E-Book

Marco Olavarria: "Wer leere Regale hat, macht keinen Umsatz"

16. März 2011
Redaktion Börsenblatt
Trotz aller Anstrengungen und Investitionen: Der Markt für digitale Inhalte bewegt sich noch immer auf niedrigem Niveau. boersenblatt.net sprach mit Marco Olavarria, Berater bei Kirchner + Robrecht – über Geduld in neuen Märkten, über neue Pflichten, und die Rolle des Buchhandels.

540.000 Deutsche haben 2010 E-Books gekauft, für summa summarum 21,2 Millionen Euro. Kann die Branche damit zufrieden sein?

Olavarria: Ja, das entspricht fast genau unserer Prognose von 2009. Die Zahlen zeigen vor allem: Es gibt tatsächlich einen Bedarf. Eine ganze Reihe von Leuten greift sehr wohl zum E-Book – und das, obwohl zum Beispiel Amazon seinen Kindle-Shop noch immer nicht in Deutschland eingeführt hat.

Sie teilen nicht die Ansicht, dass Käufer noch eher zurückhaltend sind?


Olavarria: Ich würde das nicht so formulieren. 0,5 Prozent Marktanteil klingt zwar nach wenig. Andererseits muss man aber auch sehen: Der Markt entwickelt sich genau so, wie es zu erwarten war.

Und wann kommt der Durchbruch?

Olavarria: Das wird vermutlich noch zwei bis drei Jahre dauern – was aber nicht ungewöhnlich ist. Unsere Prognose von 2009 basierte auf der Diffusionstheorie, und wenn man sich da noch einmal anschaut, wie sich neue Produkte am Markt durchsetzen, muss man klar sagen: Bis sie von einer großen Anzahl von Menschen akzeptiert werden, braucht es seine Zeit.

Also erst das Angebot und dann die Nachfrage?

Olavarria: Könnte man so sagen. Menschen müssen erst einmal für diesen neuen Markt begeistert werden – über das Angebot. Das funktioniert nicht anders als bei einem Kaufhaus: Wer leere Regale hat, macht keinen Umsatz.

Begeistert Sie das Angebot der Verlage?

Olavarria: Die Branche hat sich ganz klar bewegt. Viele Verlage sind unterwegs, haben die Weichen gestellt. Außerdem gibt es sehr gute Dienstleister, die Inhalte konvertieren, ausliefern und abrechnen. Kurzum: Jetzt steht die Infrastruktur, um das Geschäft auch zu betreiben.

Wird der Buchhandel hier eine Rolle spielen?

Olavarria: Unbedingt.

Das sehen Buchhändler ein wenig anders. Laut Studie werden derzeit in einem Drittel aller Buchhandlungen E-Reader und E-Books verkauft. In den nächsten Jahren könnte die Quote auf knapp die Hälfte steigen, lautet die Prognose.   

Olavarria: Ich finde es schade, dass manche Buchhändler so zurückhaltend sind. Im Internet stecken noch so viele Vermarktungschancen. Und ob man das nun Multichannel-Management nennt oder anders: Ich muss mich doch dahin bewegen, wo meine Kunden sind.

Was empfehlen Sie Buchhändlern, die noch skeptisch sind?

Olavarria:
Sie sollten sich den Reisemarkt einmal näher anschauen, vor allem das, was bei den Reisebüros passiert. Ich sehe da durchaus Parallelen: Reisebüros sind vor einigen Jahren totgesagt worden. Man brauche sie nicht mehr, so das Argument. Die Leute buchten sowieso nur noch online, weil das viel bequemer sei. Das war eine Fehleinschätzung. Es gibt heute zwar weniger Reisebüros, aber es gibt sie noch. Kunden informieren sich heute im Laden, buchen dann aber online – und umgekehrt. Entweder oder? Das war gestern. Buchhändler tun gut daran, im Internet aktiv zu sein.

Sie halten E-Books für ein Pflichtangebot?

Olavarria: Klar, zumal es relativ leicht ist, sie in bereits bestehende Websites zu integrieren. Warum auf diesen Umsatz und auf diese Art der Kundenbindung verzichten? Wer sagt denn, dass Kunden in jedem Fall loyal sind - gedruckte Bücher bei mir kaufen, und nur digitale woanders? Ich halte das für sehr unwahrscheinlich.

Wie lange bleibt dem Buchhandel noch Zeit?

Olavarria: Aus meiner Sicht ist zwar noch keine Gefahr in Verzug, aber auch nicht die Zeit, um sich zurückzulehnen. 2011 mag ein Großteil der Kunden noch nicht erwarten, dass E-Books zum Angebot gehören. Doch das wird in ein paar Jahren schon ganz anders sein.

Sehen Sie Faktoren, die die Marktentwicklung beschleunigen könnten?

Olavarria: Eine ganze Reihe sogar. Die drei wichtigsten: Erstens gibt es mittlerweile ein recht breites und weiter wachsendes Angebot. Dann gibt es eine sehr viel breitere Distributionsplattform, also viel mehr Stellen, an denen man tatsächlich E-Books kaufen kann. Und schließlich nimmt die Verbreitung an Geräten, mit denen digitale Bücher gelesen werden können, enorm zu. Ich sehe da insgesamt ein erhebliches Potenzial nach oben.

Inwiefern?

Olavarria: 2009 haben wir prognostiziert, dass der Marktanteil von E-Books bis 2015 auf neun Prozent  steigt. Das dürfte auch so eintreten. Eventuell liegt der Anteil dann auch schon einen Tick höher.

Zur Person:
Marco Olavarria ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung Kirchner + Robrecht. 2009 untersuchte er „E-Books und E-Reader – Marktpotenziale in Deutschland“ (Download der Studie: hier).