"Die Globalisierung hat als Gegenbewegung eine Regionalisierung hervorgerufen. Dialekte sind in, sie werden immer selbstbewusster benutzt, und sie gelten als sympathisch. Nehmen sie beispielsweise den "Tatort": Anfangs wurde dort der Dialekt als eine Milieuschilderung benutzt, inzwischen sprechen die Kommissare Dialekt und die Täter oft ein reines Hochdeutsch. Da ist die Sympathieverteilung klar: Der Dialekt symbolisiert Nähe, er steht für Wärme und Vertrauen.
Junge Leute schreiben ihre SMS völlig selbstverständlich in dialektalen Formen - etwa "nee, des is ned so". Studien belegen, dass sich die SMS-Schreiber wie beim Sprechen vorkommen - sie wollen sich als authentisch präsentieren, positiv erscheinen. Allerdings sind auch die Dialekte einem Wandel unterworfen, sie werden nicht mehr wie vor 100 Jahren gesprochen, sondern sind durch ständig neue Einflüsse allgemeinverständlicher. Der Holsteiner versteht heute den Sachsen. Und über die Pop- und Rockmusik werden in Dialekten gebräuchliche Wendungen bundesweit transportiert - so begrüßen sich Jugendliche in Bayern jetzt auch mit dem norddeutschen "Moin moin".
Das Interessante daran ist, dass die Sprecher heute mühelos zwischen Hochdeutsch und Dialekt hin- und herspringen. Früher mussten die Dialektsprecher Dialekt sprechen - sie konnten nichts anderes. Das wurde als provinziell, bldungsfern empfunden. Heute können alle Dialektsprecher auch Hochdeutsch, und sie setzen den Dialekt gezielt ein. Bei Jüngeren ist es auch eine Gegenbewegung zu denjenigen Älteren, die Hochdeutsch als das einzig Wahre auf den Schild gehoben hatten. Mit Dialekt setzt man sich ab, setzt einen Akzent. Eine Studentin schrieb mir zum Beispiel am Ende einer Mail auf eine Frage, ob sie Interesse hätte, bei einem Projekt mitzumachen: "Do sin mer dabei!" Eine solche spontane kölsche Äußerung ist ein wirklicher Mehrwert, der besagt: Dazu habe ich wirklich Lust! und hebt sich von üblichen Floskeln ganz bewusst ab.
Sollte das Englische zur neuen Lingua Franca der globalisierten Welt werden, wird der Dialekt noch stärker genutzt werden. Neben der nüchternen Geschäftssprache wird diese emotionale Sprachebene ein Rückzugsgebiet: Hier spricht man offener miteinander, ist vertrauter. Nach der Epoche der Normierung und Regulierungwerden die dialektal geprägten Umgangssprachen völlig selbstverständlich werden."
Karl-Heinz Göttert (67) war war bis 2009 Professor für Germanistik an der Universität zu Köln, mit den Schwerpunkten Rhetorik, Stilistik und Konversation. Neben historischen Kriminalromanen und Werken über Orgelmusik erschien 2009 von ihm "Deutsch, Biografie einer Sprache". Vor vier Tagen kam sein jüngstes Buch"Alles außer Hochdeutsch. Ein Streifzug durch unsere Dialekte" (Ullstein) heraus.