Männer werden, heißt es, im Alter wieder zu Kindern – eine Auffassung, die mich nie erschreckt hat. Endlich wieder ungehemmt sich alte "Bonanza"-Episoden oder "Dick und Doof"-Filme reinziehen, stundenlang Tipp-Kick spielen und seine Suppe nicht aufessen – großartig. Folglich habe ich mir auch nie die gute alte Kindersitte abgewöhnt, in den Adventstagen einen Wunschzettel zu schreiben, auf dass das Christkind (für Norddeutsche: der Weihnachtsmann) und das neue Jahr mir Gutes bringen und Übles abwenden mögen.
Je älter ich werde, desto länger werden meine Aufstellungen dessen, was mir bitte erspart bleiben soll. Hauptsächlich geht es mir darum, Dinge zu verhindern, meine Nerven zu schonen. Manches ertrage ich immer schlechter, nicht nur im Straßenverkehr, wo außer mir fast nur grenzdebile Ahnungslose unterwegs sind. Lassen Sie mich offen sprechen und ein paar klare Ansagen machen, was ich mir vom Jahr 2012 erhoffe, nein, verlange. Der Einfachheit halber beschränke ich mich auf den Buchmarkt und den Literaturbetrieb.
Also: 1. Alle zur Verfügung stehenden SPD-Kanzlerkandidaten halten sich mit dem Verfassen von Büchern zurück, Helmut Schmidt natürlich ausgenommen. 2. Regional- und Tierkrimis kommen plötzlich aus der Mode. 3. Endlich lassen sich Ladenpreise durchsetzen, die den Steigerungsraten entsprechen, die der Preis für ein Glas Wein bei meinem Lieblingsitaliener seit der Euro-Einführung erfahren hat. 4. Karl Theodor zu Guttenberg, Silvana Koch-Mehrin und Veronica Stoiber finden keinen Verlag für ihre gemeinsam verfasste Rechtfertigungsschrift "Ich war jung und brauchte den Titel". 5. Giovanni di Lorenzo verzichtet folglich auf einen Vorabdruck in der "Zeit". 6. Der Beruf des Verlagsvertreters erscheint nicht auf der EU-Liste aussterbender Metiers. 7. Im Verlag Die Werkstatt erscheint im Sommer 2012 das lang ersehnte Buch "So schaffte der TSV 1860 München den Wiederaufstieg in die Erste Bundesliga". 8. Karl Theodor zu Guttenberg wandert aus, und diesmal für länger. 9. Immer seltener kommen Familienromane auf den Markt, die von gebrechlichen Großeltern, die Tagebuch führten, handeln, sich über drei bis fünf Generationen erstrecken und in der ehemaligen DDR spielen. 10. Richard David Precht erklärt uns Willensfreiheit, Rentensystem, Werteverfall und Deeskalationsstrategien in Fußballstadien nur in jeder zweiten Talkshow. 11. Meine Bücher werden zu Bestsellern. 12. Karl Theodor zu Guttenbergs Gemahlin hält sich im Hintergrund. 13. Franz Müntefering, Udo Jürgens, Howard Carpendale und Karl Moik werden nicht Vater und schreiben im Anschluss keine Erziehungsratgeber. 14. Bis Ostern fragt mich niemand, ob das gedruckte Buch überleben und die Jugend von morgen überhaupt noch lesen wird. 15. Alice Munro bekommt den Literaturnobelpreis und Peter Kurzeck den Georg-Büchner-Preis.
Mehr Wünsche habe ich nicht. Schließlich hat mir meine Mutter beigebracht, keine zu langen Wunschzettel zu schreiben. Das könnte mich als unbescheiden erscheinen lassen, das Christkind beziehungsweise den Weihnachtsmann verärgern und somit zu einer geringeren Gabenausbeute führen. Und meine Mutter war und ist eine kluge, lebenserfahrene Frau, der ich nur – 16. – das Allerbeste wünsche.
Die Weihnachtswünsche von Rainer Moritz
15. Dezember 2011
"Je älter ich werde, desto länger werden meine Aufstellungen dessen, was mir bitte erspart bleiben soll." Rainer Moritz hat schon mal seinen Wunschzettel abgegeben. Er hofft aufs neue Jahr.