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Zwei Buchtitel. Ein Vergleich

5. November 2010
von Börsenblatt
Mit Gründung der Independent-Verlage gibt es im Buchhandel seit etwa 10 Jahren innovative, aufregende und unerhört lebendige Cover. Die grafischen Mittel sind genauso ungesehen, wie die Autoren unbekannt. Und das passt. Haltung und Gestaltung sind in der Regel stimmig. Der Markt goutiert dies allerdings nur bedingt.

20jährige Verleger arbeiten dennoch inhaltlich und ästhetisch in einer Konsequenz, die namhafte Literaturhäuser in der Regel schon lange verloren haben. Leidenschaft als Strategie?

Klett-Cotta sieht dies offenbar so, handelt und übernimmt den Tropen Verlag und seine Macher, modernisiert sich selbst und sein Erscheinungsbild. Dem neuen Imprint Tropen aber gibt das Verlagshaus ein seltsames Gesicht. So erhält beispielsweise der Krimi von Roger Smith einen Buchtitel, dem alles Innovative fehlt. Der Umschlag von "Kap der Finsternis" ist wie das Sujet selbst eine grafische Stilwüste. Leblos zitiert er die üblichen Mittel der Thriller-Kategorie: Ein gänzlich unüberraschendes Fadenkreuz fokussiert eine graue Ödnis, korrodierende Typografie zerfällt auf traurigem Grau, rote Farbe läuft über den Band, als wäre er kopfüber in Blut gefallen.

2008 hat der Tropen Verlag seine gestalterische Leidenschaft aufgegeben. 2009 gewinnt er mit "Kap der Finsternis" den Deutschen Krimipreis. Selbstverständlich für den Text.

Ein verheerendes Signal. Die Auszeichnung manifestiert die Leidenschaftslosigkeit und das auswechselbare Erscheinungsbild. Erst zwei Programme später hat der Verlag dies nun korrigiert. So erscheint der neue Roger Smith, »Blutiges Erwachen«, innerhalb eines exzellenten Reihenkonzeptes. Die neuen Tropen-Bücher tragen jetzt jeweils ein markantes Etikett. Es vermittelt Klasse wie die Manschette einer Flasche guten Weins, verspricht Genuss und Zeitlosigkeit. In Form und Typografie ist das Etikett stets individuell komponiert und wie bei "Blutiges Erwachen" jeweils auf ein klares Motiv montiert.

Offen gesagt: Die eingesetzten Mittel sind ziemlich konventionell, die literarische Einordbarkeit ist markttauglich, die Typografie tradiert. Die überraschende Spannung entsteht erst durch meisterliches Kombinationsgeschick von Bild und Etikett. Das ist herausragend in einem Segment, dessen Titel von undeutlicher Bildsprache, vagen Motiven und eher krachiger Tonalität dominiert wird.

Damit knüpft Tropen an seine gestalterische Qualität bis 2007 an. Das scheint Absicht gewesen zu sein, denn wie es seinerzeit üblich war, hat die Münchner Agentur Herburg Weiland, die die Neugestaltung verantwortet, den Strichcode wieder mit auf dem Cover platziert. Ausgezeichnet.

 

Robert Schumann