Sie erhalten den Jean-Paul-Preis, also den Bayerischen Literaturpreis 2011. Gratulation! In Jean Pauls Werken geht es oft skurril und aberwitzig zu, wilde Metaphorik und labyrinthische Handlungsstränge gehören zu seinen Stilmerkmalen. Was verbindet Sie mit Jean Paul?
Die Liebe zu Landschaften, die verwandtschaftlichen Gefühle den Tieren gegenüber, die Kindlichkeit, auch Komik seiner Charaktere, gerade weil er ein scharfer Beobachter ist. Das Entscheidende aber ist: Jean Paul findet in seinen Gleichnissen originärste Bilder dafür.
Jean Paul wird, eigentlich irrtümlich, zu den Romantikern gezählt. Auch bei Ihnen gibt es Sprachbilder, Verweise, etwa zum Kunstmärchen, die in diese Richtung weisen. Sind Sie eine moderne Nachfahrin der Romantik oder ist das auch ein Irrtum?
Ein oft missbrauchter Begriff! Ich bin mit den Gedichten der Romantik aufgewachsen. Sie gehören zum inneren Zirkel meiner literarischen Vorstellungswelt. Schon der verehrte Dichter Eichendorff aber hat die Auswüchse scharf kritisiert. Jean Paul geht es, wie allen "Romantikern" und auch mir, um die Befreiung des Lebens von der Dominanz des Pragmatischen.
Sie haben viele Literaturpreise bekommen, die nach berühmten Autoren benannt sind: Fontane, Grimmelshausen, Mörike, Büchner etc. – und jetzt Jean Paul. Thomas Bernhard hat einmal das Bild von den großen Klassikern geprägt, die nur noch als Buchausgaben aus den versperrten Bücherschränken hinaus röcheln. Haben Sie Angst, dass Ihnen eine ähnliche Existenzform blühen könnte?
Das habe ich mir noch nie ausgemalt und halte es für unwahrscheinlich. Im Übrigen ist der Bernhardsche Pessimismus ein nettes, aber auch trübes Klischee. Literaturinteressierte Zeitgenossen, die sicher nicht so schnell aussterben wie befürchtet, stellen sich ihre Hausgötter, ihren Kanon, eigenhändig zusammen. Mit Passion!
Auffällig ist, dass Sie neben Romanen, Erzählungen und Essays auch gerne Texte über andere Schriftsteller schreiben, etwa zu Adalbert Stifter, Joseph Conrad, aber auch zu Autoren wie Helmut Heißenbüttel oder Hubert Fichte. Wie wichtig ist Ihnen der Dialog mit lebenden und toten Schriftstellerkollegen?
Handelt es sich wirklich um Dialoge? Tot oder lebendig ist jedenfalls ziemlich egal. Wenn mich an einem Autor etwas sehr reizt und begeistert, möchte ich begreifen, was mich da eigentlich so besticht – und es weitergeben. Auch, um ein bisschen mitzuhelfen, dass jenes Bernhardsche Röcheln unterbleibt.
Man hat Ihnen manchmal vorgeworfen, Ihr Stil, Ihre Phantasie, Ihre Metaphorik sei ein wenig ausufernd. Das alles könnte man plump unter dem Begriff "weiblich-romantisches Schreiben" subsumieren. Eines ist Ihnen allerdings erspart geblieben, nämlich, dass man Ihre Prosa unter "Frauenliteratur" subsumiert hat. Wie sind Sie dieser Etikettierung entkommen?
Nach meinem ersten Roman "Frau Mühlenbeck im Gehäus" ist der Begriff "Frauenliteratur" mal kurz gefallen, nur, weil er von zwei Frauen handelt. Ich habe daraufhin auf den intellektuellen "nouveau roman" verwiesen und dessen Einfluss auf mich etwas übertrieben. Das hat fast schon zur Abschreckung gereicht. Dieses "männlich", "weiblich" ist doch meist Blödsinn, wenn man von Kunst spricht. Ich habe nie einen Hehl aus dieser Ansicht gemacht.
Im Roman "Verlangen nach Musik und Gebirge" heißt es an einer Stelle: "Bahnhof', murmelt Roy, ich verstehe Bahnhof'." Ihre Prosa zeigt künstlerisch virtuos, was Sprache leisten kann, das heißt auch, gefällig sind Ihre Texte nie. Inwieweit darf man heute in Zeiten schnelldrehender Bestseller erwarten, dass einem Leser in komplexe und existenzielle Textwelten folgen?
Ich erwarte es nicht, erhoffe es höchstens. Eine Bestsellerkarriere war von mir nicht intendiert, eine Alternative zu der Art meines Schreibens ist für mich undenkbar. Mein Pech, wenn sie niemandem plausibel erschiene. Aber: Ich habe dieses Pech erstaunlicherweise nicht. Zum Glück gibt es in allen Altersstufen Leute, die mir ermutigend zuwinken.
Interview: Andreas Trojan