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Anders als geplant

22. Mai 2020
von Marcus Schuster

Wie führt man ein Team, das man nur einmal kurz gesehen hat? Antonia Götsch ist seit März Chefredakteurin des »Harvard Business Manager« und musste ihren Plan, den sie sich für den Start zurechtgelegt hatte, komplett verwerfen.  

Viele Menschen müssen sich in ihren Jobs gerade neu organisieren. Aber jetzt als Führungskraft in einem Unternehmen neu anzufangen, so wie Sie, ist der blanke Wahnsinn, oder?

Ja, schon. Ich hatte mir genau überlegt, wie ich die neue Aufgabe angehen will. Ich hatte mir vorgenommen, den ersten Monat vor allem zuzuhören und zu analysieren, alle Prozesse zu verstehen, bevor ich – vielleicht vorschnell – Entscheidungen treffe. Stattdessen habe ich als eine meiner ersten Amtshandlungen den Hefttitel ausgetauscht und parallel dazu mit den Kollegen die Produktion in Wohnzimmer und Küchen verlagert.

Zuhören und analysieren im Tagesgeschäft waren schlagartig nicht mehr möglich. Woran haben Sie sich stattdessen orientiert?

Ich habe in den Krisenmodus umgeschaltet. Und dabei fest­gestellt, dass es sich wirklich lohnt zu planen – auch wenn man seine Pläne nicht umsetzen kann. Denn dadurch hatte ich viele Ideen im Kopf, die nun helfen. Zudem versuche ich meine Entscheidungen bewusst zu hinterfragen und bitte häufig Kollegen um Rat. Das empfinde ich als großen Vorteil eines solchen Hauses wie dem Spiegel-Verlag. Es gibt immer einen Experten oder eine Expertin irgendwo – und bisher hat mir jeder, den ich gefragt habe, geholfen.

Hatte dieser Start im Rückblick auch Vorteile, und was haben Sie über sich selbst gelernt?

Mir hilft sicher, dass ich grundsätzlich eher eine Optimistin bin und jemand, der seinen Mitarbeitern vertraut. Die Krise hat uns als Team noch schneller zusammengeführt, als es vielleicht unter anderen Umständen passiert wäre. Ich habe mich häufig von meinen Mitarbeitern führen lassen – ich kannte ja nicht einmal den »normalen« Produktionsprozess. Jetzt weiß ich, ich kann meinem Team vertrauen. Was ich noch gut finde: Wir haben uns gemeinsam an digitale Kommunikation gewöhnt – das war vor der Krise noch nicht so etabliert im Alltag. Vieles werden wir beibehalten.

Dennoch: Wie arbeitet man als Chefin mit Kollegen, die man kaum kennt?

Ich bin froh, Anfang März noch eine große Runde durch das Haus gemacht und dabei viele Menschen wenigstens einmal getroffen zu haben – nicht nur aus meinem Team, sondern auch aus der Produktabteilung, den technischen Bereichen und anderen Redaktionen. Das hilft jetzt enorm. Ich versuche, diesen persönlichen Austausch weiterhin aufrechtzuerhalten, indem ich regelmäßig Videocalls und Telefonate mit jedem einzelnen Kollegen und jeder einzelnen Kollegin führe. Auch mit freien Mitarbeitern, die zurzeit natürlich besonders besorgt sind. Es ist wichtig zu wissen, wie es allen geht, wo persönliche Belastungen vorliegen, wo Lösungen gefunden werden müssen.

Sie waren in den vergangenen Jahren auch als Businesscoach aktiv. Wie hat sich dieses Geschäft verändert?

Die Lernbereitschaft hat extrem zugenommen, schon vor der Krise. Eine Führungsrolle wird von den meisten Managern nicht mehr als gottgegebenes Talent wahrgenommen. Sie wollen sich weiterentwickeln. Das liegt auch an den Erwartungen, die Mitarbeiter heute viel klarer äußern, wenn sie von ihren Vorgesetzten bestimmte Kompetenzen einfordern.