

Ein Härtetfallfonds ist sinnvoll 

Und was kann die Politik tun? Ich bin kein Freund des mechanischen Schreiens nach Unterstützung im Gießkannenprinzip. Ein Härtefallfonds wie im Fall der VG Wort-Rückzahlungen oder der KNV-Insolvenz ist sinnvoll. Und unbürokratische Hilfe für Autoren. Notwendig ist vor allem ein sehr, sehr langfristig angelegtes Engagement: Leseförderung, endlich bessere Möglichkeiten öffentlich-rechtlicher Institutionen (Rundfunksender, Bibliotheken) und ordentliche rechtliche Voraussetzungen für unsere Arbeit.