Analyse

Arnd Roszinsky-Terjung: „Borders ist Opfer einer unseriösen Wachstumspolitik"

16. Februar 2011
Redaktion Börsenblatt
Die Hoffnung auf neue Kredite haben sich für Borders nicht erfüllt. Nun steht der US-Filialist vor einem Scherbenhaufen. Beobachtern zufolge ist es nur noch eine Frage von Stunden, bis das Management Insolvenz anmeldet. Unternehmensberater Arnd Roszinsky-Terjung analysiert für boersenblatt.net, warum es dazu kam, wie es um die Zukunft der Buchkaufhäuser steht – und weshalb dieser Fall auch ein Lehrstück für die deutsche Branche sein könnte.

Wenn ein Riese wie Borders strauchelt, sprießen die Spekulationen: Könnte sich ein ähnlicher Crash auch bei uns ereignen? Mal abgesehen davon, dass der Buchhandel in Amerika schon deutlich länger von Großflächen geprägt wird, dass die Einstellung zum Bücherlesen dort deutlich weniger mit kulturellem Habitus beladen ist, dass die Siedlungsstruktur zu Shoppingcentern auf der Grünen Wiese einlädt und damit in summa Filialisten ideale Wachstumsbedingungen bietet: Eine Schieflage wie die von Borders ist eigentlich nirgendwo ausgeschlossen. Denn anders als im Moment gern in den Medien verhandelt wird, ist Borders höchstwahrscheinlich kein Opfer des Internethandels, sondern einer unseriösen Wachstumspolitik.

Nervöse Kreditgeber

Das Unternehmen ist in 40 Jahren von 0 auf 1.000 Filialen gewachsen – weitestgehend mit Fremdkapital finanziert. Das kann gut gehen, wenn die Umsätze steigen (flächenbereinigt!) – und zugleich die Kreditgeber nicht nervös werden. Beide Bedingungen kamen jedoch bei Borders in den vergangenen zehn Jahren nur selten zustande.

Wachsende Komplexität 

Nicht die Branchenentwicklung an sich ist das Problem – stagnierende Märkte, sinkende Umsätze, neue / konkurrierende Vertriebswege zählen nun mal zum Wirtschaftsalltag –, sondern der Umgang mit diesen Phänomenen.

Bei Borders, und das macht diesen Fall zu einem Lehrstück, galt offenbar die Devise "groß macht glücklich". Ist erst einmal eine ordentliche Größe erreicht, scheint alles möglich: die Übernahme ganzer Ladenketten, die Expansion ins Ausland, die Etablierung eigener Verlage etc. Aus dem Blick geraten scheint dabei das Problem überproportional wachsender Komplexität.

Systemisch betrachtet, sind 1.000 Filialen völlig ausreichend, um ein System unbeherrschbar zu machen. Lädt man sich zusätzlich noch Produktions-betriebe, weitere Vertriebslinien oder eine weitere Produktgattung auf, vervielfacht sich das Problem. In der Folge kämpft ein Unternehmen mit den eigenen Strukturen – statt mit dem Strukturwandel.

Handicap Expansion

Stagnierende oder gar rückläufige Umsätze treffen die Achillesferse expansiver Unternehmen, denn in der Regel wird Expansion mit Wachstumsraten kalkuliert. Das ist gewiss kein Borders-spezifisches Handicap, sondern gilt hierzulande auch.

Die großen drei im Handel – DBH, Thalia, Mayersche – antworten auf Stagnation derzeit unisono mit der rasanten Ausdehnung ihrer Non-Book-Bereiche, Thalia zusätzlich mit einer E-Book-Initiative. Damit ist eins gewiss nicht verbunden: eine Reduktion von Komplexität.

K(l)eine Renaissance

Hat am Ende das Modell der Großflächenbuchhandlung seinen Zenit überschritten? Diese Frage drängt sich in letzter Zeit auf, wenn man die im Gegenzug beschworene Renaissance der Kleinen in die Zukunft hochrechnet. Diese Debatte scheint mir von Wunschdenken geprägt. Wir erleben zwar – in den USA genauso wie hier – einen starken Trend zur regionalen Verbundenheit. Der stellt den Gegenschwung zur Globalisierung dar; mal romantisch, mal ökologisch konnotiert.

Werte und Großflächen 

So wichtig diese Entwicklung für Buchhandlungen auch ist, markiert sie doch keine Zeitenwende. Wer sich in den SINUS-Milieus auskennt, weiß um die Nähe des Sozialökologischen Milieus (im vorigen SINUS-Milieu „Postmaterielles Milieu“ genannt) zu Nachhaltigkeit und regionaler Vernetzung.

Dieses Milieu – das strategische Kernpotential kleinflächiger und ortsnaher Buchhandlungen – steht freilich nicht allein: Daneben existieren weitere Milieus mit ganz anderen Wertvorstellungen, die wiederum in Großflächen angemessen beantwortet werden. 

Die Vielfalt an Betriebstypen hat nach wie vor ihren Sinn; aus dem Fall Borders kann man ebensowenig den Niedergang der Großfläche ableiten wie aus der Insolvenz einer kleinen Buchhandlung den Niedergang dieser Gattung.