Die wöchentliche Aufregung

28. Januar 2010
Redaktion Börsenblatt
Das Börsenblatt erfreut seine Leser in jeder Ausgabe mit einem „Aufreger der Woche“, prominent platziert direkt nach dem Inhaltsverzeichnis. Für unseren Autor Dennis Schmolk ist dieser Aufreger oft genug sein persönlicher „Aufreger der Woche“.

Dass das Börsenblatt stets Hauptorgan eines gesunden Branchenempfindens ist, ist nichts Neues. Nirgends merkt man das aber so gut wie in den kurzen, knackigen Kommentaren auf Seite 6. Als Leser kann ich mir immer gut vorstellen, wie sich kleine Buchhändler in ihren Ohrensesseln in Selbstgerechtigkeit üben, wenn sie den jeweils aktuellen Seitenhieb auf Amazon, die Piratenpartei, Open Access oder die Preisbindung lesen. Derartige Ressentiments regen mich auf, daher habe ich hier völlig subjektiv – sozusagen als verspäteten Jahresrückblick – meine „Favoriten“ des Jahres 2009 zusammengestellt.

Der Fall der NPD-Affiliate-Partnerschaft mit Amazon erregte Mitte des Jahres die Gemüter. In Heft  24/09 widmet sich auch der Aufreger der Causa: Man bemängelt, dass Amazon den betreffenden NPD-Ortsverein erst nach Protesten und nur zögerlich ausgeschlossen habe, vor allem aber, dass die kritischen Titel im Programm verbleiben. Fraglich ist für mich, wieso Literatur vom Markt genommen werden soll, das offensichtlich keine verfassungsfeindlichen Inhalte aufweist und strafrechtlich nicht als bedenklich eingestuft wurde. Auch wenn es gegen die braunen Kameraden der NPD geht, hat in einer Demokratie und einer offenen Gesellschaft noch immer jeder ein Anrecht darauf, seiner Meinung Ausdruck zu verleihen. Dass das gesunde Volksempfinden sagt, dass man mit der NPD keine Geschäfte machen soll, ist in Ordnung; „aufregend“ fand ich aber eher, dass sich das Börsenblatt eindeutig positiv dazu äußert, dass ein Händler unter öffentlichen Druck gesetzt wird – was folgt als nächstes: Keine politisch anrüchigen Werke mehr im VLB?

In Heft 26/09 titelt der Aufreger: „Werbung wäscht Piraten weiß“. Worum es geht? Um File-Hosting-Angebote. „One-Click-Hoster“ wie fast-load.net oder Rapidshare bieten Speicherplatz auf Servern zum webbasierten Austausch von Daten an (im Gegensatz etwa zu Bittorrent-Netzwerken wie PirateBay, wo die Daten dezentral auf den Rechnern der Nutzer liegen). Auf diesen Plattformen lagern u.a. Freeware- und Open-Source-Programme, freie Dokumente, aber auch – und das stößt den Börsenblatt-Kommentatoren auf – urheberrechtlich geschütztes Material, das illegal zum Download angeboten wird. Offenbar wissen auch die Autoren, dass hinter Urheberrechtsverletzungen im Internet selten kommerzielle Interessen stehen, dass jedenfalls keine Gebühren für Downloads anfallen – sondern dass diese Websites wie so viele werbefinanziert sind. Das Börsenblatt wirft nun den auf Filehosting-Plattformen werbenden Unternehmen vor, diesen einen „seriösen Anstrich“ zu verpassen (was bei den meist betrügerischen oder pornographischen Angeboten schon an Lächerlichkeit grenzt) und damit die „Drogenbarone der Online-Piraterie“ nicht nur zu finanzieren, sondern auch zu rechtfertigen. Was lernen wir daraus in Wirklichkeit? Der Kampf gegen Piraterie ist genauso zum Scheitern verdammt wie der gegen Drogen. Das jedenfalls entnehme ich der Analogie. Sowohl dem kriminellen Drogenhandel wie dem illegalen Handel mit urheberrechtlich geschütztem Material ist am wirkungsvollsten durch legalisierende und akzeptierende Modelle entgegenzutreten.

Auch zwei Wochen später, in Heft 28/09, geht es wieder um Piraterie, pünktlich zur Fertigstellung des Programms der Piratenpartei. Der Aufreger höhnt, die Piraten hätten sich mit ihrem Wunsch nach einer (liberalisierenden) Novelle des Urheberrechts „auf die Weihnachtswiese aus 'Peterchens Mondfahrt' verirrt“, wo Bücher wie Pflanzen aus dem Boden sprießen. Diese Andeutung bezieht sich auf die (immer noch nicht wirklich verifizierte) These, dass der Wegfall urheberrechtlicher Schutz- und Verwertungsrechte die kreative Produktion behindere oder verhindere. Mir drängt sich hier ein anderes Bild auf: Der Börsenverein als Lobbygruppe der eifersüchtig Nutzungsrechte wie Schätze anhäufenden Verlagsdrachen, die ihren Hort mit aller Gewalt verteidigen. Piraten gegen Drachen? Episches Material für eine moderne Fantasy-Fabel.

Gegen Ende des Jahres in Heft 47/09 stimmt man sich auch im Aufreger aufs Weihnachtsgeschäft ein. Die Aufregung rührt daher, dass die Shoppingmeilen voll seien (subjektiver Eindruck), aber die „analogen“ Umsätze statgnieren, während der Online-Markt seine Verkäufe erhöhe. Wirklich überraschend finde ich das nicht. Auch ich kaufe lieber Online, und selbst wenn ich Buchprodukte im lokalen Einzelhandel sehe, die über dem Mitnahmepreis von ca. 5 Euro liegen, recherchiere ich zunächste einmal online, ob es über Amazon Marketplace, ZVAB oder ähnliche C2C oder antiquarische Wege günstigere Wege an das gewünschte Buch – ob gebraucht oder neuwertig – gibt. Der Börsenverein sollte sich hier überlegen, ob er sich mit seiner Preisbindungspolitik nicht selbst ins Bein schießt – in Zeiten des komfortablen Online-Handels ist dieses Instrument kaum noch geeignet, dem stationären Handel etwas anderes als einen Wettbewerbsnachteil zu verschaffen.

Nicht immer halte ich die Aufreger für Unsinn. Im Juli etwa machte sich Amazon zur Zielscheibe des Aufregers, als es passenderweise Orwells 1984 wieder von den Kindles seiner Kunden löschte. Auch die Kommentare zum Gastland China und den dortigen Menschenrechtsverletzungen decken sich mit meiner Meinung (auch wenn der Börsenverein in dieser Hinsicht etwas mehr hätte leisten können), genau wie der Aufreger in Heft 41/09 betreffend die Entscheidung des Droste-Verlags, ein angeblich islamfeindliches Werk nicht zu verlegen.

In Zukunft soll hier in loser Folge der jeweils aktuelle Aufreger kommentiert werden – wenn es mir mal wieder zu bunt wird.