Interview

"Wir hoffen, dass sich die DRM-freie Nutzung von E-Books durchsetzt"

1. Dezember 2011
Redaktion Börsenblatt
E-Books spielen eine immer wichtigere Rolle – gerade für wissenschaftliche Bibliotheken. Im Interview mit boersenblatt.net verrät Reinhard Trudzinski, stellvertretender Direktor der Uni-Bibliothek an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, nach welchen Kriterien er seine Lieferanten auswählt und warum Verlage auf Digital Rights Management (DRM) verzichten sollten.

Welche Rolle spielen elektronische Medien in Ihrer Bibliothek?
Reinhard Trudzinski: Die Universitätsbibliothek der TU Hamburg-Harburg umfasst annähernd 500.000 Bände und rund 80.000 elektronische Medien – ohne die elektronisch verfügbaren 36.000 Zeitschriften. Beim Neuerwerb liegt der Anteil elektronischer Medien bei geschätzten 50 Prozent. Für unsere technikaffinen Kunden haben wir frühzeitig mit der Anschaffung von E-Books begonnen. Die Nutzung bestätigt unsere Erwartungen.

Wie wird sich das Verhältnis von Print zu E-Books in Zukunft entwickeln?
Wie sich die Relation mittel- und langfristig einstellt, darauf haben die Verlage vielfältige Einflussmöglichkeiten, zum Beispiel durch ihre Preis- und Vertriebsmodelle. Was das E-Book als Medium betrifft, sind längst noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft. Speziell bei den Lehrbüchern werden bislang oft nur ausgewählte Titel in elektronischer Form angeboten. Meine Vermutung ist, dass die Verlage ein Wegbrechen von Printumsätzen befürchten. Letztlich geht es beim E-Book um die Vermarktung einer Datei als Wirtschaftsgut. Es bleibt spannend, welche Entwicklungen hier noch auf uns zukommen. Entscheidend wird am Ende die Kundennachfrage sein.

Wie haben sich die Rolle der Universitätsbibliothek und das Nutzerverhalten in den letzten Jahren verändert?
Die Aufgabe unserer Bibliothek ist unverändert die Versorgung unserer Hochschule und der Hamburger Region mit technischer Literatur. Unsere Leser erwarten dabei sowohl gedruckte Bücher wie auch E-Book-Ausgaben. Deutlich ist seit einigen Jahren der Trend festzustellen, dass Bibliotheken verstärkt als Lernort genutzt werden, sowohl für die Einzel- wie für die Gruppenarbeit.

Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Sie zurzeit?
Ein Problem besteht darin, die relevante Literatur zu erwerben – trotz Preissteigerungen bei Büchern, Zeitschriften und Datenbanken, die deutlich höher ausfallen als unsere Budgetanpassungen.

Müssen die Universitätsbibliotheken auf lange Sicht um ihre Existenz bangen?
Langfristig können sich die Bibliotheken nur behaupten, wenn sie in der Lage sind, die Literatur- und Lernressourcen zeitgemäß bereitzustellen. Das setzt entsprechende Budgets voraus, zum Beispiel für Personal, Bau und Medienerwerb. Im Hinblick auf die lizenzierten elektronischen Medien müssen die Bibliotheken sicherstellen, dass sie im Internet-Umfeld als Serviceleister wahrgenommen werden. Dafür muss deutlich werden, welche Produkte über die Bibliotheken bereitgestellt werden und welche sie finanzieren.

Wer beliefert Sie mit Print- und E-Medien?
Wir arbeiten mit Buchhändlern, Verlagen und Agenturen zusammen – bei den gedruckten Büchern und Zeitschriften wie auch bei elektronischen Ausgaben.

Welche Überlegungen spielen für Sie bei der Wahl der Lieferanten eine Rolle?
Die Auswahl erfolgt aufgrund von Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und besonders bei ausländischen Publikationen über den Preis, da für diese Medien keine Preisbindung besteht. Der Handel bietet ausländische Bücher oft zu unterschiedlichen Konditionen an: Bei Anbieter A erhalte ich höhere Prozente auf die Erzeugnisse des Verlags A, bei Verlag B kann sich das Verhältnis umkehren und Anbieter B günstiger sein – entsprechend steuern wir die Bestellungen. Auch die Servicequalität und die Schnelligkeit der Lieferanten sind wichtige Kriterien.

Mit wie vielen Verlagen arbeiten Sie im Bereich der E-Medien zusammen?
Zurzeit arbeiten wir allein beim Bezug von E-Books mit acht Verlagen beziehungsweise Verlagsgruppen zusammen. Die Bestellungen erfolgen meist in Paketen – wenn der Verlag es ermöglicht, jedoch bevorzugt als Einzeltitel. Damit haben wir bereits einen guten Teil des Angebots im technisch-wissenschaftlichen Fachgebiet im Fokus, da hier die Konzentration und Monopolbildung stark verbreitet ist.

Gibt es noch Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung von E-Books?
Problematisch ist, dass jeder Verlag eigene Lizenzbestimmungen vorgibt und somit unseren Lesern unterschiedliche Rechte bei der Nutzung der E-Books eingeräumt werden. Hier hoffen wir, dass sich mittelfristig die DRM-freie Nutzung der Inhalte durchsetzt. DRM-freie Nutzung bedeutet, das das lizenzierte Produkt für unsere Leser praktisch einsetzbar ist, ohne dass proprietäre Programme, zum Beispiel von Adobe, die Nutzbarkeit einschränken.

Glauben Sie wirklich, dass die Verlage auf DRM-Schutz verzichten können?
Zumindest einige Verlage bieten schon heute DRM-freie Produkte an, und ich hoffe sehr, dass weitere Verlage diesem Beispiel folgen. Ermutigend ist die Entwicklung in der Musikindustrie, wo der DRM-Einsatz nach zahlreichen Versuchen aufgegeben wurde.

Können Sie sich vorstellen, etwa zugunsten vereinheitlichter Lizenzbestimmungen, auf die Bündelung durch Aggregatoren wie die Ebook Library zurückzugreifen?
Bisher haben wir keine vertiefte Erfahrung mit Aggregatoren. Da wir meist bessere Nutzungsmöglichkeiten erhalten, wenn wir die Medien direkt über die Verlage beziehen, halten wir uns bei vertraglichen Vereinbarungen mit Aggregatoren zurück. Auf der anderen Seite bieten Aggregatoren interessante Lösungen, wie zum Beispiel Patron Driven Acquisition oder spezielle Just-in-Time-Dienstleistungen, die mittelfristig – außerhalb der Kerngebiete des Erwerbungsprofils – in Betracht gezogen werden sollten. Bei diesen Vertriebsmodellen der Aggregatoren kann die Nutzung lizenzierter Inhalte direkt oder auch mittelbar vom Leser initiiert beziehungsweise beauftragt werden.

Interview: Christian Oliver Winter

Mehr zum Thema E-Books an wissenschaftlichen Bibliotheken lesen Sie im aktuellen Börsenblatt (Heft 48/2011) ab Seite 24.