Buchmesse Guadalajara

„Vielleicht ist Literatur eine Art Psychiater“

28. November 2011
Redaktion Börsenblatt
Literaturnobelpreisträger sind sehr unterschiedliche Menschen. Sie verbindet allein der Zufall, mit der großen Auszeichnung bedacht worden zu sein. So ähnlich formulierte es Herta Müller und sie mochte dabei auch die ganz gegenwärtige Konstellation im Kopf gehabt haben. Gemeinsam mit Mario Vargas Llosa war sie unter der Überschrift „Dos Nobel, una conversación“ zum Auftakt der wichtigsten lateinamerikanischen Buchmesse, bei der Deutschland Gast ist, ins mexikanische Guadalajara geladen.

Unterschiedlicher können zwei Schriftsteller tatsächlich kaum sein, hier der peruanische Autor, der einem Politiker nicht unähnlich den wirksamen Auftritt kennt und genießt, dort die Frau, die zugibt, dass sie solch öffentliches Reden immer ein bisschen verstört: „Es wäre mir lieber, wenn man nicht weiß, wer ich bin."

Und doch entwickelte sich am gestrigen Sonntag während des fast zweistündigen Auftritts vor dicht gedrängtem Publikum ein Gespräch, das vor allem geprägt war von der Ausstrahlung der Deutschen, die sich eingestandenermaßen vor allem zurück an den Schreibtisch sehnt: „Ich bin jetzt (auf der Messe in Guadalajara) in einem anderen Beruf, und das überfordert mich."

Aber weil Herta Müller dieser Überforderung durch eine radikale Offenheit begegnete, wurde es zu einem großartiges Erlebnis, ihr zuzuhören. Für beide Autoren waren Bücher und Literatur schon früh „ein Refugium", wie Vargas Llosa es ausdrückte, die Möglichkeit, „sich zu verteidigen". Was das im Konkreten heißen kann, erfuhren die Zuhörer von Herta Müller: „Ich habe oft Gedichte aufgesagt, auf dem Weg zum Verhör. Es war wie eine Art Beten." Sie habe sich oft gefragt, wie sie das Leben in der Diktatur in Rumänien ausgehalten habe: „Vielleicht wäre ich kaputt gegangen ohne Literatur. Vielleicht ist Literatur ein Psychiater, für den man nicht bezahlen muss."

Die Buchmesse in Guadalajara hat mit der Eröffnung schon ihren Höhenpunkt erlebt und das dank einer Schriftstellerin, die über die ihr zugedachte Rolle in der Mediengesellschaft sagt: „Ich fühle mich oft leer. Ich kann mich selbst nicht mehr hören." Der Applaus am Ende stand für eine andere Aufnahme beim Publikum: „Ich werde jetzt alles von Herta Müller lesen", sagte eine Autorin aus Puerto Rico beim Hinausgehen. Sie ist vermutlich nicht die einzige.