Bevor die beiden Titel gerupft und zerpflückt werden, soll hier zunächst die wachsende Uniformität deutscher Buchcover – und das ist hier durchaus wörtlich zu nehmen – näher betrachtet werden. Das Phänomen ist wohlbekannt, oft Thema zahlreicher Bücher-Blogger, deren digitale Repräsentanzen gefüllt sind mit einschlägigen Beispielen. Doch welches sind nun die Gründe für diese Art von Mehrlingsgeburten, abseits von Zufällen und steigenden Hormonmengen im deutschen Trinkwasser?
Es ist kein Geheimnis, dass die Enge des Marktes vermehrt Produkte nach dem Me-Too-Prinzip hervorbringt. Das Risiko scheint eindämmbar, orientiert man sich an erfolgreichen Vorgängern. Die Benchmark-Methode findet bei der Gestaltung von Automobilen ebenso Anwendung wie beim Entwurf von Buchcovern. Noch ungeklärt aber naheliegend ist der Zusammenhang des Phänomens mit der zunehmenden Bedeutung digitaler Handelsstatistiken, Orientierungstools genannt (»Kunden, die dieses Buch gekauft haben, haben auch diese gekauft.«), welche das auf einfachsten Instinkten basierende Konsumverhalten befördern sollen. Für unsere pelzigen Ahnen allerdings machte dieses Verhalten noch Sinn (»Als ich diese Frucht kürzlich probierte, habe ich mich nicht übergeben müssen.«), wohingegen solcherart gesteuerter Bücherkonsum heute nur noch von ästhetischem Versicherungsbedarf in unruhigen Zeiten zeugt, auf Seiten der Käufer ebenso wie auf Seiten derjenigen, die die Gestaltung zu verantworten haben.
Denn nicht selten bekommen Buchgestalter mit dem Briefing einen entsprechenden Bestseller an die Hand, verbunden mit dem expliziten Wunsch des Verlagsmarketings, sich bitteschön – ein klein wenig – daran zu orientieren. Die allgemein angenommene Theorie hinter dieser Praxis: Experimente und Alleingänge im Markt erhöhten das Verkaufsrisiko. Fazit: Die deutsche Angst vor dem Risiko übersteigt die Furcht vor der Gesichtslosigkeit um ein Vielfaches.
In Anbetracht der relativen Langlebigkeit von Büchern und der häufig leserlebenslangen Begleitungsfunktion mancher Titel, wirkt das Entstehen eines Buches oft überstürzt. Die langfristige Planung einer Veröffentlichung wirkt heute nicht nur beinahe anachronistisch, sie erscheint sogar fahrlässig. Verlage agieren schließlich unter dem enormen Druck eines Buchmarktes, der sich zweimal jährlich vollkommen zu erneuern versucht. Die Auswirkungen einer derart befeuerten Umsatzgeschwindigkeit sind an der Qualität der einzelnen Publikation ablesbar. Die Zeit, in der die jeweiligen Gestalter die Titel neuer potentieller Bestseller entwerfen sollen, wird stetig knapper bemessen. In wenigen Tagen sollen diese den Text gelesen, eine zündende Idee entwickelt und dem Buch ein markttaugliches Gesicht gegeben haben. Man kann eigentlich schon erwarten, dass, um Ähnlichkeiten oder gar Dopplungen auszuschließen, Gestalter sämtliche lieferbaren Titel, zumindest aber die 90.000 Neuerscheinungen pro Jahr im Blick haben, oder? Immerhin werden sie ja dafür bezahlt.
Apropos Kosten. Natürlich wird jedes Buch von Verlagsseite im Vorfeld detailliert und eng durchkalkuliert. Der Umschlag, meist Teil des Marketingbudgets, muss sich die Kosten oft mit Internetbannern, Deckenhängern und Tassenaufdrucken teilen. Die Bereitschaft, in das Cover zu investieren, nimmt ebenso ab wie das Vertrauen in das Potential eines gut gestalteten Umschlags, aus eigener Kraft heraus eine größere Käuferschaft ansprechen zu können. Individuelle Ideen und zugeschnittene Motive, die fotografiert oder illustriert werden müssen, sind immer teurer als der komfortable Zugriff auf die üblichen Bilderdienste und Fotodatenbanken, bevorzugt auf jene, die Amateurfotografien für wenige Euro anbieten. Die konkurrierenden Bildlieferanten haben sich ihrerseits wiederum an die Marktbedürfnisse angepasst und offerieren mittlerweile eine breite Auswahl an Kuriositäten: vielgestalt leidende Vampire, variabel jauchzende Hamster oder Variationen von blutenden Federn. Dabei gibt es leider nur wenige Bildagenturen, die vermeiden, dass ein Bild mehrfach und auffällig zeitnah an verschiedene Verlage verkauft wird.
Letzen Endes ist die Häufung mancher Motive vielleicht auch einfach ein Indiz für die Auswechselbarkeit der Inhalte.
Daher zurück zu unseren dramatisch gefiederten Zwillingen. Beim Erstgeborenen handelt es sich um ein Fantasyromandebüt, gestaltet von Hilden Design aus München, beim Zweiten um einen wiederaufgelegten Vertreter des Thriller-Genres in der ästhetischen Verantwortung der Zürcher Agentur Hauptmann & Kompanie. Die Bände erschienen etwa zeitgleich in diesem Jahr, interessanterweise beide innerhalb der Random House Verlagsgruppe. Ein Plagiatsvorwurf ist also wenig sinnvoll, spricht man hier besser von Parallelentwicklung? Zufälliger, gebillligter oder gar beabsichtigter Art?
Beide Cover zeigen dieses einfache und wirkungsvolle Motiv, dessen schwarzweißrote Dramatik sich durch die scheinbar ideal kombinierten Gegensätze ergibt: Der frisch-warme Tropfen Blut, die subtile Ankündigung der unausweichlichen Katastrophe, belastet die zartweiße Feder: Schwere stört Leichtigkeit, Schuld trifft Unschuld, Bitteres vergiftet Liebliches, Gewalt bedrängt Zurückhaltung, Tod zerstört Freiheit – nichts geringeres als »Krieg und Frieden« kündigen beide Bände hier an. Eindrucksvoll.
Die Absicht wird verstanden, nur schwant dem kritischen Buchbetrachter bereits Naheliegendes, Tolstoi ist vermutlich nicht zu erwarten, wir haben es schließlich mit gängigen Publikumstiteln aus populären Genres zu tun. Bleibt dem geneigten Leser also, wenigstens auf die Erfüllung der Titelmetapher zu hoffen.
Die Typografie auf Chaddas Fantasy-Roman »Teufelskuss« führt die Blickrichtung sowohl in die Marktkategorie, auf die der junge Verlag Penhaligon zugeschnitten ist, als auch in die moderne Vorstellungswelt vom sinnlich-mittelalterlichen Alltag. Blutstropfen prinzipiell als Küsse des Teufels zu interpretieren, ist nett und bezieht sich auch direkt auf den Text, in dem es von den üblichen Genrekreaturen und Schönheiten wimmelt. Nun, der Generalerlöser, selbstverständlich auch der schön, entpuppt sich am Höhepunkt der Geschichte als »Engel des Todes«! Treffer Nummer 1.
Der Thriller »Nimm dich in acht« ist erkennbar Teil einer üppigen Autorenreihe im Diana Verlag. Die Romane von Mary Higgins Clark lassen den Leser idealerweise bis zum Schluss im Unklaren. Es empfiehlt sich daher ein vom Leser nicht zu schwer zu entschlüsselndes Motiv, die Blutfeder erledigt ihren Job als genrespezifisches Symbol ganz ordentlich. Der Bezug zum Text geht aber über die unspezifische Metaphorik hinaus, wird noch deutlicher, wenn der mutmaßliche frauenmordende Täter ein außerordentlich poetisches Bild für seine Opfer gebraucht, er nennt sie »Federn im Wind«! Treffer Nummer 2.
Das Geheimnis der zunehmenden Darstellung von Federn auf Buchtiteln ist also keines und lässt sich ganz einfach mit dem vermehrten Auftreten von Geflügel in den jeweiligen Texten erklären? Nun, sagen wir so, das Geheimnis liegt offenbar eine Ebene tiefer. Bleibt die Frage: Garantiert der geplante Rückgriff auf inhaltliche Kollektivsymbole Erfolg? Oder schweben diese zeitgeistig in der uns alle umgebenden Luft oder doch im Trinkwasser?