Glosse

Schlüpfrige Romane

2. Dezember 2011
von Börsenblatt
Warum die Suche nach erotischer Literatur im Buchhandel so ermüdet. Ein Feldversuch von Markus Barth.

Als Teenager verbrachten wir viel Zeit mit dem Gesellschaftsspiel "Therapy". Da musste man abstruse Fragen beantworten, zum Beispiel: "Wem in der Runde traust du am ehesten zu, schlüpfrige Romane zu lesen?" Als wir diese Karte zum ersten Mal aufdeckten, schauten wir uns ratlos an. "Was heißt denn schlüpfrig? So wie nasses Laub?", fragte einer. "Ich habe noch nie Bücher über nasses Laub gelesen", sagte ich. "Ihr Blödel: Die meinen Schweinskram. Mit nackig und so", brummte Thomas, der am weitesten Entwickelte von uns. Wir schauten uns an, nickten dann und einer meinte: "Dann wär’ die Ausgangsfrage ja beantwortet …"

Daran musste ich denken, als jetzt die Aufregung um Erotik-Romane im "Weltbild"-Sortiment aufkam. Mir fiel auf, dass ich noch nie einen "schlüpfrigen Roman" gelesen habe und ich beschloss, das zu ändern.

Meine erste Erkenntnis über erotische Literatur: Sie ist schwer zu finden. Auf dem Wegweiser in der Buchhandlung entdeckte ich keinen Hinweis. Erotik – gehört das zu "Körper und Geist"? "Große Gefühle"? "Hobby und Heimwerken"? Nun geht man natürlich ungern zu einer Buchhändlerin und fragt: "Entschuldigung, wo ist denn hier der Schweinekram, mit nackig und so?" Ich fuhr also in die erste Etage und stieß auf eine Gattung Bücher, die ich noch nie wahrgenommen hatte: Pastell-Pornos. Die Cover waren mit bloßem Auge kaum zu unterscheiden, alle zart-rosa bis blass-violett, darauf durchtrainierte, halbnackte Männer, die verstrubbelte Frauen auf dem Schoß hatten. Ich nahm wahllos einen Band zur Hand  – dem Titel nach irgendetwas über eine frivole Sünderin der Leidenschaft, die geheimnisvolle Geheimnisse hatte – und las die ersten Sätze: "Er spielte auf ihr wie auf einer Flöte. Dann begann der wilde Ritt." Puh.

Volle Schlüpfrigkeits-Punktzahl, okay. Aber wer da vor Erregung zittert, statt zu lachen, der tut mir ehrlich gesagt ein bisschen leid. Das muss doch noch besser gehen, dachte ich und suchte weiter. Schließlich fand ich die Abteilung "Lust und Leidenschaft". Sie bestand aus zwei kleinen Regalen und war damit exakt genauso groß wie die "Star Wars"-Abteilung. Was das über den deutschen Leser aussagt, möchte ich lieber nicht wissen. Außerdem lag sie auf dem Weg zur Kinderbuchabteilung, was ich für eine mittel-gute Idee des Buchhändlers halte. Die Mütter, die mit vorwurfsvollem Blick ihre Kinder an mir vorbeischleiften, fanden das offensichtlich auch.

Ich las ein paar Titel: "Mach mich scharf!". "Beherrsche mich!". "Gehorche mir!". Erotik im Buchhandel hat offensichtlich sehr viel mit Ausrufezeichen zu tun. Und sie ist kennzeichnungspflichtig: Auf allen Bänden stand nämlich "Erotischer Roman" – vermutlich für alle, denen die steil nach oben ragenden Frauenbrüste auf dem Cover noch zu subtil sind.

Wieder las ich ein paar Seiten und, na ja, was soll ich sagen? Einen Roman über nasses Laub hätte ich wahrscheinlich spannender gefunden. Nach wenigen Minuten entdeckte ich eine überraschende Parallele zwischen Erotik und Bier: Prinzipiell ’ne feine Sache, aber zu viel kann ermüdend wirken.

Dennoch: Ich überwand meine Angst, dass an der Kasse einer Verkäuferin wie einst Hella von Sinnen ihrer Kollegin zuschreien würde: "Tiiina, wat kostet die ›Kosakensklavin‹?" und kaufte eines der Bücher. Ich denke, Thomas wird sich freuen.

Lesen Sie zum Thema auch unser Extra "Erotik" im aktuellen Börsenblatt (Heft 48).