Die Schweiz ohne Preisbindung

Eine Frage der Zeit

16. März 2012
Redaktion Börsenblatt
Das Reizklima, unter dem die Schweizer Branche seit Jahren leidet, hat sich nach dem Votum der Bevölkerung gegen feste Ladenpreise für Bücher weder verbessert noch verschlechtert. Ohnehin rechnen nur die wenigsten mit gravierenden Veränderungen. Zumindest auf kurze Sicht.

Die Schweiz durchzieht eine unsichtbare, aber dennoch markante Grenze. Links davon liegt die Westschweiz (Romandie), rechts die Deutschschweiz mit dem Zipfel Tessin. Röstigraben nennen die Eidgenossen diese Trennlinie. Und meinen damit: dass die einen und die anderen oft völlig konträre Ansichten vertreten.

Bei Volksabstimmungen, so wie am vergangenen Sonntag, zeigt sich das besonders deutlich. Sowohl für die Befürworter als auch für die Gegner fester Bücherpreise ging es um alles oder nichts – mit dem bekannten Ergebnis: Die Westschweiz, wo seit 1993 keine Preisbindung mehr existiert, votierte geschlossen Pro, während der große Rest des Landes auf Kontra schaltete. „In der Deutschschweiz war der Leidensdruck wohl noch nicht hoch genug“, vermutet Dani Landolf, Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands (SBVV).

Die Preisbindung wurde hier, wie berichtet, vor knapp fünf Jahren gekippt. Dabei bleibt es jetzt – wider alle Fakten, zumindest wider alle Erfahrung.

Preisexplosion in der Westschweiz

Die Gegner stützten sich in ihrer Argumentation vor allem auf die These, dass Bücher in einem freien Markt billiger würden, obwohl die Tatsachen in der Westschweiz längst eine andere Sprache sprechen. „In der Romandie sind Bücher 40 Prozent teurer als in Frankreich und 20 Prozent teurer als in der Deutschschweiz“, hat zum Beispiel SP-Nationalrat Christian Levrat ausgerechnet.

Ähnlich argumentiert Vera Michalski vom Branchenverband ASDEL in der Westschweiz. Die Bücherpreise  seien in den vergangenen zwei Jahrzehnten seit der Aufhebung der Preisbindung nicht etwa gesunken – sondern explodiert, sagt sie.

Dass diese Erkenntnis nicht den Weg über den Röstigraben gefunden hat, bedauert sie zwar, gewinnt der Sache aber auch etwas Positives ab: Zum ersten Mal habe das Buch und seine Bedeutung für die kulturelle Vielfalt in einer demokratische Debatte eine zentrale Rolle gespielt. Die Westschweizer kennzeichne eine starke Verbindung zum Buch, so Michalski – was sich in der Wahlstatistik gut nachprüfen lässt (62,3 Prozent der Einwohner in der Romandie hatten dem Preisbindungsgesetz ihre Stimme gegeben).  

Darauf könne und müsse man nun aufbauen – um die verbliebenen unabhängigen Sortimente zu erhalten. Warum das aus ihrer Sicht so wichtig ist: Weil die kulturelle Vielfalt des Landes davon abhänge.

Preisdrücker in der Deutschschweiz  

Dass sich die Lage in der Deutschschweiz auf kurze Sicht genauso entwickelt, und hier die Preise ebenfalls in großem Stil purzeln, kann sich einer Börsenblatt-Stichprobe zufolge kaum jemand vorstellen. Ohnehin ist das längst passiert: Der Wettbewerb um preissensible Kunden tobt seit Jahren – vor allem im Bestsellergeschäft und mit Ex Libris an vorderster Linie.

 

Ex Libris: „Wir sind happy“

Ex Libris hat in Sachen Preisbindung immer klar Position bezogen: nämlich dagegen. Das Unternehmen greift seit 2007 pausenlos zum Rotstift, hat das Zustandekommen des Referendums unterstützt – gibt sich nun aber betont bescheiden. Als per Twitter am Wahlsonntag die Anfrage kam: „Hello, seit ihr happy über das Nein zur Buchpreisbindung?“ – antwortet Ex Libris: „Natürlich, das sind wir :-) Wir freuen uns aber vor allem auch für unsere Kunden!“

Am Tag eins nach dem Volksentscheid folgte dann, auf dem gleichen Kanal, das Dankeschön: „Wir freuen uns sehr, euch weiterhin faire Buchpreise bieten zu können. Herzlichen Dank für eure Unterstützung!!!“

Thalia: „Preisaktionen sind für uns nicht Neues“

Zwei andere Große, Thalia und Weltbild, bedauern indessen den Ausgang des Referendums. Sie haben über Monate die Kampagne „Ja zum Buch“ unterstützt – und wollen an ihrer bisherigen Preispolitik jetzt auch erst einmal festhalten. „Wir arbeiten bereits heute in einem Markt ohne Buchpreisbindung und bieten unseren Kunden seit jeher eine ausgewogene Mischung aus hoher Servicequalität, umfassender Sortimentsauswahl, kompetenter Beratung und attraktiven Preisaktionen“, sagt Antje Deichsel, Leitung Marketing und Kommunikation bei Thalia in der Schweiz. „Auch ohne Buchpreisbindung werden wir diese Mischung in Zukunft beibehalten und unsere strategische Entwicklung konsequent vorantreiben.“ Der Rahmen dafür ist der gleiche wie in Deutschland – mit den Eckpunkten Multichannel, Themenwelten, Sortimentserweiterung, E-Book und Oyo.

 

Weltbild: „An der Preispolitik werden wir kurzfristig nichts ändern.“

Weltbild sieht die Sache ähnlich. „Eigentlich ändert sich nichts am Status Quo“, so Rita Graf, Geschäftsführung Weltbild Schweiz. Dass Weltbild durch das Nein vom vergangenen Sonntag nun aktiv daran gehe, neue Preisspielräume zu erkunden, sei nicht angedacht.  Spielräume gebe es bereits seit fünf Jahren – man nutze diese genauso wie andere in der Branche auch. „Wir waren der Hoffnung, dass sich mit einer Wiedereinführung der Buchpreisbindung etwas ändern könnte“, sagt  Graf – und verspricht: „An der Preispolitik werden wir kurzfristig nichts ändern.“

 

Ein Wettlauf der Großen

Mittelfristig jedoch dürfte sich das Preisklima trotzdem verändern. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Preiskampf härter wird und die Margen weiter sinken“, meint einer, der die Schweizer Verhältnisse aus der Innensicht sehr gut kennt, aber nicht genannt werden möchte.  Langfristig hält er es sogar für denkbar, dass sich die Bücherpreise in der (Deutsch-)Schweiz und in Deutschland zusehends einander angleichen. Sprich: dass Bestseller diesseits wie jenseits der Grenze nahezu das Gleiche kosten. Für unabhängige Buchhändler bedeute das: „Sie können sich kaum noch über den Preis profilieren, sondern brauchen andere Ideen. Und dürfen dabei nicht vergessen, dass es neue Konkurrenten gibt, gegen die sie antreten müssen – Amazon & Co.“ Dieser Wettlauf dürfte allerdings in erster Linie den Großen (Ex Libris, Orell Füssli, Thalia, Weltbild) zu schaffen machen, meint er.   

Last but not least ein Blick auf den Zwischenbuchhandel in der Schweiz, der unter der Talfahrt des Euro besonders gelitten hat: Wie sich die Lage im Schweizer Buchzentrum seitdem veränderte? Andreas Grob, Geschäftsführer des genossenschaftlich geführten Unternehmens (an dem Libri zudem 20 Prozent hält), möchte sich dazu im Moment nicht äußern. Fest steht: KNV machte dem SBZ in den vergangenen Jahren ordentlich Konkurrenz. Das Barsortiment liefert zu Europreisen in die Schweiz – ein Umstand, der sich angeblich schmerzlindernd auf die Margen im Sortiment auswirkt und dazu führte, das Buchhändler ihre Ware gern in Stuttgart ordern.

Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht müsste sich KNV also über die Entscheidung vom vergangenen Sonntag freuen. Doch Einkaufsleiter Markus Fels wehrt ab: „Wir haben uns bisher neutral verhalten und werden das auch weiterhin tun“, betont er.  Zu den Kunden in der Schweiz pflege man ansonsten „positive und intensive Beziehungen“ . Worauf an ihm ankomme, seien die Fakten, so Fels. „Und die haben sich nicht geändert.“