Nur so sei es möglich gewesen, nach 1945 in anderen Ländern wieder ein anderes, weltoffenes Deutschlandlandbild entstehen zu lassen, ohne dabei den Verdacht zu erwecken, es handle sich nur um eine neue Form der Propaganda. „Diskursfähigkeit“ und die Bereitschaft, in den Krisenregionen der Welt „zivilgesellschaftliche Entwicklungen zu stärken und Infrastruktur für Kultur und Bildung zu etablieren“ sei der rote Faden, der sich durch 60 Jahre Geschichte ziehe. Das allerdings galt nicht zuletzt für die Bundesrepublik selbst, die ihre Diskursfähigkeit und kulturelle Vielfalt auch erst einmal erlernen musste.
„Kultur als Vielfalt und nicht als Verordnung einer Kultur – das möchten wir als Markenzeichen in die Welt bringen“, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle in seiner Festrede. Er formulierte damit einen Konsens, der noch vor zwei Jahrzehnten alles andere als selbstverständlich gewesen wäre. In den 70er und 80er Jahren gab es heftige innenpolitische Auseinandersetzungen um die kulturelle Repräsentanz Deutschlands durch die Goethe-Institute. So ist die Weltgeltung des deutschen Films zur Zeit Rainer Werner Fassbinders und Volker Schlöndorffs durchaus auch den Goethe-Instituten mit ihren weltweiten Einladungen zu verdanken. Auch die Entsendung von Jazzmusikern wie Albert Mangelsdorff und Klaus Doldinger war ein Politikum in einer Zeit, in der auch die Kultur im politischen rechts-links-Antagonismus wahrgenommen wurde. Dass aus der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich eine „Kulturnation“ geworden ist, ist nicht zuletzt das Verdienst der Goethe-Institute.
Heute ist Kultur für den deutschen Außenminister vor allem ein Faktor der Standortwerbung. Westerwelle forderte in seiner Festrede eine stärkere Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland und einen „Wettbewerb um die hellsten Köpfe der Welt“. Um für junge Menschen einladend und anziehend zu wirken, sei eine gewachsene Kultur von großer Bedeutung, denn sie zeige, dass Deutschland „ein Land ist, in dem sich viele Lebensmodelle verwirklichen lassen.“ Westerwelle plädierte für mehr Offenheit und kritisierte in diesem Zusammenhang neue europäische Tendenzen zur Abschottung, wie die wieder eingeführten Grenzkontrollen in Dänemark. „Das ist kein guter Weg“, sagte er. Er hob zudem die Sympathie hervor, die Deutschland in den Reihen der arabischen Demokratiebewegung genieße. Den dortigen Umbruch bezeichnete er als „Chance für Europa“.
Diese Sympathie steht jedoch auf dem Spiel, wenn Deutschland nun tatsächlich Panzer an Saudi-Arabien liefert. Über diesen Widerspruch zwischen Ökonomie, politischer Strategie und einer demokratischen Kultur schwieg der Außenminister. Ein leidenschaftliches Plädoyer mit der Bitte um Unterstützung kam jedoch von dem tunesischen Film- und Theaterregisseur Fadhel Jaibi, der als Festredner geladen war. „Die Konterrevolution ist im Gange“, sagte er. „Die Kräfte des Geistes müssen die Dummheit besiegen.“ Kultur sei kein Beiwerk, kein Luxus, sondern organisch und lebenswichtig für die Schaffung neuer Strukturen und eines neuen, toleranteren Menschen: „Ich bin hier, um Zeugnis abzulegen, was in einem Land möglich ist.“ Da wurde auf einmal eine kämpferische Dringlichkeit und politische Notwendigkeit spürbar, die ganz andere Dimensionen der Kulturarbeit umfasst, als die gut austarierte innerdeutsche Pluralität und Standortwerbung in der Welt. Im Süden seines Landes, meinte Jaibi, gebe es eine erbärmliche Infrastruktur, kaum Reisemöglichkeiten, keine kommunikationstechnische Vernetzung: „Da könnten die Deutschen etwas tun.“